Damien Chazelles "Babylon: Rausch der Ekstase": Hollywood im Reich der Sinne
Regisseur Damien Chazelle erzählt nostalgisch (und hektisch) vom Ende der exzessiven Stummfilm-Ära – mit Brad Pitt als alterndem Star
Regisseur Damien Chazelle ist in sein Oscar gekröntes „La La Land“ zurückgekehrt. Doch Hollywood heißt jetzt nicht mehr „La La Land“, sondern „Babylon“. Es ist nicht mehr das harte, aber herzliche Pflaster für junge Talente, die wie Emma Stone und Ryan Gosling in „La La Land“ eine Karriere in der Unterhaltungsindustrie anstreben.
Stattdessen kehrt Chazelle zu den Anfängen Hollywoods in den 1920er-Jahren zurück und wälzt sich dort genüsslich im Sündenpfuhl der Sex- und Drogenausschweifungen der Filmindustrie. Im Jahr 1926 waren die Filme zwar noch stumm, aber bis zum Einschreiten der Zensurbehörde umso entfesselter.
Man muss sich nur die Werke des Österreich-Emigranten Erich von Stroheim ansehen, um zu ahnen, welche Orgien Hollywood in der Stummfilmzeit zu feiern wusste. Und welche Schönheit der Stummfilm erreichen konnte. Davon ist in „Babylon“ allerdings nicht die Rede; Chazelle interessiert sich vor allem für die Triebstruktur Hollywoods, nicht für seine Kunst.
Im Zentrum stehen drei typische Hollywood-Player: Der Star, das Starlet und ein aufstrebender Produzent.
Brad Pitt verkörpert mit schmalem Schnurrbart und sonorer Stimme souverän einen alternden Herzensbrecher und alkoholaffinen Leading Man namens Jack Conrad. Jack kann trinken wie ein Fisch, steht aber nach nur wenigen Stunden Schlaf wieder auf dem Filmset. Dort übergibt er sich kurz und ist dann fit für seine Großaufnahme.
Margot Robbie übernahm die – wie sich herausstellt: undankbare – Rolle der aufstrebenden Jungschauspielerin Nellie LaRoy. Hektisch und aufgezogen wie eine Comic-Figur, hampelt sie überdreht durch ihre kurze Karriere. Sie kann zwar auf Kommando weinen, aber ihrer Figur keine emotionale Tiefe geben.
Bleibt noch Manny Torres, ein junger, naiver Mexikaner (fein gespielt von Newcomer Diego Calva): Er arbeitet sich als Jacks Assistent in eine Schlüsselposition innerhalb des Filmstudios hinauf und hält seine schützende Hand über Nellie LaRoy.
Eines der weltbesten Musicals, Stanley Donens „Singin’ in the Rain“ erzählt davon, wie eine Stummfilmdiva beim modernen Publikum durchfällt, weil der Tonfilm ihre Piepsstimme enthüllt. „Babylon“ bedient sich schamlos an dem Klassiker: Auch hier straucheln die Protagonisten, deren Wege sich immer wieder kreuzen, an der Einführung von Sound.
Chazelle erzählt seine nostalgisch verklärte Skandalchronik in humoristischem Tonfall mit Hang zum Slapstick. Richtig langweilig wird seine berauschte Geschichtsstunde trotz einer Mammutlänge von 189 Minuten nie, aber im frenetischen Trommelfeuer zwischen (visuellem) Exzess und Drama stellt sich auch Erschöpfung ein.
Orgien
Gleich zu Beginn stürzt sich Chazelle in eine orgiastische Party, die von einem Filmproduzenten in dessen Haus in Kalifornien gefeiert wird. In langen, an Scorsese geschulten Kamerafahrten, pflügt er durch wild tanzende Gäste, saufende Produzenten, kopulierende Filmstarlets und Koks schnupfende Statisten. Bekannt für seinen Perfektionismus, durchmisst der Regisseur mit exakten Bewegungen die pulsierende Menge. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, fühlt sich sein Party-Körper wenig ekstatisch an. Auch die wildesten Zuckungen wirken unter seiner eisernen Regiehand choreografiert und einstudiert wie ein jugendverbotenes Musical. Sonderlich Spaß scheint hier niemand zu haben.
Hollywood liebt die Selbstbespiegelung, und auch „Babylon“ schwelgt im eigenen Größenwahn, der in einer Liebeserklärung an die Traumfabrik gipfelt. Wie bei einem Nahtoderlebnis lässt Damien Chazelle am Ende die Höhepunkte der Filmgeschichte vorbeiziehen – von Buñuel bis Bergman.
„Babylon“ kann sich leider nicht einreihen.
INFO: USA 2022. 189 Min. Von Damien Chazelle. Mit Brad Pitt, Margot Robbie.
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