Wer liebt Liebe zu dritt? 70 Jahre "Jules und Jim"

Lange wusste niemand, dass hinter dem legendär verfilmten "Dreier" eine wahre Geschichte steckt, keine fiebrige Fantasie. Zum Jubiläum stellen wir die Frage: Kann eine Ménage-à-trois auf Dauer gut gehen? Ein Überblick.

"Die bitte nicht, Jim!“, sagt Jules zu seinem Freund, nachdem sie die schöne Catherine kennengelernt hatten. Es ist also nicht so, dass die berühmte Dreiecksgeschichte von Beginn an der erotische Wunsch aller Beteiligten gewesen wäre. Der eine Mann hatte durchaus Exklusivität im Sinn, der andere weniger – und die Frau, wer kann das schon wirklich sagen? Im echten Leben war es die deutsche Malerin und Journalistin Helen Grund, die für die von Jeanne Moreau so anbetungswürdig verkörperte Französin Catherine oder Kathe, wie sie im Roman hieß, Pate gestanden hat.

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Besitzergreifend und narzisstisch, sprunghaft und leidenschaftlich, immens begabt, aber wenig fokussiert – so wird Helen Grund von Zeitzeugen beschrieben. Mit 16 plant sie, ihren gleichaltrigen Cousin zu heiraten und mit ihm durchzubrennen, mit 20 ist sie unsterblich in ihren 30 Jahre älteren Kunstlehrer verliebt. Mit 26 trifft sie im legendären Pariser Café du Dôme die beiden besten Freunde Henri-Pierre Roché und Franz Hessel, ein Pariser Kunsthändler und ein Berliner Dichter...

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch

  • Friedrich Nietzsche bekommt die Peitsche
  • Zwei Frauen und ein Mann: Der bessere Dreier?
  • Frauen nehmen sich, was sie wollen

Es war im Jahr 1912, Paris war das kulturelle und erotische Zentrum der Welt, und die beiden Herren hatten einige Erfahrung in amourösen Abenteuern zu dritt. Aber nicht diesmal, „Pierre, pas Hélène“, bat Franz Hessel den Freund: „Nicht Helen“.

Bis einer weint ...

Wie wir wissen, kam es natürlich anders, im Film wie  im Roman – und genau so im echten Leben. Und es ging nicht gut aus, auch hier entspricht die künstlerische Verarbeitung der Realität.

Nur dass Helen sich nicht gemeinsam mit Henri-Pierre Roché in einem Auto in der Seine versenkte, Gott bewahre, sie übersetzte in den 1950er-Jahren Nabokovs Skandalroman „Lolita“ für den Rowohlt Verlag ins Deutsche und war, wie sie schrieb, „besessen“ von diesem Buch. In den Sechzigern verliebte sie sich noch ein klein wenig in Truffaut, den sie bei den Dreharbeiten zu „Jules und Jim“ kennenlernte und starb erst 1982, im Alter von 96 Jahren, „unbelehrbar und risikofreudig bis zuletzt“, wie es in einem Nachruf hieß.

Aber immerhin bedrohte sie Roché 1933 beim endgültigen Bruch wegen seiner ständigen Affären mit einem Stock oder einem Revolver, da sind die Quellen uneins.  Auch ihr Mann Franz Hessel musste versprechen, seinen – noch immer – Freund nicht mehr zu sehen. Natürlich.

Sieht man dann aber den, verglichen mit Helen Hessel eher uninspirierenden deutschen Schauspieler Gedeon Burkhard neben den beiden Frauen, die ihn aus der Vergessenheit zurück ins Rampenlicht gebracht haben, grinsen wie ein Hutschpferd, stellt man sich spontan die Frage: Kann das vielleicht doch klappen oder freut sich der nur so, weil er endlich wieder fotografiert wird?

Vielleicht war ja bei Helen, Franz und Henri nur die Konstellation eine falsche, vielleicht geht es allen besser, wenn zwei Frauen sich um einen Mann bemühen? In ebendieses Horn stößt ganz aktuell  ja auch der ehemalige „Richter Gnadenlos“ und noch immer gnadenlos peinliche Ronald Schill, der in Rio de Janeiro mit gleich mehreren Frauen in einer Favela wohnt.

Zwei Frauen und ein Mann?

Was sagt also zum Beispiel Henry Miller dazu? Der New Yorker Erotomane, von der Kritik als „Sprachgenie der Obszönität“ gefeiert, lebte in den 1930ern einige Zeit mit June Mansfield, der zweiten seiner insgesamt fünf Ehefrauen, und der amerikanisch-französischen Schriftstellerin Anaïs Nin in einer durchaus aufgeheizten Beziehung.

Lange ging diese Kiste allerdings auch nicht gut, Madame Nin, die sich nicht nur von Henry, sondern ganz besonders auch von der schönen June magisch angezogen fühlte, wirkte, wie sie später schrieb, eher als „Katalysator“, der die endgültige Entfremdung des Ehepaars Miller beschleunigte. Aber immerhin verhalf sie Henry noch zur Veröffentlichung seines ersten Romans, dem skandalträchtigen „Wendekreis des Krebses“.

Vor den Karren gespannt: die Philosophen  Paul Rée und Friedrich Nietzsche, Lou Andreas-Salomé schwingt die Peitsche

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Mit dem von Miller hochverehrten Friedrich Nietzsche ist auch ein Mann in dieser Dreier-Runde, von dem man das auf Anhieb nicht erwartet hätte. Nietzsche? Ja genau, der mit der Peitsche. Nur dass er auf einer von ihm selbst inszenierten Fotografie eben NICHT die Peitsche schwingt, sondern sie einer jungen Frau in die Hand gibt. Während er gemeinsam mit seinem damals besten Freund, dem Philosophen und Arzt Paul Rée den Karren zieht, in dem eben jene junge Frau sitzt.

Der Hintergrund? Die beiden Enddreißiger Rée und Nietzsche hatten sich rettungslos in die 21-jährige, so schöne wie kluge Lou Andreas-Salomé verliebt, die mit ihrem scharfen Intellekt später auch Siegmund Freund schwer beeindrucken soll. Jahrelang sind Salomé, Rée und Nietzsche unzertrennlich, machen alles zu dritt, die junge Frau genießt die Aufmerksamkeit der beiden Denker, will sich aber nicht festlegen.

Was Nietzsche schließlich zur Inszenierung des Fotos bringt. Als er seinen Freund Rée vor ihr schlechtzumachen beginnt, zerbricht das Dreieck schließlich. Ein Jahr später schreibt Nietzsche im Zarathustra schließlich seinen berühmten Satz, der allerdings immer falsch zitiert wird. Denn es ist eine Frau, die dem Helden des Buchs einen Rat mitgibt: „Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht.“ Wofür, um sich zu wehren? Oder um sie ihnen zu übergeben, wie Nietzsche es mit Salome gemacht hat?

Grinsekatze: Gedeon Burkhard mit Sasha Veduta und Ann-Britt Dittmar

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Sieht man also vom aktuellen Wonneproppen Burkhard ab, scheinen die polyamorösen Beziehungen – zumindest die im Scheinwerferlicht – nicht unbedingt von andauerndem Liebesglück begleitet zu sein. Die musikalisch-literarischen Vorzeigefreigeister Amanda Palmer und Neil Gaiman ließen sich kürzlich scheiden, und Tilda Swinton lebt mit ihrem jungen Sandro Kopp mittlerweile anscheinend alleine auf ihrem schottischen Schloss, nachdem ihr Ehemann John Byrne ausgezogen ist.

Das Diven-Syndrom

Mrs. Swinton scheint mit ihren Männern ohnehin nicht so sehr in der „Juhu-Fraktion“ beheimatet, in der drei Erwachsene sich in gemeinsamer Begeisterung auf ein unkonventionelles Beziehungsexperiment einlassen und das unglaublich aufregend finden. Eher steht sie in der Tradition der großen Diven und Femmes fatales wie Alma Mahler-Werfel und Marlene Dietrich, deren jeweilige Männer die Leidenschaften ihrer Angebeteten akzeptierten, aber nicht teilten.

 Die große britische Schriftstellerin Iris Murdoch führte quasi die Blaupause einer derartigen Beziehung.  Ihr Mann, der Literaturkritiker John Bayley, dessen Erfolg als Autor überschaubar war,  wusste von ihren Affären mit anderen Männern und Frauen, war wohl bei einigen Anlässen auch zugegen, hielt Sex aber für „unausweichlich lächerlich“, wie er in seinen Memoiren schrieb.

Nichts zu lachen hatte dann ihrerseits allerdings Iris Murdoch in ihrer Beziehung mit Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, der sie despektierlich als „Oxford-Ragout“ bezeichnete. Zwei Jahre lang dauerte die Affäre, Canettis Frau Veza öffnete die Türe, wenn Murdoch von Canetti „vorgeladen“ wurde und kochte anschließend für alle drei. Während Murdoch sich demütigen ließ und dennoch immer wieder kam, wenn der „Zauberer“, wie sie ihn in einem ihrer Romane nannte, nach ihr verlangte ...

Vielleicht ist es ja einfach so, dass eine Beziehung zwischen zwei Menschen schon kompliziert genug ist – und es die Sache nicht vereinfacht, wenn man jemand Dritten ins Spiel bringt. Zumindest macht es diesen Anschein, wenn man die prominenten Versuche der älteren und jüngeren Vergangenheit betrachtet.

Aber vielleicht belehrt uns ja Gedeon Burkhard eines besseren. Wer kann das schon sagen, bevor es Geschichte ist?

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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