Kult-Autor James Ellroy: „Ich will ihnen das Herz rausreißen“
Autor James Ellroy über seinen neuen Roman, Beethoven und James Dean, seine kriminelle Vergangenheit und seinen Hass auf Hollywood.
Ellroy ist der hartgesottene Meister des Kriminalromans. Temporeich und zynisch zeigen seine Romane die Kehrseite des American Dream und sind mittlerweile historische Sittengemälde. „Allgemeine Panik“ folgt Freddy Otash, Privatschnüffler und Skandalreporter, der tatsächlich gelebt hat – und in Ich-Form aus dem Jenseits zur großen Beichte antritt. Ein wilder Mix aus Fakten und Fiktion.
Mein neuer Roman ist tiefgehend und tragisch. Aber „Perfidia“ oder „Jener Sturm“ etwa, die ersten beiden Bände des zweiten L.A-Quartetts, sind voller Romantik. Beide weisen weibliche Protagonisten auf, die den Männern, in die sie verliebt sind, in nichts nachstehen. Sie drücken die vielfältigste Menschlichkeit aus, die ich je dargestellt habe. Auch mein Stil hat sich erweitert. Es ist nicht mehr der „Bam-bam-bam“-Stil meiner frühen Werke. Er ermöglicht es mir, über größere historische Abschnitte zu schreiben. Und über eine größere Bandbreite menschlicher Emotionen.
Nein. Freddy Otash war ein Krimineller. „Chinatown“ ist meiner Meinung nach auch kein guter Film. Überbewertet. Roman Polanski, der Regisseur, lebt jetzt in der Schweiz. Er ist ein Vergewaltiger. Seit Jahrzehnten versteckt er sich in Europa. Er ist jetzt etwa 90 Jahre alt, sie haben Angst, dass wenn sie ihn verhaften, man ihn aus Mitleid sympathisch finden könnte. Einfach weil er ein erbärmlicher alter Mann ist.
Ich lache. Es war ein Riesenspaß, Nicholas Ray, James Dean, Natalie Wood und Nicky Adams so zu porträtieren. Ich habe nichts als Verachtung übrig für diese Leute. Böse Typen sind das. Also habe ich auch mit einem überbewerteten Film wie „... denn sie wissen nicht, was sie tun“ abgerechnet. Der Streifen ist die Verballhornung von Rebellion. Er ist Babyscheiße.
Ich schaue mir die Bilder der Mädchen an und tue so, als wäre ich ein Hollywood High-Boy. Das waren Mädels, Bruder.
Ich will sie schockieren, erschrecken, sie wachrütteln, mit meinen Liebesgeschichten bewegen. Und ich will ihnen das Herz rausreißen.
Ja, ich lebe in der Vergangenheit. Ich höre nur alte klassische Musik oder alten Jazz. Ich kleide mich auf alte Art und Weise. Ich mag Filmschauspielerinnen aus früheren Epochen. Meine Bücher schreibe ich mit der Hand. Ich stelle Schreibkräfte an, die sie für mich abtippen. Ich schaue auch nie ins Internet. Ich bin kein Teil der modernen Welt.
Natürlich weiß ich über Covid Bescheid. Und dass die Russen in die Ukraine einmarschiert sind. Aber ins Internet gehe ich nicht. Es interessiert mich nicht, was die Leute über mich sagen. Ich lebe in der Vergangenheit – und denke exzessiv über sie nach.
Ich habe einen Stapel Jahrbücher der Hollywood-Highschool aus den Sechzigern. Ich schaue mir dann die Bilder der Mädchen an und tue so, als wäre ich ein Hollywood High-Boy. Gail Miller. Janet Ivers. Claudia Cohen. Lynn Howke. Das waren Mädels, Bruder. Ich liebe es, auf diese Art in der Zeit zurückzureisen. Die Burschen tragen Lederpullover, die Mädchen karierte Röcke und Saddle Shoes. Wie sie da stehen, an der Ecke Sunset und High. Diese Mädchen sind jetzt alle in ihren Siebzigern. Wenn sie noch am Leben sind. Es ist unerträglich, der Lauf der Zeit. Wir alle sterben. Ich denke auch an meine ehemaligen Freunde. Wo sind sie jetzt? Das ist also, was ich nachts tue. Klingt das nicht nach Spaß?
Ich war ein armer Kerl und lebte in der Southside von Hollywood. Nur eineinhalb Blocks südlich begann Hancock Park. Schicke Häuser, Villen im Tudor- oder spanischen Kolonialstil; reiche Mädchen, gut aussehend, schöne Kleider. Sie gingen auf die Marlborough School, eine private Mädchenschule. Ich war von vielen von ihnen besessen. Zwischen 1966 und 1969 drang ich abends in ihre Häuser ein, und wenn niemand da war, schnüffelte ich an ihren Unterhosen, durchstöberte die Medikamentenschränke oder stahl einen 10-Dollar-Schein aus der Handtasche ihrer Mutter. Ich habe das vielleicht ein paar Mal gemacht. Aber darum geht es nicht. Zwar habe ich getrunken, Drogen genommen und bin wegen dummer Kinderstreiche in den Knast gegangen. Aber ich habe vor allem eines: gelesen. Deshalb bin ich jetzt hier und rede in dieses Telefon.
Ich schreibe sehr lange Skizzen. Nur so können die Bücher so lang, tiefgründig, spannend, vielschichtig und komplex sein, wie sie sind. Meine Entwürfe können bis zu 700 Seiten lang sein. Und manchmal dauert es ein Jahr, sie zu schreiben. Bücher wie meine schreibt man nicht aus dem Stegreif.
James Ellroy: "Allgemeine Panik"
Brutal und verstörend: Die Romane von James Ellroy sind nichts für Weicheier. In der Kriminalliteratur ist der Amerikaner der Mann fürs Grobe. In seinem neuen Buch geht es um die Perversionen der Prominenz. Hollywoods fiesester Privatdetektiv packt aus: Freddy Otash, zudem Marinesoldat im zweiten Weltkrieg, Ex-Polizist und Skandalreporter des Boulevardblattes Confidential, sitzt nämlich im Fegefeuer - und um hier rauszukommen, muss er Zeugnis ablegen. 432 Seiten, € 26,80, erschienen im Ullstein Verlag. Parallel dazu ist das Buch "LAPD `53" erschienen: kurze Ellroy-Texte zu Archivaufnahmen, die Arbeit und Verbrechen der Polizei beleuchten. 224 Seiten, € 18, Ullstein Verlag.
Ich liebe das amerikanische Idiom. Ich habe es erforscht, erweitert, und die Sprache des Hard-Boiled-Romans vorangebracht. Mehr als jeder andere seit Dashiell Hammett. Hammett und ich sind so etwas wie das Alpha und Omega des Kriminalromans. Und ich werde nicht müde, welche zu schreiben.
Sie sind alle Scheiße, aber das ist mir egal. „L.A. Confidential“ ist Scheiße, „The Black Dahlia“ ist Scheiße. Aber sie haben mir eine Menge Geld gezahlt und das ist gut so.
Ich bin nach Denver gezogen, weil ich wieder mit Helen Knode, meiner zweiten Ex-Frau, zusammen bin. Wir haben zwei Lofts im selben Stock. Helen wohnt auf Tür 200, ich auf Tür 208. Ich habe einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, sie zu meiner. Das ist ein sehr gutes Arrangement. Ich mag Denver.
Ich habe es sehr genossen und bin auf den Spuren von Beethoven gewandelt. Ich denke, er ist das größte Genie, das die Geschichte je hervorgebracht hat.
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