Gerhard Richter: Der Wichtigste wird 90 Jahre alt

Gerhard Richter führt die wichtigen Kunstrankings, obwohl er den Betrieb stets ablehnte. Er blieb Kunststar wider Willen.

Er ist von einem Wald aus Superlativen umgeben: Seit 18 Jahren listet ihn das Kunstkompass-Ranking ununterbrochen als wichtigsten Künstler der Welt, seine Einzelausstellungen – wie vor einem Jahr im Wiener Kunstforum – sind Großereignisse und Publikumsmagneten. In den Rankings der „teuersten lebender Künstler“ scheint er nur deswegen nicht mehr so häufig auf, weil kaum noch große Bilder auf den Markt kommen – über längere Fristen gerechnet, bewegt sich sein Werk aber auch kommerziell auf einem Level, das sonst nur Heroen wie Warhol oder Picasso erreichen.

Denn Gerhard Richter hat über viele Jahrzehnte nicht nur in großer Vielfalt, sondern auch in großer Zahl außergewöhnliche Werke geschaffen.

Unverklärt: „Waldhaus“, Öl auf Leinwand (2004)

©300 dpi/Gerhard Richter

Deplatziert

Der Künstler, der am 9. Februar 90 Jahre alt wird, fühlt sich im Hain der Ehrerbietungen aber fehl am Platz. Immer, wenn er sich aus seinem Rückzugsort wagt – zuletzt etwa für ein Interview mit der Deutschen Presse Agentur – scheint ihm das furchtbar unangenehm zu sein. Früher, sagte er, „da interessierte sich keiner für mich, und ich konnte in Ruhe malen“.

Wobei der Künstler, der heute abgeschottet in einem Kölner Villenviertel wohnt, sich im Wesentlichen zur Ruhe gesetzt hat: Kirchenfenster, die 2020 in der Abtei Tholey im Saarland enthüllt wurden, sollten seine letzte Werknummer sein, hieß es. Seitdem entstehen vor allem noch Zeichnungen. In aktuelle Ausstellungsprojekte war Richter, der auch aus seiner Abscheu vor dem Kunstbetrieb („ein riesiges Theater der Armseligkeit“) nie ein Hehl gemacht hatte, doch eingebunden: Das Albertinum in seiner Geburtsstadt Dresden zeigt bis 1. Mai „Porträts, Glas, Abstraktionen“, mit einem Fokus auf Bilder, die Richter von sich selbst und seiner Familie anfertigte; dazu zeige man Landschaftsgemälde, mit denen Richter emotionale Erinnerungen verbindet.

Forst ohne Pathos

Wälder hat Richter selbst oft gemalt – allerdings nie mit dem Pathos, das längst zum Klischee deutsch-romantischer Kunstgeschichte geronnen ist. Wie nicht zuletzt in der Wiener Schau 2020/’21 zu sehen war, ist Richters Arbeit von einer großen Bildskepsis getragen: Landschaften werden verändert und verunklärt, Motive verwischt. Fotos dienen oft als Vorlagen, werden aber nicht einfach kopiert, sondern bildnerisch verkompliziert (dies verbindet Richter übrigens mit der Künstlerin Vija Celmins, mit der 2023 eine Doppel-Schau in der Hamburger Kunsthalle geplant ist).

Immer lauert im Hintergrund die Frage, was man überhaupt noch malen kann, malen soll. Und während die Antwort mitunter universell, bunt und dekorativ wirkt wie in den mit dem Rakelwerkzeug ausgeführten „Abstrakten Bildern“, die bis heute am globalen Markt die höchsten preise erzählen, so führt die Suche auch zu radikalen Antworten – etwa in der Serie der „Grauen Bilder“ oder im „Birkenau-Zyklus“, Richters Auseinandersetzung mit der Abbildbarkeit des Holocaust, Er soll im Neubau der Neuen Nationalgalerie Berlin einen permanenten Platz bekommen.

 Der Künstler im unscharfen Selbstporträt aus 1996 (Öl auf Leinwand)

©Gerhard Richter 2021 (0165/2021); The Museum of Modern Art, New York

Deutsche Geschichte

Richters Biografie ist zwingend mit deutscher Geschichte verknüpft: Seine Heimatstadt Dresden, die seine Familie während der Kriegsjahre verließ, wurde 1945 zerbombt; in den 1950er Jahren erhielt er dort aber seine erste künstlerische Ausbildung, an dem Ideal des „sozialistischen Realismus“ ausgerichtet. 1959 sah Richter abstrakte Kunst der US-Amerikaner auf der documenta II in Kassel, zwei Jahre später floh er in den Westen.

Die Erforschung der Fotografie in Relation zur Malerei, der Reiz der westlichen Popkultur – all das, was Richter seit den 1960er Jahren beschäftigte, begleitete auch einen Prozess der (deutschen) Selbstfindung und Selbstbefragung.

„Die resignierende Einsicht, dass wir nichts machen können, dass Utopie sinnlos, wenn nicht verbrecherisch ist, hatte ich immer“, sagte Richter einmal. „Bei alldem behielt ich im Hinterkopf den Glauben, dass sich Utopie, Sinn, Zukunft, Hoffnung einstellen mögen, sozusagen unter der Hand, als etwas, das einem unterläuft.“

Ob der Heureka-Moment inzwischen passiert ist, ist nicht überliefert.

Sehr wahrscheinlich ist es nicht.

Aber Richter würde es wohl auch nicht in die Welt hinausposaunen.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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