Ildikó von Kürthy im Interview: „Glück ist nicht so wichtig!“

Knapp acht Millionen verkaufte Bücher machen Ildikó von Kürthy zu einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen des deutschen Sprachraums. Mit der "freizeit" sprach sie über starke Männer, Frauen, die ihre Krallen schärfen – und das Glück natürlich.

Mit ihrem Debüt-Roman „Mondscheintarif“ wurde sie 1999 zum literarischen „Fräuleinwunder“ – und zählt seither kontinuierlich zu den meistgelesenen Autoren in Deutschland und Österreich. Die Heldinnen ihrer so witzigen wie klugen Romane suchen das Glück oder neue Männer oder beides, weil es irgendwie doch zusammenzuhängen scheint.

Und spielerisch leicht gelingt es von Kürthy, dabei immer ganz nah am Leben zu sein. „Genau!“, denkt man, wenn man über die Schrullen, Ängste und Abenteuer ihrer Protagonisten liest oder: „Ja, die/den kenn ich!“

Ildikó von Kürthy mit ihrem Hund: Die Goldendoodle-Dame heißt Hilde und ist auch schon Star eines Buchs

©SONJA TOBIAS

In ihrem neuen Buch "Morgen kann kommen" geht die Erfolgsautorin neue Wege, schreibt erstmals auch aus männlicher Sicht und erkennt die Kraft von Frauen über 50. Es ist ein unterhaltsamer literarischer Befreiungsschlag. Der "freizeit" erklärt sie unter anderem, warum es keine glücklichen Ehen gibt, was man vom Leben erwarten sollte und wie viel von ihr selbst in ihren Figuren steckt.

Frau von Kürthy, Sie sagen über sich: „Ich bin nicht dazu da, die Leute zu langweilen.“ Was langweilt Sie selbst? Und ich hoffe, Sie sagen jetzt nicht „Interviews“ ...
Ildikó von Kürthy: (lacht) Da kommt’s natürlich sehr auf das Interview an. Was mich tatsächlich sehr langweilt, sind Menschen ohne Selbstzweifel, Leute, die glauben, an ihnen sei nichts zu verbessern. Ich mag Prozesse, Veränderungen – die sind für mich sehr spannend.
In Ihren Büchern sind junge – oder mittlerweile nicht mehr ganz junge – Menschen auf sympathisch unorganisierte Weise auf der Suche nach dem Glück. Sie sagen aber auch: „Glück ist nicht so wichtig.“ Wie passt das zusammen?  
Meine Heldinnen suchen schon lange nicht mehr nach dem Glück. Sie wissen längst, dass es kein dauerhaftes Glück gibt. Sie stellen sich Fragen: Wo stehe ich? Und wo will ich hin? Wer bin ich? Und wer will ich sein? Meine Protagonistinnen stehen für Veränderung. Ob die ins Glück führt, ist nicht klar und auch gar nicht maßgeblich.
Nicht maßgeblich?
Ewige Liebe, permanentes Glücklichsein, Freude ohne Ende – als Gesamtpaket darf man vom Leben nicht erwarten, dass es all diese Kriterien, die uns als erreichbar vorgegaukelt werden, erfüllt. Krisen gehören dazu. Wer das nicht akzeptiert, ist auf dem Holzweg, der direkt ins Unglück führt. Und eines sollte uns klar sein: Durch tägliches Yoga und zuckerfreies Essen werden wir Lebenskrisen nicht verhindern, ganz egal was uns Ratgeber, Life-Coaches und Influencer weismachen wollen. Zu einem erfüllten Leben gehört das Unglück genauso dazu wie das Glück.

Die Leichtigkeit des Seins? Ildikó von Kürthy hat ihre eigenen Gedanken zum Thema Glück

©SONJA TOBIAS
Wie sehr irritiert uns das „Glück der anderen“, mit dem wir heute praktisch ständig per Instagram, Facebook, TikTok & Co. konfrontiert werden?
Das ist für viele, besonders heranwachsende Menschen ein schreckliches Problem. Man vergleicht sich mit Menschen, die nicht echt sind. Da braucht man schon ein sehr intaktes Selbstbewusstsein. Denn diese Bilder vom perfekten Glück verfolgen uns mittlerweile überall, nicht nur in manchen Filmen und der Werbung, sondern eben auch auf Social Media. Und da sehe ich dann Menschen, die einen Traum leben. Der perfekte Körper, der wunderschöne Partner, das permanente Glück beim Morgen-Kaffee, beim Abendessen, mit Freunden an der Bar, im Urlaub … Selbst wenn man weiß, dass man es mit gut gefilterten Highlights zu tun hat, wirken diese Bilder auf das Unbewusste und machen uns das Leben schwer.
Dieses Phänomen gab es 1999, bei ihrem erfolgreich verfilmten Debüt-Roman „Mondscheintarif“ noch nicht. Dort hatte ihre Heldin Cora Hübsch aber dennoch so einige Probleme.
Natürlich gab es das Phänomen in Maßen immer schon. Nur hat uns früher gerade mal der Glanz eines anderen Mädchens auf dem Schulhof das Gefühl vermittelt, etwas nicht erreicht zu haben, etwas zu versäumen. Heute vergleichen wir uns mit der ganzen Welt. Oder eben dem, was uns die Menschen in diesen Medien von sich zeigen. Aber der Hang, anderen gefallen zu wollen, womöglich besser als uns selbst, steckte immer schon in uns. Heute sind diese anderen eben viel, viel mehr.
Schon dieser erste Roman von Ihnen wurde im gesamten Feuilleton gefeiert. Vor allem Ihre „Einblicke in die verwirrte moderne Frauenseele“ wurden hervorgehoben. Wie verwirrt ist die moderne Frauenseele 23 Jahre später?
Heute ist die Männerseele auch verwirrt. Was ich nur gerecht finde. Die musste sich ja über Jahrhunderte im Patriarchat viele Fragen gar nicht stellen. Das ist jetzt anders. Frauen sind so verwirrt wie damals, aber das ist ja auch etwas Menschliches: verwirrt zu sein. Weil das Leben eben keine Schablone ist. Sonst wäre es ja auch schrecklich langweilig. Sie wissen ja, ich mag Veränderungen, Prozesse ...
Frauenseele – Frauenliteratur. Sie galten von Anfang an als wichtige Vertreterin dieses Genres. Können Sie mit dem Begriff etwas anfangen, ist er einfach überholt – oder geht er Ihnen auf die Nerven?
Der Begriff ist mir generell zu schwammig. Was soll denn damit gemeint sein? Eigentlich ist doch alles Frauenliteratur, weil die meisten Leser eben Leserinnen sind.
In Ihrem aktuellen Buch „Morgen kann kommen“ macht sich Ruth, eine Ihrer ProtagonistInnen, ständig Sorgen über zukünftige Ereignisse. Sie haben dafür den hübschen Ausdruck „Vorfurcht“ erfunden. Das ist dann allerdings etwas, das Sie selbst entschieden ablehnen, nicht?
Natürlich würde ich Vorfurcht entschieden ablehnen. So wie ich eine Erkältung entschieden ablehne, Kopfschmerzen oder viele Dinge – die ich selber habe. Aber man muss eben damit leben. Sie sind ein Teil von uns, manche verschwinden wieder, manche bleiben. Wenn uns deshalb vor lauter Sorgen der Lebensmut verlässt, dann ist das ein Problem.
Ruth ist zum ersten Mal nicht Ihre einzige Erzählperspektive, weil sie, wie Sie selbst sagen, „einfach zu verschieden“ von Ihnen ist. Lässt das den Rückschluss zu, dass Ihre bisherigen Heldinnen Ihnen gefühlsmäßig sehr nahe waren?
(lacht) Ja, das lässt natürlich auch diesen Rückschluss auf meine Gefühlswelt zu. Aber im aktuellen Buch sind Ruth und ich tatsächlich zu weit auseinander, als dass ich ihr über die ganze Länge mein „Ich“ hätte geben können. Stattdessen begann ich mich mehr für andere Charaktere zu interessieren und schlüpfte in ihre Gefühlswelten, schrieb aus ihrer Perspektive. Früher hatte ich große Hemmungen, ich hatte mir solche Perspektivwechsel nicht zugetraut. Aber es war für mich ein sehr spannender Prozess, in diese unterschiedlichen Leben zu schlüpfen. Und jetzt bin ich so weit, erstmals eine Fortsetzung zu einem Roman schreiben zu wollen, weil ich einige Handlungsstränge weiterverfolgen will. Da gibt’s noch einiges zu erzählen.
Wie schwierig ist es als Autorin, andere Generationen zu verstehen? Können Sie sich vorstellen, sich etwa auch den Millennials literarisch anzunähern? Oder der Generation Z?
Ich habe zumindest nicht mehr so viel Schiss davor wie vor diesem Buch.
Ihrer Kollegin Eva Heller, die in den späten 1980ern mit „Beim nächsten Mann wird alles anders“ so etwas wie die Initialzündung für eine witzige, selbstironische, aktuelle und ausgesprochen pointierte Literatur von Frauen über Frauen veröffentlichte, wurde oft vorgeworfen, sich an Klischees zu bedienen. Wie gehen Sie mit Vorwürfen wie diesen um?
Ach Klischees – was ist denn damit gemeint, was sind denn Klischees in diesem Zusammenhang wirklich? Das sind Dinge, Situationen, auch Typen, die man wiedererkennt. In denen man sich auch selbst wiedererkennt. Wenn das so passiert, dann ist es doch gelungen! Vor allem, wenn man in einer Person Schwächen sieht, die man auch selber hat.
Sie beschäftigen sich literarisch seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der weiblichen Gefühlswelt. Was macht eine Frau zur starken Frau?
Die „starke Frau“ ist für mich ein ähnlich schlimmer Begriff wie die „glückliche Ehe“. Wenn eine Frau eins ist mit ihren Erfahrun-gen, wenn sie einem das Gefühl geben kann, „ich kenn das, du bist nicht allein!“, dann ist sie stark. Sie muss nicht so tun „als ob“, sich antiquierter patriarchaler Vorstellungen von Stärke bedienen.
Gibt es starke Männer?
Ebenso wenig, wie es starke Frauen gibt. Wir sind mal stark, wir sind mal schwach. Der klassische, starke Mann ist heutzutage meist ein verunsicherter Mann. Verunsichert und nicht selten gefährlich. Aber ich bin Optimistin, meine Theorie ist, dass die kleinen und großen Putins dieser Welt ihre Felle davonschwimmen sehen, dass das, was wir heute in der Weltpolitik erleben, ein letztes Aufbäumen des Patriarchats ist. Männer dürfen zu ihren Schwächen stehen, genauso wie Frauen zu ihren Stärken.
Ihre erste Heldin Cora Hübsch war Anfang 30, Ruth in „Morgen kann kommen“ ist über 50. Welche Auswirkungen hat so ein Altersunterschied?
Meine Heldinnen altern mit mir mit. Jenseits der Lebensmitte verändern sich Frauen radikal. Äußerlich wie innerlich. Das Östrogen macht sich vom Acker, damit auch das Bedürfnis, unbedingt gefallen zu wollen. Das Testosteron übernimmt das Regime, wir wollen was tun, etwas gestalten, sind gleichzeitig auch konfliktfreudiger und aggressiver. Frauen ab 50 schärfen sozusagen ihre Krallen. Das wird dann für viele Männer ungemütlich, wenn sie es mit Frauen zu tun haben, die auf dem Höhepunkt ihrer geistigen und kreativen Leistung sind – und dabei nicht mehr so harmoniebedürftig, wie sie es vielleicht gewohnt waren.
Eine Lösung für dieses Problem?
Andere Formen des Zusammenlebens oder des Nicht-Zusammenlebens. Sich gemeinsam verändern und entwickeln. Das geht aber eben nur, wenn wir uns von traditionellen Ideen und Normvorstellungen von der „glücklichen Ehe“ lösen. Denn in dieser Ehe haben die meisten Frauen nicht die Wahl, sichtbar zu bleiben oder zu werden, sich neu zu erfinden. Sie versauern in Abhängigkeiten, aus denen sie nicht rauskommen. Ich bin als Autorin in einer glücklichen Lage – aber welche Frau in meinem Alter hat diese Möglichkeiten? Ich wünsche mir, dass viel mehr Frauen in der Lebensmitte die Möglichkeit haben, sich zu entfalten – trotz Falten.
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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