Denis Ménochet (mit Isabelle Adjani) sieht Fassbinder nicht zufällig ähnlich: „Peter von Kant“

Trotz Corona startet die Berlinale live: „Jeder tötet, was er liebt“

Die Berlinale startet live mit „Peter von Kant“, einer ausgeklügelten Fassbinder-Hommage von François Ozon.

Aus Berlin Alexandra Seibel

Die Berlinale ist trotz Coronakrise als Live-Event gestartet. Lange hatte man im Vorfeld darüber diskutiert, ob ein Präsenzfestival in Zeiten steigender Infektionszahlen vertretbar sei. Als die Festivalleiter Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian entschieden, die Berlinale vor Ort stattfinden zu lassen, gab es viel Augenrollen. Im deutschen Feuilleton herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese Entscheidung ein Akt der Unverantwortlichkeit sei oder ein wichtiges Statement für Kultur und Kino – oder irgendetwas dazwischen.

Fakt ist, dass die Berlinale in verkürzter Form mit Publikum stattfindet. Der Gewinner oder die Gewinnerin des Goldenen Bären wird bereits nächste Woche Mittwoch entschieden. Die Preisjury unter dem Vorsitz von Hollywoods Horror-Meister M. Night Shyamalan („The Sixth Sense“) liegt bereits voller Vorfreude in den Startlöchern.

Auch die österreichische Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer hat einen Berlinale-Besuch eingeplant; österreichische Vorführungen stehen jedenfalls einige auf dem Programm, darunter „Rimini“ von Ulrich Seidl.

Sicherheitsgefühl

Tatsächlich aber machen sich die pandemischen Zustände auf dem trist anmutenden Potsdamer Platz, dem Zentrum der Berlinale, stark bemerkbar. Knapp weniger als die Hälfte der Journalisten und Journalistinnen sind angereist. Auch die Anzahl der erwarteten Star-Gäste hält sich trotz ausgerolltem roten Teppich stark in Grenzen.

Dankenswerterweise aber vermitteln die Hygienevorschriften des Festivals ein Gefühl von Sicherheit. Es gilt die 2G-plus-Regel; alle 24 Stunden muss man sich gratis in einem Bus vor Ort von freundlichen Mitarbeitern ein Stäbchen in der Nase umdrehen lassen. Wer negativ getestet ist, bekommt ein Bändchen ums Handgelenk geschnallt und kann in die Kinos vordringen. Sitzplätze für die Pressevorführungen, die in mehreren Kinos gleichzeitig stattfinden, werden per Online-System im Schachbrettmuster gebucht. Die Säle sind nur schütter besetzt – und das unbehagliche Gefühl, wie etwa auf dem Filmfestival in Cannes, wo man in einem knallvollen Raum zu sitzen kam, stellt sich nicht ein.

Denis Ménochet (re.) schikaniert seinen Assistenten (Stefan Crepon): "Peter von Kant"

©Carole Bethuel / FOZ/Berlinale

Liebesunfähigkeit

Mit erhobenem Haupt und französischem Star-Aufgebot (zumindest im Film) ging die Berlinale an den Start. Mit seiner ausgeklügelten Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“ nimmt François Ozon zum sechsten Mal am Wettbewerb der Berlinale teil.

„Peter von Kant“ versteht sich als freie Adaption von Rainer Werner Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von 1972. Margit Carstensen spielte darin eine einsame Modedesignerin, die ihre Assistentin schikaniert und sich in die junge Hanna Schygulla verliebt. Die Beziehung zwischen der älteren und der jüngeren Frau scheitert fulminant.

Ozon hat sich zu Fassbinders Kammerspiel über die Unfähigkeit zur Liebe eine Gender-Volte geleistet: Peter von Kant ist ein einsamer Filmregisseur – herausragend gespielt von Denis Ménochet – und sieht Rainer Werner Fassbinder nicht zufällig unglaublich ähnlich: Er trägt weiße Anzüge und verführt zwischen Rauchschwaden und Kokslinien einen jungen Mann namens Amir.

„Jeder tötet, was er liebt“, singt Peter von Kant zum Lied einer Schallplatte und nimmt damit sein eigenes Liebesschicksal vorweg. Als ihm eine Freundin, die Schauspielerin Sidonie (herrlich affektiert: Isabelle Adjani), einen jungen Mann vorstellt, fällt Kant mit emotionaler Gier über ihn her. Sofort wird die Kamera eingeschaltet und Amirs innerste Gefühle für eine Filmaufnahme geraubt.

Ozon inszeniert sein intensives Ein-Raum-Stück in den glühenden Melodramen-Farben eines Douglas Sirk zwischen Hommage und Abrechnung. Fassbinder war berühmt für seine ausbeuterischen Verhältnisse zu Liebhabern und Schauspielern; Ozon, der von Fassbinder sagt, er sei für ihn wie eine Art großer Bruder, verdichtet dessen Frauenporträt zur geschliffenen Charakterstudie eines herausragenden Regisseurs, dessen Hang zur (Selbst-)Zerstörung mit der Liebe zum Kino Hand in Hand ging.

Berlinale im Fernsehen

3sat
Der Sender von ZDF, ORF, ARD und SRG  ist Berlinale-Partner: Werktags berichtet  „Kulturzeit“ (19.20) und am 12., 14.,  16. 2. das „Berlinale-Studio“. Es laufen die „Arthouse Kino“-Reihe (z. B. Viggo Mortensens „The Road“, 18. 2., 22.25) und  Livestreams  auf der Mediathek u. a. von der Verleihung des Ehrenbären an Isabelle Huppert (15. 2., 21.45)

ORF/ZDF/ARTE
ORF2 schaut im „kulturMontag“ (22.30) und mit „Die Bären sind los“ (16. 2., 23.50) nach Berlin. ARTE zeigt Kino-Schätze wie „3 Tage in Quiberon“  (14 2., O.55). Das ZDF streamt die Reihen „Masterclass“ und „FilmFrauen“ 

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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