Ich habe mir mit zwei Deutschen das #GERAUT-Match angeschaut

Als Österreicherin mit zwei Deutschen auf ein Österreich-Deutschland-Spiel gehen? Ja, ich habe masochistische Tendenzen.

Ich habe deutsche Fußball-Fans immer schon kurios gefunden. In Wien sieht man sie regelmäßig, immerhin handelt es sich bei Deutschen um die größte Migrationsgruppe in Österreich. Sie kramen ihre Landesfarben nur dann heraus, wenn ein Fußball-Großevent stattfindet. Und auch das meist leicht beschämt, denn Patrioten sind sie in der Regel nicht - schon gar nicht im studentischen Milieu. 

Die Deutschen fühlen sich immer schuldig

Wie unpatriotisch Deutsche sein können, habe ich 2014 verwundert in München festgestellt. Falls ihr euch nicht erinnert, es war das Jahr, an dem die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister in Brasilien wurde. Im Halbfinale haben die Deutschen den Gastgeber mit 1:7 vom Platz gefegt, vor allem die erste Halbzeit mit 5 Toren war hart: 0:1 Müller (11.) - 0:2 Klose (23.) - 0:3 Kroos (24.) - 0:4 Kroos (26.) - 0:5 Khedira (29.).

Ich hatte am Tag vor dem legendären Match spontan beschlossen, das Spiel bei einem Freund in München zu schauen um die deutsche Fußball-Euphorie zu inhalieren. Unsere Lieblingsnachbarn spielten damals einen so großartigen Fußball, dass ich ihnen sogar als Österreicherin die Daumen für den überfälligen Titel drückte. Eine Party wurde der Abend trotz 1:7-Sieges nicht, spätestens ab dem 4. Tor saßen alle beschämt herum. Als Oscar in der 90. Minute das Ehrentor für die Brasilianer machte, jubelten die deutschen Fans überschwänglich. Als von Niederlagen traumatisierte Österreicherin konnte ich die Reaktion nicht nachvollziehen und schwor mir, nie wieder mit Deutschen Fußball zu schauen. Da hält man EINMAL zu den Deutschen, und dann das!

Schei* Piefke?

Dass die Österreicherinnen 2022 im EM-Viertelfinale gegen Deutschland spielen, war ein guter Anlass zu testen, wie sich das deutsche Fanverhalten in den letzten acht Jahren gewandelt hat. Meine Kollegin und ihr Freund sind Deutsche, wir brechen also gemeinsam zum Wiener Rathausplatz auf. Die Stimmung ist bestens, alle sind euphorisch - so gehört sich das. "Die Deutschen sind eh die im weißen Dress..?", fragt die bayrische Kollegin drei Minuten nach Anpfiff, und ich lerne: Nicht jeder Deutsche ist automatisch Fußball-Freak.

Die Österreicherinnen sind flink und lauffreudig, es ist wirklich ein Genuss, ihnen zuzusehen. Auf den ersten Blick wirken sie klar überlegen, doch der deutsche Begleiter klärt mich auf: "Wir lassen euch gerade müde laufen, und warten auf unsere Chance." 30 Sekunden später schießt Magull das erste Tor für Deutschland. 

Der Rathausplatz schweigt betrübt, vereinzelt ist der Versuch von Jubelrufen wahrzunehmen. Allzu laut wird es bei den deutschen Fans nicht. Uns gegenüber werden sie wohl keine Schuldgefühle haben, oder? Das wäre historisch nicht erklärbar. Nach einiger Zeit wird klar, warum es still bleibt: Als im Bild ein Fahnenmeer von deutschen Flaggen zu sehen ist, bricht der Rathausplatz in laute Buh-Rufe aus. Irgendwie unhöflich. 

Meine deutschen Begleiter bleiben bescheiden, versuchen mir den Sieg nicht reinzudrücken. Und ich gebe zu: Wäre es umgekehrt gewesen, wäre ich den ganzen Abend wie das Rumpelstilzchen auf einem Bein herumgehüpft und hätte bei jeder Gelegenheit erwähnt, dass wir Österreicher einfach IN ALLEM besser sind!

Die Stimmung sollte sich für den Rest des Abends nicht mehr erholen. Als Popp in der 90. Minute das 2:0 schießt, gibt es kaum noch Reaktionen. Innerlich hatten die meisten mit der Hoffnung aufs Halbfinale längst abgeschlossen. "Scheiß Piefke" tönt es leise von links hinten.

Liebe deutsche Mitbürger, es tut mir leid. Ich würde jetzt gerne sagen: "Wir sind nicht so." Aber wir sind so. Die meisten von euch haben sicher gelernt, damit zu leben. Bitte wisst, es gibt ein paar Österreicherinnen, die sich für die "Piefke"-Sager schämen. Ich bin eine davon. Ihr habt den Sieg verdient. Bitte werdet jetzt Europameister, damit wir zumindest nicht gegen Verlierer verloren haben. Wir brauchen das einfach für unser Selbstwertgefühl, wahrscheinlich mehr als ihr.  

Sandra Keplinger

Über Sandra Keplinger

Seit Sommer 2021 im KURIER Medienhaus, zuerst als Digital Producer für die Freizeit, jetzt im Audience Development tätig. Sie arbeitete als Foto- und Modechefin beim WIENER, schrieb über das Mode-Business in der DIVA und war CvD bei Falstaff.

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