Wie wir im Jahr 2059 wohnen könnten
Hologramme, bio-solare Tapeten – oder doch einfach nur ein Revival der 2020er-Interior-Trends. Die freizeit versucht sich zum 35. Jubiläum an einer "Wie wir wohnen könnten"-Parabel.
Von Nicola Afchat-Negad
Vor 35 Jahren teilte Oprah Winfrey in der Juli-Ausgabe des Magazins "Interior Design" ihre Tipps für eine persönliche Re-Organisation. Fast zeitgleich hob die Premieren-Ausgabe der Elle Decor "Sophisticated storage" auf ihr Titelblatt. Alles gar nicht so verstaubt eigentlich. Könnte man heute auch ins Inhaltsverzeichnis hieven, man müsste vielleicht Oprah gegen Marie Kondo tauschen.
1989 war auch das Jahr, in dem die WC-Ente erfunden wurde – und IKEA mit grafischen Mustern in Primärfarben im Memphis-Stil um Kundschaft buhlte.
Memphis ist ein gutes Stichwort. Genau diese wilde Mixtur aus Pop Art und Art-déco hat 2024 ein Comeback erlebt. "Es wird immer Innovationen geben, aber viele Trends kehren in Zyklen zurück", bestätigt auch die Wiener Interior-Designerin Nina Hausott-Eppinger. "Wir sehen heute eine Rückkehr der 1990er-Ästhetik, mit glänzenden Oberflächen, Edelstahl und klassischen Mustern wie Streifen und Schachbrett."
Und wenn man jetzt wieder im 30er-Schritt denkt, tja, dann landet man in den 2050er-Jahren. "Es würde mich nicht wundern, wenn wir uns dann an die 2020er erinnert fühlen – natürlich wird alles modernisiert und der Zeit angepasst sein."
Die Gezeiten ändern sich, Design kennt Flut und Ebbe. Und so wie Meer und Mond korrelieren, verhält es sich auch mit Design und Mensch – beziehungsweise mit unseren Bedürfnissen. "Gerade in einer zunehmend digitalen und schnellen Welt sind Rituale, wie das Kochen und Essen, wichtiger denn je." Die Küche wird daher das Epizentrum eines jeden Zuhauses bleiben, keine Frage.
Sessel aus dem Drucker, Strom aus Algen
Wenn es nach der aktuellen IKEA Retail-"Life at home"-Studie geht, nehmen 2030 allerdings Hologramme neben uns Platz, der Sessel kommt aus dem 3D-Drucker und besteht aus Pilz-Komponenten. Hinter den Gästen: die bio-solare Tapete, die mit Hilfe von Algen Elektrizität generiert.
Zwischen Herd und Kühlschrank kumulieren sich die Zukunftsszenarien, das fällt auf und unterstreicht die Bedeutung der Küche. So hat Electrolux bereits vor einiger Zeit mit ihrem Konzept "Gro" eine "Lösung für nachhaltige Ernährung" präsentiert. Die Küche coacht den Eigentümer. Pflanzengalerie, Getreidebibliothek, Nordic Smoker – klingt nach autarker Versorgung und soll Ressourcen schonen. Aber da ist noch Luft nach oben. Stichwort: humanoide Roboter.
Transformation dauert eben
Schon seit den 1970er-Jahren träumt so manch einer davon, ungeliebte To-dos an Maschinen zu delegieren. Transformation dauert – Jahrzehnte lang. Der Tenor des Roboter-Rudels: Im Laufe der nächsten Jahre werden menschlich wirkende Roboter verstärkt in der Wirtschaft auftauchen (laut Elon Musk bereits 2025), bis sie aber als Haushaltsgehilfen taugen und leistbar sind, wird es noch dauern. À la longue rechnet der Tesla-Titan mit 20 Milliarden humanoiden Robotern, den Durchbruch erwarten Branchenkenner ab circa 2050.
Es werden sich viele Fragen stellen, auf die man möglichst vorher Antworten finden sollte: Was wollen wir überhaupt abgeben? Wie sieht es etwa mit der häuslichen Pflege von Angehörigen aus? Ja, nein, vielleicht? Oder sollen die Erben von C3PO, der humanoiden Roboterfigur aus Star Wars, doch lieber nur putzen? Nächstes Beispiel: Drohnen! Beliefern sie die Briefkästen im Übermorgen, sorgen sie für Pasta-Punktlandungen auf unseren Balkonen? Unwahrscheinlich.
Viel eher denkbar: Rettungsdrohnen, also etwa zum Aufspüren von Vermissten auf offener See – oder Medikamentenlieferung in entlegene Gebiete. Diese Varianten kündigen sich bereits an und werden in der Literatur weitergesponnen. So berichtet etwa ein 2037er-Protagonist in "Alles wird gut – nur anders" (2024, oekom Verlag) von Bademeisterdrohnen über dem Bodensee und Retrorestaurants ohne Servierroboter.
Alles im Kreislauf, bitte plausible Fiktion, immer geschickt mit einem Aber verbandelt. Zitat aus dem Roman: "Seitdem es die Drohnenrettung gibt, riskieren die Leute noch mehr, beim Segeln und beim Schwimmen. Die Zahl der Ertrunkenen hat sich in den letzten Jahren verdoppelt." "Rebound-Effekt" nennt es der Gesprächspartner lapidar. Glanz lass nach!
Wenig überraschend stimmt Interior-Designerin Hausott-Eppinger nicht in den Technik- und Roboter-Singsang mit ein. Vermutlich werden sie und ihre Kollegen in Zukunft noch stärker auf die Balance pochen. Sie formuliert es so: "Ich glaube, dass es bei den High-Tech-Materialien große Fortschritte geben wird, aktuelles Beispiel: ein gewebtes Textil aus recyceltem Polyester von 'Kvadrat'". Auf der anderen Seite werden natürliche Materialien nie ihre Bedeutung verlieren. Umso wichtiger: die Kreislaufwirtschaft – und dass hier ein Umdenken passiert."
Repair, re-use, recycle – dieser Dreiklang geistert schon lange durch die Designsphären – allerdings nur bedingt durch die Köpfe der Konsumenten. "Für ein aktuelles Living-Projekt in einem Wiener Luxushotel frische ich gerade 140 m² – bisher als Büro gewidmet – auf. Wir sprechen hier von Vintage-Features aus den 1980er-Jahren, die ich mit Farbe und Textilien unkonventionell neu interpretiere."
Umdenken wird kommen
Re-use also. Das große Umdenken in der Gesellschaft, es wird kommen. Und wenn sich 2059 der Memphis-Stil wieder auf die Trendlisten katapultiert, wird wohl alles einen Tick anders sein. Mehr Ecken und Kanten und weniger makelloser Hochglanz. Und vielleicht, wer weiß, titeln Designmagazine 2059 ja mit: "Sophisticated Roboter storage". Und vielleicht lesen wir die Ausgabe in unserem Zweitwohnsitz am Mars.
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