Wie das Strombad Kritzendorf wieder die Wiener elektrisiert

Schwimmen in der Donau, außergewöhnliche Architektur - ein paar Kilometer von Wien entfernt. Das Strombad in Kritzendorf ist wieder angesagt. Wie es dazu kam.

Hinein in die trüben Fluten. Die Donau ist weder ein Warmwasserbecken noch eine türkis schimmernde Bucht auf Sardinien. Ihre Strömung ist stark und unaufhaltsam. Die markanten Häuschen auf Stelzen, die das Ufer säumen, ziehen wie Szenen eines Films vorbei. Nur ein paar Schwimmzüge – und das Landschaftsvideo in Echtzeit verwandelt sich plötzlich in einen Zeitraffer. Nur rechtzeitig bei der Liegewiese aussteigen.

„Das ist wie E-Bike-Fahren“, sagt Heinz Holzmann. So geht Baden in Kritzendorf. Ein paar hundert Meter flussaufwärts vom Strombad zu wandern, ist ein absolutes Muss an einem Sommertag. Egal, wie heiß es wird, der Fluss bringt Abkühlung.

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Holzmann ist Architekt und Wiener. Den Sommer verbringt er am liebsten im ehemaligen Sommerfrische-Refugium der Hauptstädter, das nur ein paar Kilometer vor der Millionenstadt liegt. Die Kombination aus Metropole, Auenlandschaft und dörflichem Charme fasziniert ihn. „Man ist am Land, aber doch in der Stadt. Es hat die Vorteile von beidem.“ 

Das angesagtes Lokal "Die Fischerin" hat eine schöne Terrasse

Holzmann ist auch Betreiber eines Lokals, das symbolisch für ein Kritzendorf steht, das seit einigen Jahren wieder hoch im Kurs ist. Er ließ das ramponierte „Café Restaurant Fischer“ renovieren und holte den Betreiber und Koch seines Lieblingslokals, David Zoklits, vom „Es gibt Reis“ an die Donau. Man serviert in "Die Fischerin" etwa knusprige Forelle in feurig-scharfem Thai Curry und Fish & Chips aus österreichischem Wels. 

Die Terrasse mit ihren riesigen Schirmen und dem Blick auf den majestätischen Strom ist an Sommerabenden stets gut besucht.

Holzboden, große Schirme, viele Menschen. Die Gäste haben bei Sonnenuntergang einen schönen Blick auf die direkt vorbeifließende Donau.

Die Terrasse  der „Fischerin“. Holzboden, große Schirme, viele Menschen. Die Gäste haben bei Sonnenuntergang einen schönen Blick auf die direkt vorbeifließende Donau.

©Heinz Holzmann

Auf der großen Wiese, im Hintergrund das markante, schon leicht abgeranzte Brückengebäude am Zugang, liegen Menschen entspannt, bevor sie ihre Zehen in den kühlen Fluss halten. Viele Gäste kommen wie schon die Sommerfrischegäste vor hundert Jahren mit dem Zug hierher.

 Vom Wiener Bahnhof Heiligenstadt dauert es nur eine Viertelstunde bis zur Katastralgemeinde Klosterneuburgs. Wer ankommt, überquert eine stählerne Brücke und ist mitten in der Auenlandschaft. Mit dem Rad ist die Strecke auch in 50 Minuten zu schaffen. Einige reisen auch auf dem Wasser an.

Mit dem Boot von Wien nach Kritzendorf fahren

Heimo Wilfan bringt sie mit seinem Boot (buchbar unter [email protected]) hierher. Mit weißem Bart, einer Zigarette im Mund und Kopfbedeckung sieht er aus wie ein Seemann. Tatsächlich ist er halb Norweger, segelte viel im Mittelmeer und schippert nun zwischen Wien und Kritzendorf. Aber anders als sein Äußeres vermuten lässt, war er nicht sein Leben lang Kapitän, sondern früher Sozialarbeiter.

Ein Boot legt am Donauufer in Kritzendorf an. Darauf steht ein Mann mit Hut - im Hintergrund liegt am anderen Ufer  Korneuburg

Heimo Wilfan bringt auf Anfrage Gäste mit dem Boot von Wien nach  Kritzendorf

©Heinz Holzmann

Auch er wohnt in der Siedlung am Fluss. „Als wir hergezogen sind, waren sehr viele alte Leute da, die nach dem Hochwasser im Jahr 2002 verkauft haben. Dann kamen kontinuierlich junge, urbane Menschen. Es gab eine Durchmischung. Jetzt geht es schon fast in die Richtung zu viel Bobo“, sagt er. Häuser sind heiß begehrt. Medienleute, Grafiker, Menschen aus der Kunstwelt haben sich angesiedelt.

Nach dem verheerenden Hochwasser 2013 entwickelten die Menschen in der Siedlung große Solidarität. „Man kennt sich, trifft sich und hilft einander gegenseitig“, erzählt Heinz Holzmann. Daraus entstand der Verein „Kulturinsel Strombad Kritzendorf“: Sein Motto: „Lass dich treiben und schwimm gegen den Strom.“

Der Verein ließ die alte – und ohnehin niemals ernst genommene – Konkurrenz zwischen den Ortsteilen Oberau und Unterau bei einem Seilziehen wieder aufleben. Mittlerweile sitzt man lieber an einem Tisch. Und zwar an einer langen Tafel, wo man sich im August zwischen Ober- und Unterau zum gemeinsamen Essen trifft. Das ist nett.

Musikpavillon steht neu auf der Liegewiese

Aber sie können auch renitent sein, die Kritzendorfer. Als darüber nachgedacht wurde, den alten Pavillon abzureißen, drohten einige sogar, sich anzuketten. „Er ist das Symbol für Kritzendorf, das Symbol für Kultur“, sagt Wilfan. Der angedrohte Protest hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Vor Kurzem wurde der Pavillon nach historischem Vorbild wieder aufgebaut und feierlich eröffnet. Jetzt kann man ihn gegen Entgelt nutzen.

Ein Schwarz-Weiß-Bild zeiget eine große Liegewiese. Es sind viele Menschen zum Baden gekommen. Mittendrin steht der Musikpavillon.

Der Kritzendorfer Musikpavillon in den späten 1920ern

©Archiv der Stadt Klosterneuburg (AStKl) Fotosammlung Kritzendorf, HF 07

Kritzendorf war schon immer etwas Besonderes. „Reiche, Arme, Rechte und Linke haben Freiheit zelebriert. Das spürt man“, sagt der Wilfan, während er gemächlich die Donau durchkreuzt.

Dass dieser Geist heute wieder durch die Siedlung weht, hat wohl auch mit Lisa Fischer zu tun. Sie hat den Alteingesessenen das Paradies gestohlen. Zumindest wurde ihr das vorgeworfen. Aber das kann sie nicht erschüttern. „Das Paradies muss man schon teilen. Das gehört einem nicht alleine“, sagt sie.

Die Riviera an der Donau

Fischer ist Historikerin. Im Jahr 2003 veröffentlichte sie zum 100-Jahr-Jubiläum das Buch „Die Riviera an der Donau“ und war 2004 für eine Ausstellung im Wien Museum mitverantwortlich. Plötzlich war Kritzendorf wieder in den Medien, ein neues Publikum entdeckte es für sich. Nun ist ihr Buch in überarbeiteter Neuauflage beim Czernin-Verlag erschienen.

Eine hölzerne Überdachung am Eingang des Strombads Kritzendorf. Darauf steht als Zugang zu den Kästchen "Objekte ACFG"

Zugang zu den ehemaligen Kästchen im Strombad 

©Pedro Salvadore

Für Fischer ist Kritzendorf ein Freiluftmuseum. „Es ist so inspirierend“, schwärmt sie. Früher waren es die Intellektuellen und Kunstschaffenden, die den Ort so besonders machten. Ludwig Anzengruber war hier, und Heimito von Doderer beschrieb Kritzendorf in „Die Strudlhofstiege“. Das Progressive feierte fröhliche Urständ: „Hier trafen Musikkapellen auf modernen Jazz und Symphoniker. Mit dem Badeanzug kam die Freizügigkeit. Hier hat konservatives Denken keinen Platz.“ 

Wie der Ribiselwein für Exzesse in Kritzendorf sorgte

Was die Stimmung vom Lockeren ins Exzessive kippen ließ, war der Ribiselwein. Ursprünglich sollte er Abhilfe schaffen, nachdem die Reblaus im 19. Jahrhundert die Weinstöcke zerstört hatte. Doch der Wein war ein gefährliches Getränk. Die Süße verschleierte den Alkohol, und der hohe Zuckergehalt ließ ihn gehörig in die Blutbahn fahren. Deshalb nannten ihn die Einheimischen „Kindermacherwein“.

Die Wiener strömten seit 1903 in Scharen hierher. Kritzendorf war eines der ersten Freiluftstrombäder. Zuerst planschte man in sicheren Badekörben – anfangs noch mit zwei getrennten Abteilungen für Männer und Frauen. Im Gegensatz zum Salzkammergut, dem Semmering oder Baden war ein Urlaub hier relativ günstig. Daher kamen nicht nur Adel und Großbürgertum, sondern auch die Mittel- und Kleinbürger.

Die Blütezeit der Siedlung war in den 1920er-Jahren. In mehreren Ausbaustufen entstanden neben kleinen Kabinen Villen, Strandhäuser und sogenannte Cottages. Aufgrund der Hochwassergefahr wurden viele Häuser auf Stelzen gebaut. Man zelebrierte die Riviera an der Donau und nannte den Ort im Volksmund „Kritz-les-Bains“, angelehnt an französische Badeorte. Auch wenn Karl Farkas unkte: „Statt Aix-les-Bains – nur Kritz-les-Bains! Statt hochmondän nur badehäuslich, scheußlich.“

Kritzendorfs Brücke soll zum Jubiläum wieder strahlen

Ab 1928 erlebte das Bad nach einer zweiten Ausbauphase durch die Architekten Heinz Rollig und Julius Wohlmuth seinen Höhepunkt. Das markante Brückengebäude vor der Liegewiese wurde errichtet. Zum 100-Jahr-Jubiläum soll es wieder in neuem Glanz erstrahlen – das wünschen sich die Kritzendorf-Fans. Noch ist etwas Zeit.

Ein Brückengebäude, das in der Mitte einen Zugang zur Liegewise hat. Es ist schon in die Jahre gekommen und mit Eternitplatten ausgestattet. In roter Schrift steht "KRITZENDORF" darauf

Die Brücke in Kritzendorf: Sie markiert den Eingang zum Strombad

©Pedro Salvadore

 „Es sollte das Bad von der Natur abgrenzen. Man geht durch Rondeau und Tor und kann bis ans Schwarze Meer“, erklärt Fischer. Ebenfalls ikonisch sind die funktionalen Häuser aus der Klosterneuburger Wagenfabrik Kawafag. Sie bestechen durch klare Formen und erinnern mit ihren Bullaugen und Rundungen an Schiffe.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten galten fast 80 Prozent der Häuser laut Nürnberger Rassegesetze als jüdisches Eigentum. Die Besitzer wurden enteignet.

Buchtipp

Buchtipp

Lisa Fischer: Die Riviera an der Donau. Das Strombad Kritzendorf, Czernin, 176 Seiten, 28 Euro, czernin-verlag.com  

„Faszinierend ist, dass der erste provisorisch eingesetzte Vizebürgermeister schon im Mai 1945 die ganzen Nazis wieder rausgeschmissen hat“, sagt Wilfan. Das war einzigartig in Österreich . Dass man das heute weiß, ist ein Verdienst Lisa Fischers, die das lang verdrängte Thema aufgearbeitet hat.

Anarchie ohne Schranken im Strombad 

Die Vertriebenen kehrten nicht zurück. Nach dem Krieg verlor Kritzendorf an Bedeutung. Die „Gartenzwergefraktion“, wie Fischer es nennt, übernahm das Ruder. Manchmal blitzt heute noch ein Wunsch nach Abschottung durch, hört man. Aber keine Chance. „Es gibt keine Schranken und keine Regeln wie bei einer Kleingartensiedlung. Das ist das Schöne“, sagt Holzmann. Wilfan stimmt zu. „Kritzendorf hat etwas Anarchisches. Das war schon immer so.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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