
Die Vorstadt: Der amerikanische Traum oder Alptraum?
Raus aus der City, ab ins Idyll. Die Ausstellung Suburbia im Architekturzentrum Wien zeigt, wie Politik, Wirtschaft und Popkultur die Vorstadt prägten.
Ein sattgrüner Rasen, akkurat gestutzt. Ein Haus mit weißer Tür. In der Auffahrt glänzen zwei Familienkutschen in der Sonne. Drinnen klappert die Mutter mit dem Geschirr, während draußen der Vater neben dem Pool am Griller hantiert. Der Bub fährt Dreirad, das Mädchen tanzt mit dem Hula-Hoop-Reifen. Irgendwo bellt ein Hund.
Willkommen in der US-Vorstadt, wie man sie auf der ganzen Welt kennt. Willkommen im Sehnsuchtsort des amerikanischen Traums, voller Sicherheit, Wohlstand und familiärer Geborgenheit.
Es ist ein Traum, den Politik und Wirtschaft ordentlich gefördert haben und der über den Atlantik nach Europa geschwappt ist, wie die Ausstellung "Suburbia. Leben im amerikanischen Traum" zeigt, die im Architekturzentrum Wien (Az W) zu sehen ist.
Der Zug ließ die Vorstädte um New York wachsen
Erst waren es nur die Wohlhabenden, die dem Lärm und Ruß der wachsenden Industriestädte entflohen.
Im 18. Jahrhundert zog es sie in großzügige Landhäuser, weg vom urbanen Gedränge. Doch mit der Ausbreitung des Schienenverkehrs begann sich das Bild zu wandeln: Rund um New York schossen an den Stadträndern erste Vorortsiedlungen aus dem Boden. Männer mit Hüten pendelten tagtäglich von dort mit der großformatigen Zeitung in der Hand mit dem Zug in die Arbeit.

Bill Owens: Cleo and James Pruden, 1972 erschienen im Bildband Suburbia von Bill Owens.
Der große Boom nahm dann nach dem Zweiten Weltkrieg an Fahrt auf. Mittelschichtfamilien packten ihre Koffer, schnappten sich Kind und Kegel und zogen dorthin, wo Platz, Ruhe und das eigene Stückchen Amerika lockten. "Heimkehrer und ihre Familien bekamen großzügige Kredite für Wohnraum. Auch weil in den Städten wenig Platz war", erklärt Katharina Ritter vom kuratorischen Team des Architekturzentrum Wien.
Ohne Auto kein amerikanischer Traum von der Vorstadt
Und davon gab es in den Vororten mehr als genug. Doch ohne das Auto wäre dieser Traum nie Realität geworden. Erst die Massenproduktion von Privatfahrzeugen machte das Vorstadtleben möglich. Straßen wurden asphaltiert, nicht zuletzt, um die Amerikaner in ihre eigenen Wagen zu setzen und sie zum Kauf der Fahrzeuge zu bewegen. Und so rollten sie an, die Familienkutschen, vollgepackt mit Menschen, die ihrem neuen Leben entgegenfuhren.
Dabei wurde das gesamte Paket verkauft und kräftig beworben. "Es wurde ein ganzes Lebensgefühl vermittelt. Wer ein Haus kauft, braucht natürlich einen Kühlschrank und einen Staubsauger", sagt Lene Benz, die in Wien die Ausstellung mitkuratiert hat.

Die polnische Künstlerin Weronika Gęsicka durchsuchte Online-Bilddatenbanken nach Fotos aus den 1940er bis 1960er Jahren, die den American Way of Life jener Zeit widerspiegeln, und manipuliert die Idylle.
©Weronika Gesicka und Galerie Jednostka, VarsòviaDas Vorzeigeprojekt der neuen Vorstadt-Ära: Levittown, New York. Es war eine der ersten Siedlungen, die nicht gebaut, sondern regelrecht in Massenproduktion gefertigt wurde. Planer Abraham Levitt schaffte es damit sogar auf das Cover des Time-Magazins. In den Hochzeiten der Bauwut entstand dort alle 15 Minuten ein neues Fertighaus – ein scheinbar endloser Teppich aus Einfamilienhäusern, wie Luftaufnahmen bis heute eindrucksvoll zeigen.
Literatur und Serien spielen in Suburbia
Diese Art zu leben, hat sich auch in die Kultur und Popkultur eingebrannt. "Die US-amerikanische Literatur spielt vorwiegend in den Vororten und nicht wie bei uns in der Stadt und auf dem Land", sagt Ritter. Viele Serien inszenieren die Vorstadt als perfekte kleine Welt – Konflikte inklusive, aber stets harmlos verpackt.
Die Patchwork-Familie aus "Brady Bunch" focht zwar untereinander ein paar Sträußchen aus – aber am Ende versöhnen sich alle natürlich immer. Oder nehmen wir Tony Nelson, den Astronauten aus "Bezaubernde Jeannie": Statt sich auf Weltraummissionen zu konzentrieren, musste er sich in einem klassischen Vorort in Florida mit seiner quirligen Flaschengeist-Mitbewohnerin herumschlagen.

Angela Strassheim: Ohne Titel (Elsa), aus der Serie Zurückgelassen, 2005.
©Angela StrassheimDoch das Vorstadtmodell hatte weitreichende Folgen für die US-Gesellschaft. Frauen blieben zu Hause am Herd, während der Arbeitsmarkt zur Männerdomäne wurde. In den Innenstädten wuchs die Armut, die Kriminalität stieg – und traf vor allem die nicht-weiße Bevölkerung.
Zu Beginn war Suburbia ein exklusiver Club: "Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für afroamerikanische Veteranen keine Kredite. Die Siedlungen waren nur den Weißen vorbehalten", sagt Agnes Wyskitensky, die ebenfalls an der Ausstellung mitgearbeitet hat. Erst in den 1960er-Jahren ändert sich das.
Hinter der blitzblanken Fassade lauert oft der Abgrund. Das sollte man spätestens seit "Desperate Housewives" wissen. Selbst die scheinbar sichere Gegend kann unheimlich wirken, wenn nichts los ist. Denn irgendwo, hinter irgendeiner Hecke, kann immer jemand lauern, der Böses vorhat. Und wer dann Hilfe braucht? Pech gehabt.
In der Vorstadt lauert das Abgründige
Schon ab den 1950er-Jahren entlarvte Suburban Gothic in Film und Literatur die dunkle Seite der Vorstadt. "Das entstand in der Zeit des Kalten Krieges", erklärt Ritter. "Die Angst vor einem atomaren Angriff befeuerte das – Bunker wurden heimlich gebaut, Genehmigungen waren nicht nötig, es durfte ja niemand wissen."
Und so öffnete sich in der Vorstadt die Tür zum Unheimlichen: Wes Craven ließ in "Nightmare on Elm Street" die beschauliche Nachbarschaft zur tödlichen Falle werden, David Lynch schickte in "Blue Velvet" bizarre Gestalten in eine Welt, die nur an der Oberfläche idyllisch war.
Doch auch jenseits des Horrors wurde der schöne Schein entzaubert – ob durch die Bundys oder die Simpsons, die in ihren "schrecklich netten Familien" genüsslich auf das Vorstadt-Ideal pfiffen. Und auch die Fotografie-Kunst erkannte: Die Vorstadt hat ihre Schattenseiten und gibt daher einige starke Bilder – oder Kuriositäten her.

Ed Templeton: Contemporary Suburbium, 2017. Serie über das Leben in den Vororten von Huntington Beach, Kalifornien in ihrer Mischung aus hipper Strandkultur und Zersiedelung.
©Ed TempletonDas Team des Az W hat die Ausstellung von Philipp Engel, die zuvor in Barcelona zu sehen war, um einen Österreich-Schwerpunkt erweitert. Die Frage lautet nun: Wie kam das Einfamilienhaus nach Österreich?
Und auch hier zeigt sich: Es wurde wie in den USA politisch vorangetrieben. "Eigenheim steht für Freiheit und die moralisch gefestigte Kernfamilie. Die Mietskaserne bedeutet moralischer Verfall, Verschwörung und Gruppenbildung", sagt Ritter.
Besonders die Heimwehr und Nationalsozialisten vertraten diese Ansicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich das Anpreisen des Eigenheims fort: "Wer Grund und Boden besitzt, hat Angst vor Enteignung und verfällt keinem kommunistischen Gedanken."
Promi-Architekten bauten eine Wohnsiedlung in Wien
Geplante Siedlungen im großen Stil hatten es in Österreich eher schwer. Selbst wenn die Planer klingende Namen wie Carl Auböck und Roland Rainer hatten, die in den 1950er-Jahren in der Veitingergasse in Wien-Hietzing eine Mustersiedlung aus 15 ebenerdigen Fertighäuser errichteten. Österreich wurde zum Land der Häuslbauer.

Die Mustersiedlung Veitingergasse in Wien-Hietzing von Carl Auböck und Roland Rainer. Das von den USA unterstützte Projekt sollte in Österreich die Produktion günstiger Serienhäuser einleiten.
©UsisAb und zu sorgen Bauträgersiedlungen für Aufsehen. Ein Paradebeispiel dafür ist die sehr amerikanisch anmutende Fontana, von Frank Stronach initiiert, die aussieht, als wäre sie direkt "Desperate Housewives" entsprungen. Oder das Immobilienprojekt Sonnenweiher in Grafenwörth, das so viel Staub aufwirbelte, dass der Bürgermeister als Präsident des Gemeindebundes zurücktrat.
Ein Nachfolger war sofort gefunden. Anders sieht es bei vielen Einfamilienhäusern aus. Die Kinder der Besitzer wollen oft nicht mehr darin wohnen. Halbverwaiste, in die Jahre gekommene Siedlungen sind hierzulande keine Seltenheit. Ohne den Zeigefinger zu erheben, widmet sich die Ausstellung der Frage, wie diese Häuser für die Zukunft nutzbar gemacht werden können, ohne neu zu bauen und Boden zu versiegeln.
Tipp: Suburbia. Leben im amerikanischen Traum, bis 4.8.2025., Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1 im MQ, täglich 10-19 Uhr, azw.at
Ein Wiener erfand die Shopping Mall
Was wären die US-Vorstädte ohne Shopping Malls? Der Wiener Architekt und Stadtplaner Victor Gruen gilt als deren Erfinder. Der jüdische Architekt floh vor den Nazis in die USA und entwickelte in den 1940er-Jahren das Konzept der "Shopping Towns".
Diese sollten den Zentren europäischer Städte nachempfunden sein und nicht nur Geschäfte, sondern auch Postämter, kulturelle Einrichtungen und Kindergärten beherbergen.
Gruens Idee war eine Reaktion auf die zunehmende Zersiedelung, die zum Niedergang der Innenstädte führte. Die erste Shopping Mall eröffnete 1954 in einem Vorort von Detroit – sogar mit einem eigenen Zoo. Doch Gruen störte sich später daran, dass seine "Shopping Towns" zu reinen Verkaufsmaschinen wurden und das soziale Miteinander fehlte. 1968 kehrte er nach Wien zurück und widmete sich neuen Stadtplanungsprojekten. Eine seiner bedeutendsten Ideen war die Fußgängerzone in der Wiener Innenstadt.
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