Franz von Stuck: Tilla Durieux als Circe (um 1913)

Das Role Model der Roaring Twenties als Salome, Circe, Kleopatra

Daniela Gregori erzählt im Leopold Museum den erstaunlichen Lebensweg der Wiener Schauspielerin Tilla Durieux (1880 – 1971) nach

Sie soll zwar keine Schönheit gewesen sein; bemäkelt wurde etwa die breite, knubbelige Nase. Ihre Eltern, der Chemieprofessor Richard Godeffroy und seine Frau Adelheid, befürchteten gar, dass sie keinen Mann finden würde. Ottilie, am 18. August 1880 in Wien geboren (und auf den Tag genau 50 Jahre jünger als der Kaiser), musste daher von klein auf Klavier lernen – um sich notfalls als Musiklehrerin selbst erhalten zu können.

Doch Tilla hatte sich mit 16 in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden. Weil ihre Mutter strikt dagegen gewesen sei, nannte sie sich fortan Durieux, abgeleitet von du Rieux, dem Namen ihrer Großmutter väterlicherseits. Und sie wurde tatsächlich ein Star, war Role Model oder auch It-Girl von der ausklingenden Jugendstilepoche bis über die Roaring Twenties hinaus: in aufregenden Posen oder schillernden Rollen fotografiert, porträtiert von den wichtigsten Künstlern jener Zeit, darunter Auguste Renoir, Lovis Corinth, Ernst Barlach, Olaf Gulbransson, Oskar Kokoschka und so weiter.

Opulent illustriert

Eines der vielen Bildnisse – von Max Oppenheimer aus 1912 – befindet sich im Leopold Museum. Es lieferte die Idee, den erstaunlichen Lebensweg von Tilla Durieux in einer chronologisch angelegten Ausstellung nachzuzeichnen, opulent illustriert mit all den Darstellungen der sozial engagierten Schauspielerin.

Max Oppenheimer: Bildnis Tilla Durieux (1912)

©Leopold Museum / Thumberger

Zu sehen gibt es also (bis 27. 2.) eine Fülle an Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Kuratorin Daniela Gregori dürfte das Ziel gehabt haben, alles Relevante zusammenzutragen (der üppige Katalog untermauert die These). Bis auf eine Ausnahme, ein bestimmtes Kokoschka-Porträt, ist ihr dies auch gelungen.

Eugen Spiro: Dame mit Hund (Tilla Durieux) (1905)

©Leopold Museum

Die erste Station von Durieux als Schauspielerin war 1902 Olmütz. Wenig später lernte sie in Breslau den Künstler Eugen Spiro kennen, der ihr Mann wurde. Dass er sie malte (schöner, als sie war), versteht sich von selbst. 1903 ging das Paar nach Berlin. Am Deutschen Theater unter der Leitung von Max Reinhardt gelang ihr alsbald der Durchbruch: Sie sprang für die erkrankte Gertrud Eysoldt als Salome ein und brillierte. Fortan triumphierte sie auf den Bühnen Europas.

Betont hässlich

Ihre Ehe aber hielt nur bis 1905: Tilla Durieux hatte sich in den einflussreichen Berliner Kunsthändler Paul Cassirer verliebt. Und dieser trug das Seine dazu bei, dass seine Frau (ab 1910) quasi zu einer Ikone wurde. Denn er beauftragte zahlreiche Künstler mit der Anfertigung von Porträts (oder nötigte sie dazu).

Max Slevogt malte sie als Kleopatra (1907) – und Franz von Stuck gleich mehrfach als Circe. Gerade diese äußerst plakativen Bilder (1912/’13), als Drucke und Postkarten vertausendfacht, trafen den Geschmack der Zeit. Auch Renoir malte die Schauspielerin – 1914, fünf Jahre vor seinem Tod. Es sollte sein allerletztes Porträt sein. Und es ist jenes, das Tilla Durieux am wenigsten ähnlich sieht. Vielleicht mochte sie es deshalb so. Daniela Gregori zeigt auch das Gegenteil: Emil Orlik malte sie erzürnt betont hässlich.

Tilla Durieux - in Wien fotografiert, 1905

©Leopold Museum

Für Illustrierte inszenierte sich Durieux als Dame von Welt (als Automobilistin oder Pilotin), in Homestorys gewährte sie intime Einblicke. Doch die Ehe mit Cassirer ging schief: Durieux reichte 1926 die Scheidung ein, ihr Mann versuchte einen Selbstmord – und starb an den Folgen. Das war der Stoff für den Boulevard: Man stilisierte Durieux zum Todesengel. 1930 wurde der jüdische Industrielle Ludwig Katzenellenbogen ihr dritter Ehemann. Die NS-Zeit (ab 1933 in Deutschland) geriet zur Odyssee über Prag, Ascona, Opatija nach Zagreb, die Flucht in die USA gelang dem Ehepaar nicht.

Katzenellenbogen wurde 1944 nach Berlin verschleppt und getötet. Durieux kehrte erst 1955 nach Berlin zurück. Ebendort starb sie am 21. Februar 1971 – just am 100. Geburtstag von Paul Cassirer.

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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