Raus damit! Wieso Frauen immer wütender werden

Emotion zeigen. Frauen werden immer wütender, zeigte eine aktuelle weltweite Studie. Was dahinter steckt und warum das eine Chance ist

Die Frau fixiert das Ziel, holt aus, hebt dabei die Eisenstange und – klirr! – lässt sie auf einen Stapel Teller krachen. Porzellanbruchstücke wirbeln durch die Luft. Die Augen der Frau hinter der Schutzbrille lächeln.

Als Patrick Schalk Wiens derzeit einzigen Wutraum realisierte, hatte er ein klares Kundenbild vor Augen: Männer. Anwälte, Unternehmer, vielleicht Ärzte. Doch er hätte nicht mehr daneben liegen können. 90 Prozent der Kunden im „Wutstock“ sind Frauen, die im Zertrümmern von Geschirr eine Möglichkeit finden, Dampf abzulassen.

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Ein Blick in die Wissenschaft zeigt: Das ist nicht überraschend. Die BBC hat Daten einer jährlichen Gallup-Umfrage mit 12.000 Personen aus 150 Ländern zwischen 2012 und 2022 ausgewertet und dabei festgestellt: Frauen werden immer wütender. Während 2012 noch jede fünfte Frau angab, am Vortag Wut und Ärger verspürt zu haben, war es 2022 bereits jede vierte.

Interessanterweise blieb der Wutpegel der Männer im gleichen Zeitraum kontinuierlich gleich: bei jedem fünften.

Rollenbilder

Woher kommt die wachsende Aggression der Frauen? „Ich denke nicht, dass Frauen per se wütender werden“, sagt Ines Gstrein vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie. „Es ist ihnen in jüngster Zeit vielmehr möglich geworden, Wut auszudrücken. Dadurch wird es vielleicht auch leichter, Wut spüren zu dürfen.“

Es gibt Regeln für einen guten Streit

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„Wütend“, ergänzt Psychologin Christina Beran, sind wir ja alle irgendwann einmal. Nur unser Umgang mit Wut ist erlernt.“ Wenn bei einem Geschlecht Wut als berechtigter Zorn und beim anderen über Jahrzehnte als Hysterie ausgelegt wird, prägt das unser Verhalten und unsere Erwartungen.

Das derzeitige, langsame Aufweichen strikter Geschlechterrollen gibt Frauen also immer mehr Raum, jene Gefühle zu zeigen, die früher nicht erwünscht waren.

Vorbilder

Die Popkultur nimmt dabei eine entscheidende Rolle ein. Wenn die Hauptcharakterinnen in der Hitserie Sex Education“ ihrem angestauten Ärger auf einem Schrottplatz freien Raum lassen. Wenn der Film Do Revenge“ die Rachegelüste junger Frauen erkundet. Oder wenn Disney in „Alles steht Kopf 2“ in die Gefühlswelt einer Teenagerin eintaucht, bricht das „Tabus weiblicher Rollenbilder weiter auf“, meint Gstrein.

Und wenn Schauspielerin Stefanie Reinsperger in ihrem neuen Buch wütende Frauen dazu animiert, „dieses Gefühl zu umarmen und zu sagen, es ist okay, das zuzulassen“, wie sie im aktuellen 3sat-Interview ausdrückt, hilft das weibliche Wut weiter zu normalisieren.

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Die neue Freiheit, Unmut zu äußern, trifft laut Christina Beran aber auch auf eine Zeit, in der Frauen über so vieles aufgebracht sein können. Die Doppelbelastung, überschrittene Grenzen, ungleiche Behandlung.

Und diesen Ärger nicht hinunterzuschlucken, ist essenziell. „Unterdrückte Wut macht krank, Männer wie Frauen“, sagt Gstrein, „Überbordende und andauernde Wut macht aber ebenso krank. Deshalb ist es wichtig, zu lernen, wie Wut auf gesunde Weise ausgedrückt werden kann.“

Helfen Orte wie Wuträume, in denen Frauen nach einem anstrengenden Tag Teller zertrümmern können – weil sie es sich hier erlauben?

„An sich ist es eine Umgebung, in der wir anders sein dürfen.“ Aber, gibt Beran zu bedenken: „Es bedeutet nicht, dass wir nicht immer noch die Gleichen sind, wenn wir da herauskommen.“ Dafür brauche es eine längerfristige Auseinandersetzung.

Schau wilder

Wut im echten Leben auf geeignete Weise zuzulassen – solange es sich dabei nicht um blinde Zerstörungswut oder Gewaltverherrlichung handelt – ist gesund. „Das Wort Aggression kommt vom lateinischen An-Gehen“, sagt Beran. Das können wir auch so sehen: Wir werden besser durchblutet, haben mehr Atem, mehr Energie. Wenn diese Emotion rauskann, haben wir theoretisch die Energie zur Verfügung um  Dinge geregelt zu bekommen.

Dazu sind manchmal keine Worte nötig. Wir reagieren nämlich bereits auf die physiognomische Unterschiede im Gesicht des anderen „Oft“, sagt Beran, „reicht also schon ein wilder Blick.“

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Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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