Die Magie der Farbe Rot und ihre Geschichte

Rote Unterwäsche am Silvesterabend bringt Glück. Anlass für uns, die Kulturgeschichte einer schönen und wie wir finden, zu Unrecht, zur Sünde verdammten Farbe, zu beleuchten

Rot ist ein Paradoxon“, schreibt Michel Pastoureau. Der französische Farbenhistoriker hat wunderbare Kulturgeschichten einzelner Farben geschrieben, die viel über die Menschen erzählen. Die Farbe kann sowohl mit den glücklichsten als auch mit den schlimmsten Gefühlen in Verbindung gebracht werden.

Rotes Haar, da droht Gefahr! Im Rotlichtmilieu ist die Prostitution zu Hause. Wie ist das möglich? Die Lieblingsfarbe vieler Kinder und Liebenden, und die Farbe des Heiligen Nikolaus. In seinem Buch „Rouge, histoire d'une couleur“ beschreibt Pastoureau Rot als „die Urfarbe“, die erste Farbe schlechthin, mit der unser Farbenkosmos seinen Anfang nahm, aber eben auch „eine kontroverse Farbe.

Nicht Blau, nicht Grün, die Königin der Farben war Rot. Zunächst noch in den Höhlenmalereien der Vorzeit, der rote Ocker, das „Blut der Erde“, bis später das lodernde Zinnober hinzukam, und das aristokratische Karmin, das aus nicht sehr adeligen Schildläusen gewonnen wurde.

Auch wenn Blau heute im Westen bei weitem die Lieblingsfarbe ist, „Rot bleibt symbolisch die stärkste Farbe“, behauptet Pastoureau. „Blut ist Leben, und rote Farbe ist Blut“. Das verstand auch der österreichische Künstler Hermann Nitsch.

Die Magie der Farbe

Dem Rot wurden bereits in der Antike magische Kräfte verliehen, die andere Farben nicht besaßen. Warum? Weil es immer schon synonym mit Blut und Feuer war, zwei Elementen, die in der Natur vorkommen. Beiden werden gute wie negative Eigenschaften zugeschrieben. Dem Krieg, dem Teufel, dem Blutvergießen und dem Tod stehen die Fruchtbarkeit, die Liebe, die Wärme und das Leben gegenüber.

Päpstlich, kaiserlich oder königlich, rot war auch voll und ganz aristokratisch, die Farbe der Hautevolee, denn der Farbstoff war teuer. Nicht nur die Kardinäle trugen Rot. Es wurde zur Farbe „gottgegebener“ Macht, denn Rot war das Blut Christi. Ludwig XIV. liebte seine Talons Rouges. Es war auch die Lieblingsfarbe von Mozart. Barbara Kraffts berühmtestes Bild, das jede Salzburger Mozartkugel ziert, zeigt das Musikgenie in Rot.

Farbe als Ideologie

Thronsturz und Imageverlust änderten vieles. Mit der Einbuße der Macht des Adels und mit dem Aufkommen von neuen Färbeverfahren verlor die Farbe Rot als Lieblingsfarbe allmählich ihren Status. Der große Konkurrent? Blau. Dazu kamen die protestantische Reformation und die katholische Gegenreformation. Rot war zu teuer, zu unanständig, zu unmoralisch. Etwas später klopfte dann die Wissenschaft den Nagel in den Sarg.

Mit der Entdeckung des Farbspektrums durch Isaac Newton im Jahr 1666, verlor Rot seinen Platz im Zentrum der Farbskala, den es in der Antike und im Mittelalter eingenommen hatte. Jetzt war es an einem Ende angesiedelt: eine unrühmliche Position für die ehemalige Königin der Farben. Goethe war entrüstet. „Newton“, würde er sagen, „irrt sich definitiv.“ Politisierung.

„Niemals im Laufe der Geschichte verkörperte eine Farbe so eine ideologische Bewegung“, schreibt Pastoureau. Ursprünglich französisch, wurde die Farbe von Revolutionären auf der ganzen Welt aufgegriffen, um neue Freiheiten zu symbolisieren: von den Franzosen und ihren roten Jakobinermützen bis hin zu den bolschewistischen und kubanischen Revolutionen – und nicht zuletzt dem Kommunismus, der es zu seiner Symbolfarbe machte. Der Legende nach wollten ein paar Revolutionäre während der chinesischen Kulturrevolution in den 1960er-Jahren vorübergehend die Verkehrsregeln ändern.

Weil Rot die Farbe des Kommunismus ist, habe man bei Rot fahren und bei Grün halten müssen. Die Sache soll dann aber doch wegen der vielen Unfälle wieder aufgegeben worden sein. Eine gefährliche Farbe. „Die heutige westliche Gesellschaft hat eine aus der Bibel und mittelalterlichen christlichen Moralvorstellungen ererbte symbolische Funktion von Rot erweitert und im großen Stil genutzt“, so Pastoureau.

Rote Lippen soll man ...

Die Farbe warnt, verordnet, verbietet, verurteilt und bestraft. Schiedsrichter ziehen Rote Karten. Bei Rot bleibt man stehen. Rote Lippen soll man Küssen. Aber es bleibt die Farbe der Erotik und Weiblichkeit. Eine Zeit lang wurden rote Lippen in die Schmuddelecke verbannt, aber Lippen rot zu bemalen ist etwas, was Frauen in allen Epochen getan haben. Im Jahr 1927 erfand der Chemiker Paul Baudecroux für die Lippen ein unauslöschliches Rot, das „kussecht“ war. Er nannte es „Rouge Baiser“. Audrey Hepburn soll es gerne getragen haben.

Farbe der Liebe und des Glücks. In anderen Kulturen der Welt ist Rot eine beliebte Farbe bei Hochzeiten, von der Römerzeit, als Bräute rote Tücher trugen, um Liebe und Treue zu garantieren, bis hin zum heutigen China, wo die Farbe Glück und Wohlstand symbolisiert. In manchen Sprachen, zum Beispiel im Russischen, war „rot“ lange ein Synonym für „schön“. Kein russisches Heim kam früher ohne die „rote Ecke“ aus, den würdevollsten Platz im Haus.

Rot ins neue Jahr rutschen

Woher allerdings der Brauch rote Unterwäsche zu Silvester zu tragen stammt, der sich übrigens nicht nur auf Frauen bezieht, ist nicht eindeutig überliefert. Auffällig ist, dass er besonders in Südeuropa, vor allem Italien, Spanien, aber auch in der Türkei verbreitet ist. Einige Historiker glauben, er entspringe der römischen Kaiserzeit. Wieder andere sind der Meinung, dass der Aberglaube in China seinen Ursprung hat. Besser vorbereitet kann man ins neue Jahr jedenfalls gar nicht rutschen.

Wenn ihr das nächste Mal „Rot seht“, denkt an die revolutionäre Geschichte der Farbe – und vielleicht auch an die Liebe.

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