Die Beatles im Jahr 1966

Die Beatles: Über den Gitarrenrand

Ihr Meisterwerk „Revolver" erscheint als überarbeitete Neuauflage. Die Band war nach diesem Album nicht mehr dieselbe.

Heute besteht Popmusik oftgenug nur aus dem Versuch, den Abschaltimpuls beim Radiohören nicht zu laut werden zu lassen.

(Gut, das wird über die Popmusik gesagt, seit es Popmusik gibt, also mindestens seit Mozart. Wobei die meisten Menschen damals noch kein Radio hatten. Und es gibt Gegenargumente, wie etwa Kendrick Lamar. Aber trotzdem: Es ist schon recht deprimierend derzeit, oder?)

In diesen Zeiten gehen Industrie und Käufer, vor allem die nicht mehr ganz jungen, gerne auf Schatzsuche in der Vergangenheit.

Schätze

Und damit sind wir bei den Beatles, welche die wertvollsten Schätze der Popgeschichte hinterlassen haben.

Nach den Neuauflagen der Alben „Let It Be“, „Abbey Road“, „The Beatles“ und „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ erscheint diesen  Freitag die neue Version von „Revolver“, klanglich aufbearbeitet, mit „Work in progress“-Titeln versehen, in verschiedenen Luxus-Varianten.

„Revolver“ teilt die Karriere der Beatles in zwei Hälfte: Pilzköpfe und Schnurrbärte. Liveband und Studiogruppe. Hitparadenstürmer und Hitparadenstürmer mit Kunstanspruch. Boygroup und „größer als Jesus“. Vor „Revolver“ waren die Beatles wichtig, danach waren sie wesentlich.

Erscheint am Freitag: „Revolver“ als Neuauflage

©EMI

Wobei das so, genau genommen, auch nicht stimmt. Bereits das Vorgängeralbum „Rubber Soul“ zeigte die Richtung an, George Harrison sah die Platten auch als Teil 1 und Teil 2 des gleichen Statements. Die Entwicklung – Kinder, probiert das nicht zu Hause! – hatte etwas mit Drogen zu tun. Die Beatles waren von Bier auf illegale Unterhaltungschemie umgestiegen. John Lennon nannte „Rubber Soul“ das Marihuana-Album und „Revolver“ das LSD-Album. Die Musiker waren bereit, über den eigenen Gitarrenrand hinauszuschauen.

Kein Song beweist das nachdrücklicher als der erste, der für „Revolver“ aufgenommen wurde: John Lennons „Tomorrow Never Knows“ (ein Wortspiel von Ringo) basiert auf einem einzigen Akkord, bietet gewagte, mit Tonbandschleifen erzeugte  Klangbilder und handelt vom Leben und Sterben und eigentlich eh allem.

Beatles, John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr, George Harrison

©Skrein Photo Collection

Eine neue Ära

Klaus Voormann, alter Freund der Band aus Hamburg-Tagen und selbst als Bassist erfolgreich, hörte das Stück und „erkannte den Beginn einer neuen Ära“, wie er sich erinnert. Voormann, gelernter Grafiker, bastelte die Foto-Collage, die zum Cover  der Platte und mit einem Grammy ausgezeichnet wurde (aber dem Künstler nur 50 Pfund Lohn einbrachte).

Das Großartige an „Revolver“ ist nicht nur der für Mitte der Sechziger-Jahre unerhört farbenfrohe Klang, sondern auch die enorme Vielfalt der Songs: In Wahrheit hört man auf jedem Track eine neue Band.  Scharfer Rock (George Harrisons „Taxman“), Soul („Got To Get You Into My Life“), in Trauer schwelgende Balladen („For No One“), Flower-Power-Pop im Stil der Byrds („And Your Bird Can Sing“), Psychdedelic-Rock („She Said She Said“), ein seltsames Kinderlied („Yellow Submarine“) und indische Weltmusik („Love You To“).

 

Die Beatles pur: Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr und John Lennon bei den legendären Sessions in den Twickenham Studios in London 1969: „The Beatles: Get Back“

©Linda McCartney/Disney+/Linda McCartney

Für die Neuauflage hat Giles Martin, Sohn von Beatles-Produzent George Martin, die Originalbänder klanglich bearbeitet, die Songs klingen jetzt, als hätte jemand den Staub weggeblasen. Für Traditionalisten gibt es aber auch die klassische Mono-Mischung. „Revolver“ ist jetzt in diversen luxuriösen bis sehr teuren Boxsets auf CD und Vinyl erhältlich.

Paul McCartney soll, als er das Ergebnis hörte, selbstbewusst gesagt haben: „Eine meiner besten Arbeiten.“

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

Kommentare