Eine Frau, zwei Männer: Wie das Leben zu dritt funktioniert

"Wie wäre es eigentlich, wenn wir zu dritt mit einer Frau leben?", fragte ein Freund. Nach einer Woche wussten wir die Antwort.

Gedeon Burkhard ist zufrieden. Der Schauspieler und Regisseur lebt seit geraumer Zeit mit zwei Frauen und hat dieses Beziehungsmodell erst unlängst öffentlich thematisiert. Auf Drängen seiner beiden Partnerinnen übrigens. Weil diese immer wieder darauf angesprochen wurden und sich verteidigen mussten. 

Dieses ständige in der Defensive sein ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen für Menschen in polyamorösen Beziehungen, sagt Natascha Ditha Berger, klinische Sexologin und Psychotherapeutin mit Trauma-Spezialisierung. Ihre These: "Polyamory ist die pure Selbsterfahrung." Und: "Monogamie fetischisiert den Sex."

➤ Hier mehr lesen: Polyamorie: „Meine beiden Männer sind mittlerweile beste Freunde“

Ob diese Behauptungen tatsächlich stimmen, wollte ich dann natürlich ganz genau wissen – und der Zufall spielte dabei Regie ... 

In diesem Artikel lest ihr:

  • Warum das Leben von zwei Männern mit einer Frau entspannter ist als jenes von einem Mann mit zwei Frauen
  • Warum Menschen in polyamorösen Beziehungen mehr Stress erleben als monogame Menschen
  • Warum Sex eigentlich gar nicht so wichtig ist
  • Warum Männer ihre Beziehung oft öffnen wollen, dann aber doch wieder den Schwanz einziehen

Natürlich stellen sich angesichts des noch jungen Beziehungskonzepts Polyamory als Außenstehender zahlreiche Fragen: Wie läuft das eigentlich ab zu Dritt? Wie gehen die Beteiligten um mit Streitigkeiten, Aufmerksamkeit oder Eifersucht? Und liegt man dann eigentlich nur im Bett und macht zu Dritt rum?

Experiment: Leben zu Dritt

Dem Autor sind offene Beziehungsformen nicht gänzlich unbekannt. Und auch in seiner Bubble gibt es einige außergewöhnliche Konstellationen abseits des klassischen Mann-Frau-Schemas.

Letztens klagte ein Freund, dass das Leben mit zwei Frauen weniger entspannt sei, als Mann das vielleicht annehmen würde – und machte im selben Atemzug ein (unmoralisches?) Angebot: Er würde gerne testen, ob es in anderer Konstellation zu Dritt, nämlich konkret zwei Männer mit einer Frau, nicht viel einfacher wäre, den Alltag zu bewältigen.

Experiment unter "entschärften" Bedingungen

Schließlich sei er angesichts der Bedürfnisse zweier Frauen doch immer wieder mal überfordert - sei es in sexueller, emotionaler oder zwischenmenschlicher Hinsicht. Im aktuellen Experiment aber mit der Einschränkung beziehungsweise "Erleichterung", dass keine tiefergehenden "Liebes-Gefühle" zwischen den drei Personen im Spiel sind. Was die Sache definitiv einfacher machte.

Das Leben besteht ja bekanntlich aus (genutzten und ungenutzten) Gelegenheiten. Zu so einem Angebot in der realen Timeline kann Mann einfach nicht nein sagen. Die gemachten Erfahrungen waren es jedenfalls wert. Aber anders, als vor dem Experiment gedacht...

Dann tauchten auch selbstkritische Fragen auf wie: Sind die Konzepte von offenen Beziehungen beziehungsweise polyamorösen Lifestyles vielleicht Ausdruck unserer Konsumgesellschaft, in der die Beliebigkeit regiert und schon im nächsten Regal (Beziehung) das bessere Produkt (Partner) warten könnte?

Leb doch, wie du willst

Nicht jeder sei für polyamoröse Beziehungen geeignet, sagt dazu Psychotherapeutin Natascha Ditha Berger. Die Psychotherapeutin praktiziert seit 2013 und hat sich auf die Behandlung von Patienten aus der Poly- und Kink-Szene spezialisiert. "Für die konventionelle Psychotherapie ist oft die spezielle Lebensweise die Ursache für die bestehenden Probleme. Die Folge ist dann oft ein Abbruch der Therapie", erzählt sie von ihren Erfahrungen. 

2014 hat sich die erste Poly-Klientin bei ihr gemeldet, ab dann hat sie sich auf diesen Bereich spezialisiert. In diesen zehn Jahren sei das Thema Polyamory viel präsenter geworden, wohl auch aufgrund der hohen Scheidungsraten und der zunehmenden Perspektivenlosigkeit der Jugend, so ihre Vermutung. Der Vorteil? "Es wird viel offener damit umgegangen", sagt Berger.

Experiment: Mehr Spaß zu Dritt

Eines gleich vorweg: Hochwertige sexuelle Erfahrungen zu Dritt gab es nicht wirklich. Zu kompliziert alles, wenn die daran beteiligten Menschen nicht richtig aufeinander eingespielt und die Männer beide nicht bisexuell sind.

Gedeon Burkhard, der seiner Dreier-Konstellation noch gerne einen Mann hinzufügen würde, findet es übrigens schade, nicht "in beiden Gärten spielen zu können“". Dem pragmatisch denkenden Autor geht es ähnlich: Größerer Markt, besseres Angebot. Womit wir wieder bei der Konsumgesellschaft wären, aber lassen wir das. 

Weniger Sex, mehr Alltag

Denn insgesamt stand bei diesem Experiment weniger der Sex im Mittelpunkt als der Alltag beziehungsweise die Gestaltung von endlichen Ressourcen wie Freizeit oder auch Aufmerksamkeit. Dabei zeigt sich: Zu Dritt geht vieles leichter.

Bei Freizeitaktivitäten stehen die Chance auf einen mitmachwilligen Partner doppelt so gut, unternimmt man etwas zu Dritt ist es sowieso lustiger und auch der Gesprächsstoff geht im Triangel so gut wie nie aus. Und von so viel Aufmerksamkeit, wie "unsere" (doch recht fordernde) Sie bekam, kann jede Frau in einer monogamen Beziehung nur träumen. Lästig war das übrigens keinem der beiden Männer.

"Diese Flexibilität ist in einer monogamen Beziehung einfach nicht möglich", weiß Berger aus Gesprächen mit ihren Klientinnen und Klienten. "Fehlt mir nur eine Sache, die mir mein Partner nicht geben kann, die ich aber unbedingt brauche, sieht man in konventionellen Beziehungen oft nur die Möglichkeit, die Beziehung zu beenden oder fremd zu gehen" 

"Polyamory ist die pure Selbsterfahrung"

Man dürfe aber nicht glauben, dass diese Flexibilität das Leben insgesamt einfacher machen würde, denn: "Polyamory ist die pure Selbsterfahrung. Alle deine Themen werden dir um die Ohren fliegen. Auch diejenigen, von denen du noch gar nicht wusstest, dass du sie hast, weil sie in monogamen Beziehungen nicht auffallen. Im nicht-monogamen Setting potenziert sich alles. Das ist definitiv mehr Stress", sagt die Expertin.

Aber: "Das Tolle daran ist aber, dass sich alle Partner in der Beziehung besser entwickeln können, ohne diese gleich abbrechen zu müssen." Ein weiterer Aspekt sei auch die im Vergleich zu monogamen Beziehungen geringere Co-Abhängigkeit. "Außerdem muss ich ganz genau überlegen: Was will ich? Das fördert die Eigenverantwortung."

Experiment: Dreifache Erkenntnis

Was ist also nun geblieben vom Experiment zu Dritt? Die wichtigste Erkenntnis: Leben zu Dritt macht einfach Spaß - kein Stress mit unmöglich zu erfüllenden Forderungen angesichts eines kleines Zeitbudgets, die Arbeiten des Haushalts teilen sich auf drei Personen auf und überhaupt ist immer jemand für einen da, auch wenn ein Partner beschäftigt ist. 

Betont werden muss allerdings, dass das Experiment erstens auf eine Woche beschränkt war und sich trotz des "normalen" Alltags ein wenig wie Urlaub (vielleicht vom richtigen Alltag) angefühlt hat. Und dass der Faktor Emotionen einfach keine Rolle spielte - weil die drei Protagonisten nicht "romantisch" ineinander verliebt waren. Und es jetzt auch nicht sind. 

Mehr Lust auf Alles

Ein weiterer positiver Aspekt in sexueller Hinsicht: Haben zwei Personen aufeinander Lust, steigt diese auch beim Dritten. Größter Profiteur in dieser Konstellation: Sie. 

Insgesamt also eine Erfahrung, die keiner der drei Beteiligten bereut hat. Auch wenn die (vielleicht erhofften und vor dem inneren Auge mancher Leserinnen/Leser eventuell vorab auftauchenden Bilder von) Orgien nicht stattgefunden haben.

Eine Erkenntnis, die Psychotherapeutin Berger bestätigt. "Sex ist insgesamt gar nicht so wichtig und wird eher zur Nebensache." Die Expertin ist eher der Meinung: "Monogamie fetischisiert den Sex." Andernfalls müssten sich offen polyamorös lebende Menschen nicht ständig dafür rechtfertigen müssen beziehungsweise würden ständig nach ihrem Sexleben gefragt werden.

Enttäuschte Männer

Und sie hat noch eine Erkenntnis aus offenen Beziehungen, die vor allem Männer betrifft. Diese sind es nämlich, die meist auf das Öffnen der Beziehung drängen. "Und dann beginnt für sie oft der Frust." Denn während die Frauen, zum Beispiel auf Dating-Plattformen, unzählige Angebote unterbreitet bekommen, herrscht in den männlichen Postfächern meist gähnende Leere.

"Und dann bemerkt der Mann, dass Frauen es viel einfacher und zig Möglichkeiten haben - und will die Beziehung schnell wieder zumachen", sagt die Expertin. Nur wollen die Frauen dann oft nicht mehr zurück in die alte Form. 

Ganz nach dem Motto: "Die Geister, die ich rief."

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