Warum sich Menschen nach dem Landleben sehnen

Ob Lust auf Lederhosen oder Umfragen zur Blasmusik – die Sehnsucht nach Ländlichem ist groß. Warum sie nicht neu ist und wie die Grenzen zwischen Stadt und Land immer mehr verschwimmen.

"Sag mal: Muss der Freund Hektar haben?", fragte kürzlich Ö3. Ein anderes Mal wollte der Sender von jungen Menschen wissen: "Was ist das unnötigste Instrument in der Blasmusik?"

Die kürzlich gestartete Streamingplattform hektar.com will über das Landleben "ohne Klischees" berichten.

Mit Chris Steger gibt es einen Musiker, der aus seiner Herkunft keinen Hehl macht. Er wirft sich in die Lederhose und spricht, wie man im Salzburger Pongau eben spricht. Mit seinen Gesprächspartnern ist er sofort per Du. "Servus, i bin der Chris."

Es scheint gerade eine Welle der Sehnsucht nach dem Land über Österreich zu schwappen. "Ich glaube nicht, dass das ein Trend ist. Das war schon immer so. Aber heute sieht man auf Zeltfesten mehr Lederhosen als zur Fortgehzeit meiner Eltern", sagt der 19-Jährige. "Es ist gut, dass das Alte erhalten bleibt. Auf Tradition kann man stolz sein."

Sozialwissenschafter sehen keine Rückkehr zu alten Zeiten. "Das ist keine Renaissance einer alten Landsehnsucht, sondern es gibt neue, hybride Formen", sagt der Stadtsoziologe Christoph Reinprecht. Eine gewisse Natursehnsucht, die sich in Corona-Zeiten verstärkt habe, vermische sich in unterschiedlichen Ausprägungen mit traditionellen Inhalten wie Patriotismus und modernen, urbanen Themen. "Blasmusik und Lederhose bedeutet nicht viel. So ein Oktoberfest hat nichts mit dem Land zu tun." Der Stil sei beliebig, austauschbar. Das Dirndl und die Lederhose kommen einmal im Jahr aus dem Schrank und verschwinden danach wieder dort.

Und auch Chris Steger sagt, er zieht die Lederne in erster Linie wegen des Komforts und nicht wegen der mitschwingenden Bedeutungen an: "Es schaut einfach gut aus und ist gemütlich."

In der Pampa

Daniel Dettling findet eine Sehnsucht nach Natur und Land normal. Er ist Zukunftsforscher und leitet das Institut für Zukunftspolitik. "Der Wunsch ist so alt, wie es Städte gibt. Wir Menschen sind historisch Landbewohner. Als Höhlenmenschen lebten wir früher in kleinen Siedlungen." Aber auch er glaubt nicht an die pure Verherrlichung von Provinz und Provinzialität. "Es ist kein Entweder-Oder. Vielmehr verschwimmen die Grenzen zwischen Stadt und Land."

Oder wie Reinprecht sagt: "Es gibt eine globale Urbanisierung." Auch wenn die Menschen aus den Städten aufs Land ziehen, sei ihr Lebensstil urban geprägt. Anders als früher, als Menschen am Land stark an ihren Ort gebunden waren, seien sie heute mobil.

Die Situation sei aber paradox: "Sie leben zwar in der Natur, sind aber stärker auf das Auto angewiesen. Wie die zahlreichen großen SUVs in den Umlandgemeinden zeigen, ist für viele das Auto nach wie vor ein Götze. Daran ändert auch der Umstieg auf E-Mobilität wenig. Die mit der Technologie verbundene Weltanschauung ist aber eine urbane."

Kurze Wege, schnelle Wege lassen sich zunehmend auch auf dem Land realisieren, erklärt Dettling. "Die Digitalisierung ermöglicht es den Menschen, auf dem Land zu arbeiten." Viele Weltmarktführer, die Hidden Champions, kämen aus der Provinz.

Das kulturelle Leben spiele sich auch auf Streaming-Plattformen ab. "Insofern wachsen die beiden Sphären Stadt und Land zusammen." Gleichzeitig wollen die Städte ländlicher werden. "Grätzel- und Dorfstrukturen spielen eine größere Rolle. Und mit Urban Farming hält die Landwirtschaft Einzug in die Stadt."

In die Regionen

Dennoch gibt es offenbar unterschiedliche Lebensrealitäten. Und dort wollen die Ö3-Hörer abgeholt werden, meint Senderchef Michael Pauser. Ö3 wolle nicht nur als Radiostation, sondern "als wichtiger Bestandteil ihres Lebens wahrgenommen werden. Dies spiegelt sich in unserer starken Betonung von Regionalität wider". Dazu gehören wohl auch die Blasmusik, ihr unnötigstes Instrument und die Hektar-Frage.

Natürlich sehe man sich auch Trends ganz genau an. Im Frühling wurde die Ö3-Jugendstudie veröffentlicht, bei der rund 40.000 junge Menschen mitgemacht haben. Sie zeigt, "dass traditionelle Werte nach wie vor einen starken Trend darstellen. Die Sehnsucht nach einem eigenen Zuhause in Form eines Einfamilienhauses oder einer Eigentumswohnung ist bei 92 Prozent der Befragten vorhanden". Und 67 Prozent wollen heiraten.

Chris Steger schätzt am Landleben, dass traditionelle Werte gelten. "Jeder hilft jedem. Jeder kennt jeden. Das Servus, Griaß di geht automatisch." Dass die Werte verloren gehen, sieht er in seinem Umfeld nicht. "Es gibt keine Gefahr. Wer nicht grüßt, wird sofort angesprochen."

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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