Filmkritik zu "Licorice Pizza": Liebe in Zeiten der Wasserbetten
Paul Thomas Anderson taucht ins Jahr 1973 in Kalifornien ein, eine Doku lässt Nazi-Zeitzeugen sprechen und das Filmmuseum zeigt Filme mit Morricone-Musik
Gary Valentine ist zwar erst 15. Aber als er das erste Mal auf Alana Kane trifft, weiß er sofort: Das ist meine zukünftige Ehefrau. Die werde ich heiraten. Einziges Problem: Alana ist zehn Jahre älter als er und sieht auf ihn herunter wie auf einen kleinen Bruder: „Nur damit das klar ist: Wir sind nicht zusammen.“
Paul Thomas Anderson ist zur Suburb seiner Kindheit zurückgekehrt, dem San Fernando Valley im Großraum von Los Angeles. Schon frühere seiner Filme wie „Boggie Nights“, „Magnolia“ und „Punch Drunk Love“ spielten im „Valley“, dem braven und wenig glanzvollen Nachbarbezirk von Hollywood.
Wer im Valley wohnte, kaufte seine Platten in einer Ladenkette namens „Licorice Pizza“ – dem Titelgeber für Andersons exquisite Lovestory aus dem Jahr 1973.
Nicht seine eigenen Kindheitserinnerungen, sondern die seines Freundes Gary Goetzman, dem langjährigen Produzenten von Tom Hanks, dienten als Inspirationsquelle. Goetzman trat als Kinderdarsteller mit Lucille Ball in der Heiratskomödie „Deine, meine, unsere“ auf. Danach wechselte er das Metier und vertrieb Wasserbetten, ehe er eine Flipper-Arkade eröffnete.
Auch Gary Valentine – übrigens gespielt von Cooper Hoffman, Sohn des verstorbenen Oscarpreisträgers Philip Seymour Hoffman – wächst gerade aus seiner Pyjama-Rolle in einem New Yorker Bühnenstück heraus, als er sich in Alana verliebt. Bei seiner letzten Aufführung an der Ostküste braucht er eine erwachsene Begleitperson.
Alana springt ein, und lacht sich bei der Gelegenheit Garys Schauspielkollegen als Boyfriend an. Zu Garys Befriedigung hat dieser ein schnelles Ablaufdatum: Nachdem er beim Schabbat-Abendessen Alanas Vater erklärt, er sei Atheist, bekommt er Hausverbot. Alana wendet daraufhin ihre Aufmerksamkeit wieder verstärkt Gary zu und hilft ihm dabei, Wasserbetten auszuliefern. Mit „Licorice Pizza“ erzählt Paul Thomas Anderson nicht nur das Coming-of-Age eines pickeligen Teenagers, die Selbstermächtigung einer jungen Frau und eine Liebesgeschichte mit Umwegen. Er erzählt auch Hollywood-Homestorys und seine komischen Nebenwirkungen.
Ölkrise
Bei der Lieferung eines Wasserbettes treffen Gary und Alana auf einen durchgeknallten Typen namens Jon Peters – ehemaliger Friseur, Produzent und Freund von Barbra Streisand –, der ihnen mit der Todesstrafe droht, sollten sie sein Haus versauen. Bradley Cooper spielt den lachhaften Ex-Figaro ebenso souverän wie Sean Penn eine Parodie auf Hollywood-Legende William Holden.
Mit seinen signifikant gleitenden Kamerabewegungen lässt Paul Thomas Anderson die Erinnerung an die Zeit seiner Kindheit zu einem superben Soundtrack – von Nina Simone bis David Bowie – vorbei fließen. Im Jahr der Ölkrise sausen Teenager auf ihren Fahrrädern über die Gehsteige, während die Autos ohne Benzin hilflos im Verkehr stecken bleiben. Auch Gary und Alana laufen nach einer drohenden Verhaftung atemlos und jubilierend die Straßen entlang.
Stillstand und Bewegung, Aufbegehren und Desillusion, Glück und Melancholie im warmen, kalifornischen Licht fängt Anderson liebevoll auf seinem weichen, wunderschönen 70-mm-Filmmaterial ein. Gesichter sind verschwitzt, Nasen haben Wimmerl, Zähne stehen schief. Bis zu Instagram und seinen Schönheitsfiltern ist es noch ein langer Weg.
INFO: KAN/USA 2021. 133 Min. Von Paul Thomas Anderson. Mit Cooper Hoffman, Alana Haim.
Filmkritik zu "Der schönste Tag": Kein Händeschütteln mit Hitler
Die Erinnerungen an den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland und die Zeit danach könnten unterschiedlicher nicht sein. Für eine Dame aus Wien bedeutete es, dass man ihr als Kind Blumen in die Hand gedrückt hatte, um sie dem Führer zu überreichen – „Aber Hitler hat mir nicht die Hand gegeben.“
Der Holocaust-Überlebenden Aba Lewit wiederum, dessen Familie von den Nazis ausgelöscht wurde, findet kaum Worte, um die Drastik seiner grauenhaften Erlebnisse zu beschreiben, aber: „Ich habe mich nicht zum Tier machen lassen.“
Aba Lewit sitzt im Abteil eines fahrenden Zuges. Ihm gegenüber hat Fabian Eder, Regisseur von „Der schönste Tag“ Platz genommen und lauscht mit verstörtem Gesicht Lewits unglaublicher Überlebensgeschichte.
Ihre Konversation ist eine von mehreren Gesprächen, die Eder in fahrenden Zügen aufgenommen hat. Dabei ging es darum, das Schweigen zu brechen: Die Großelterngeneration trifft auf ihre Enkelkinder und erzählt aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Ihre Zeugenschaften sind natürlich stark davon geprägt, ob die Betroffenen aus Mitläufer- oder Opferfamilien stammen. Ein „Ende gut, alles gut“, wie es eine alte Frau salopp formuliert, wird von ihrem fassungslosen Enkel zurückgewiesen: „Das ist nicht die Lehre der Geschichte.“
Parallel zu den privaten Erlebnissen untersucht Eder die offizielle österreichische Erinnerungskultur, die lange auf dem Status Österreichs als dem ersten „Opfer“ Hitlers beharrte. Aus vielen verschiedenen Erzählsplittern fügt er ein Panoptikum des heimischen Umgangs mit der Vergangenheit zusammen.
INFO: Ö 2021. 112 Minuten. Von und mit Fabian Eder. Mit Aba Lewit, Edith Walter.
Retrospektive: Filme mit Musik von Ennio Morricone im Filmmuseum
Selbst, wer kein Westernspezialist ist, kennt sie – die klagenden Mundharmonikaklänge aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Längst hat sich die berühmte Melodie zum Ohrwurm formiert und in jedes Trommelfell gebohrt. Noch einmal erhebt sie sich drohend, wenn Charles Bronson, die „Mundharmonika“, im Finale endlich Rache am Mörder seines Burders nehmen kann.
Ennio Morricone komponierte die legendären Filmmusiken für Sergio Leones charismatische Italowestern – darunter die „Dollar“-Trilogie „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“. Sowohl Regisseur Sergio Leone, sein kongenialer Komponist Morricone wie auch Hauptdarsteller Clint Eastwood wurden damit auf einen Schlag berühmt. Der Erfolg trug Morricone zeit seines Lebens den Titel des Westernkomponisten ein, eine Bezeichnung, mit der er haderte. Sein kompositorisches Werk umfasste über ein halbes Jahrhundert hinweg an die 500 Soundtracks, von denen nur acht Prozent zum Westerngenre gehörten, wie er am Ende seiner Karriere gerne betonte.
Ennio Morricone, 1928 in Rom geboren und dort 2020 auch verstorben, begann seine Karriere als Jazz-Trompeter, ehe er Radio-Hits arrangierte und schließlich mit dem Italowestern-Boom endgültig seinen Durchbruch erzielte. Seine Kompositionen aus eingängigen Melodien, fusioniert mit verblüffenden Instrumentierungen – von der E-Gitarre bis zur Maultrommel – waren unverkennbar und schlugen sofort ein.
Das österreichische Filmmuseum würdigt (bis 3. März) das Schaffen von Ennio Morricone, der 2007 den Ehrenoscar und 2016 den Oscar für beste Musik zu Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ erhalten hatte.
INFO: www.filmmuseum.at
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