Diagonale: (K)eine Sehnsucht nach Stillstand
Einblicke in heimisches Filmschaffen: Adrian Goiginger drehte Heimatfilm, Fridolin Schönwiese macht Langzeitstudie und Corona-Gegner dürfen sich selbst darstellen
Manchmal steigt der Star eines Films von der Leinwand herunter und mischt sich unter sein Publikum. Michael Thomas, der in Ulrich Seidls neuem Film „Rimini“ den Schlagersänger Richie Bravo spielt, verlängerte seinen Filmauftritt ins echte Leben. Nach der Premiere von „Rimini“ griff er bei der anschließenden Party zum Mikrofon und gab eine Live-Reprise seiner Richie-Bravo-Rolle: Mit „Hits“ wie „Emilia, du hast mein Herz gestohlen“ und „Amore Mio“ brachte er die Gäste zum Jubeln.
Nach dem Stillstand der Pandemie bemüht sich das österreichische Filmfestival nun darum, an die Zeiten vor Corona anzuschließen – natürlich mit gebotener Vorsicht. Den gelungenen Auftakt der 25. Ausgabe der Diagonale machte Kurdwin Ayubs Teenie-Drama „Sonne“ (die freizeit berichtete); danach feierte Ulrich Seidl mit „Rimini“, dem melancholischen Porträt eines Ex-Schlagerstars, seine österreichische Erstaufführung.
Auch in Adrian Goigingers zweitem Spielfilm „Märzengrund“, der auf der Diagonale uraufgeführt wurde, spielt der Schlager eine große Rolle: Zu Roy Blacks „Meine Liebe zu Dir“ dreht sich der Bauernsohn Elias verliebt mit der Frau seines Herzens im Kreis – bis ihm die Mutter das Beziehungsglück zerstört.
Heimatfilm
Der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger hatte mit seinem autobiografisch gefärbten Debütfilm, dem Drogendrama „Die beste aller Welten“, Furore gemacht; nun schließt er mit seiner Naturverklärung „Märzengrund“ – basierend auf einem Theaterstück von Felix Mitterer – auf.
Es beginnt 1968 im Tiroler Zillertal, wo der junge Elias lieber Bücher liest, als Kühe melkt. In einer jungen Frau namens Moid, die im Autobus Max Frisch studiert, findet er eine Gleichgesinnte. Leider ist Moid – langhaarig: Verena Altenberger – älter als er und geschieden. Elias fällt in Depression und wird auf eine einsame Alm, den „Märzengrund“ geschickt. Dort findet er beim Baden im Gebirgsbach seinen inneren Frieden.
Entschlossen versiegelt Goiginger seinen Heimatfilm zum luftdichten Melodram, das jenseits von Natur und Familie kein Außen mehr kennt. Mit Hang zum Gefühlskitsch beschwört er den Rückzug ins Gebirge als Rettung vor einer entfremdeten Welt: „Die Zeit, die gibt es nicht mehr“, heißt es einmal inständig in „Märzengrund“; es ist die Sehnsucht nach dem Stillstand.
Wie es weitergeht, will Regisseur Fridolin Schönwiese wissen. In seiner Doku „It works II“ greift der Regisseur auf einen eigenen Kurzfilm aus dem Jahr 1998 zurück, in dem er drei Schüler mit Behinderung – darunter Gerald, Valentin und Michael – begleitete. Gut zwanzig Jahre später sucht Schönwiese seine Protagonisten wieder auf und fragt nach, wie es ihnen ergangen ist.
Aus den drei Burschen sind Männer geworden, die eigenwillig ihren Weg gehen. Gerald ist Rapper und nennt sich Golden G. Michael wiederum nimmt beim Race Running Bewerb der Paralympics in Dänemark teil. Er trainiert dafür im Praterstadion, wo die Athleten neben ihm vorbei ziehen, während er sich mit seinem Rad Zentimeter für Zentimeter vorwärts kämpft. Liebevoll beobachtet Schönwiese, wie sich unterschiedliche Körper in unterschiedlicher Zeitlichkeit bewegen – und jeder in seinem eigenen Tempo an sein Ziel gelangt.
Politische Aktualität verspricht Gerald Igor Hauzenbergs Doku „Denn sie wissen, was sie tun“. Gemeint sind damit jene Menschen, die als Corona-Leugner und Impfgegner gegen die Regierung demonstrieren und Woche für Woche die Wiener Innenstadt lahmlegen. Hauzenberger konzentriert sich dabei stark auf einen Wortführer der rechten Szene, dessen eloquenter Selbstdarstellung er allerdings wenig entgegenzusetzen hat.
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