Kult-Autor James Ellroy: „Ich will ihnen das Herz rausreißen“

Autor James Ellroy über seinen neuen Roman, Beethoven und James Dean, seine kriminelle Vergangenheit und seinen Hass auf Hollywood.

Ellroy ist der hartgesottene Meister des Kriminalromans. Temporeich und zynisch zeigen seine Romane die Kehrseite des American Dream und sind mittlerweile historische Sittengemälde. „Allgemeine Panik“ folgt Freddy Otash, Privatschnüffler und Skandalreporter, der tatsächlich gelebt hat – und in Ich-Form aus dem Jenseits zur großen Beichte antritt. Ein wilder Mix aus Fakten und Fiktion.

Mr. Ellroy, Sie sind 74, Altersmilde ist in Ihren Romanen jedoch keine zu spüren. Es geht brutal, hart, verstörend zu. Keine Lust, weicher zu werden?

Mein neuer Roman ist tiefgehend und tragisch. Aber „Perfidia“ oder „Jener Sturm“ etwa, die ersten beiden Bände des zweiten L.A-Quartetts, sind voller Romantik. Beide weisen weibliche Protagonisten auf, die den Männern, in die sie verliebt sind, in nichts nachstehen. Sie drücken die vielfältigste Menschlichkeit aus, die ich je dargestellt habe. Auch mein Stil hat sich erweitert. Es ist nicht mehr der „Bam-bam-bam“-Stil meiner frühen Werke. Er ermöglicht es mir, über größere historische Abschnitte zu schreiben. Und über eine größere Bandbreite menschlicher Emotionen.

Stimmt es, dass Ihr abgefeimter Protagonist Freddy Otash auch das Vorbild für Jack Nicholsons Rolle in „Chinatown“ war?

Nein. Freddy Otash war ein Krimineller. „Chinatown“ ist meiner Meinung nach auch kein guter Film. Überbewertet. Roman Polanski, der Regisseur, lebt jetzt in der Schweiz. Er ist ein Vergewaltiger. Seit Jahrzehnten versteckt er sich in Europa. Er ist jetzt etwa 90 Jahre alt, sie haben Angst, dass wenn sie ihn verhaften, man ihn aus Mitleid sympathisch finden könnte. Einfach weil er ein erbärmlicher alter Mann ist.

James Ellroy: "Ich höre nur klassische Musik oder alten Jazz. Meine Bücher schreibe ich mit der Hand"

©EPA/Kiko Huesca
Auch in Ihrem neuen Roman ziehen Sie über Hollywood her. Von Burt Lancaster über Marilyn Monroe bis Alfred Hitchcock kriegt jeder sein Fett ab. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie so etwas schreiben?

Ich lache. Es war ein Riesenspaß, Nicholas Ray, James Dean, Natalie Wood und Nicky Adams so zu porträtieren. Ich habe nichts als Verachtung übrig für diese Leute. Böse Typen sind das. Also habe ich auch mit einem überbewerteten Film wie „... denn sie wissen nicht, was sie tun“ abgerechnet. Der Streifen ist die Verballhornung von Rebellion. Er ist Babyscheiße.

Ich schaue mir die Bilder der Mädchen an und tue so, als wäre ich ein Hollywood High-Boy. Das waren Mädels, Bruder.

Welche Eindrücke möchten Sie bei Lesern hinterlassen, die Ihre Bücher lesen?

Ich will sie schockieren, erschrecken, sie wachrütteln, mit meinen Liebesgeschichten bewegen. Und ich will ihnen das Herz rausreißen.

Ihre Romane spielen nie im Heute. Haben Sie unstillbare Sehnsucht nach früher?

Ja, ich lebe in der Vergangenheit. Ich höre nur alte klassische Musik oder alten Jazz. Ich kleide mich auf alte Art und Weise. Ich mag Filmschauspielerinnen aus früheren Epochen. Meine Bücher schreibe ich mit der Hand. Ich stelle Schreibkräfte an, die sie für mich abtippen. Ich schaue auch nie ins Internet. Ich bin kein Teil der modernen Welt.

James Ellroy

James Ellroy

James Ellroy wurde 1948 in Los Angeles geboren. Als er zehn Jahre alt war, wurde seine Mutter Opfer eines tödlichen Sexualverbrechens. Nach Drogenmissbrauch und Kleinkriminalität wendet er sich dem Schreiben zu. Durchbruch 1987 mit „Die schwarze Dahlie“. Zahlreiche Verfilmungen, etwa „L.A. Confidential“.   

Wissen Sie dann überhaupt Bescheid über das aktuelle Weltgeschehen?

Natürlich weiß ich über Covid Bescheid. Und dass die Russen in die Ukraine einmarschiert sind. Aber ins Internet gehe ich nicht. Es interessiert mich nicht, was die Leute über mich sagen. Ich lebe in der Vergangenheit – und denke exzessiv über sie nach.

Wie zum Beispiel?

Ich habe einen Stapel Jahrbücher der Hollywood-Highschool aus den Sechzigern. Ich schaue mir dann die Bilder der Mädchen an und tue so, als wäre ich ein Hollywood High-Boy. Gail Miller. Janet Ivers. Claudia Cohen. Lynn Howke. Das waren Mädels, Bruder. Ich liebe es, auf diese Art in der Zeit zurückzureisen. Die Burschen tragen Lederpullover, die Mädchen karierte Röcke und Saddle Shoes. Wie sie da stehen, an der Ecke Sunset und High. Diese Mädchen sind jetzt alle in ihren Siebzigern. Wenn sie noch am Leben sind. Es ist unerträglich, der Lauf der Zeit. Wir alle sterben. Ich denke auch an meine ehemaligen Freunde. Wo sind sie jetzt? Das ist also, was ich nachts tue. Klingt das nicht nach Spaß?

Ein ähnlich faszinierendes Vergnügen wie als Sie einst in Häuser eingebrochen sind?

Ich war ein armer Kerl und lebte in der Southside von Hollywood. Nur eineinhalb Blocks südlich begann Hancock Park. Schicke Häuser, Villen im Tudor- oder spanischen Kolonialstil; reiche Mädchen, gut aussehend, schöne Kleider. Sie gingen auf die Marlborough School, eine private Mädchenschule. Ich war von vielen von ihnen besessen. Zwischen 1966 und 1969 drang ich abends in ihre Häuser ein, und wenn niemand da war, schnüffelte ich an ihren Unterhosen, durchstöberte die Medikamentenschränke oder stahl einen 10-Dollar-Schein aus der Handtasche ihrer Mutter. Ich habe das vielleicht ein paar Mal gemacht. Aber darum geht es nicht. Zwar habe ich getrunken, Drogen genommen und bin wegen dummer Kinderstreiche in den Knast gegangen. Aber ich habe vor allem eines: gelesen. Deshalb bin ich jetzt hier und rede in dieses Telefon.

Wie planen Sie ein Buch?

Ich schreibe sehr lange Skizzen. Nur so können die Bücher so lang, tiefgründig, spannend, vielschichtig und komplex sein, wie sie sind. Meine Entwürfe können bis zu 700 Seiten lang sein. Und manchmal dauert es ein Jahr, sie zu schreiben. Bücher wie meine schreibt man nicht aus dem Stegreif.

James Ellroy: "Allgemeine Panik"

Brutal und verstörend: Die Romane von James Ellroy sind nichts für Weicheier. In der Kriminalliteratur ist der Amerikaner der Mann fürs Grobe. In seinem neuen Buch geht es um die Perversionen der Prominenz. Hollywoods fiesester Privatdetektiv packt aus: Freddy Otash, zudem Marinesoldat im zweiten Weltkrieg, Ex-Polizist und Skandalreporter des Boulevardblattes Confidential, sitzt nämlich im Fegefeuer - und um hier rauszukommen, muss er Zeugnis ablegen. 432 Seiten, € 26,80, erschienen im Ullstein Verlag. Parallel dazu ist das Buch "LAPD `53" erschienen: kurze Ellroy-Texte zu Archivaufnahmen, die Arbeit und Verbrechen der Polizei beleuchten. 224 Seiten,  € 18, Ullstein Verlag. 

In Pension gehen möchten Sie nicht?

Ich liebe das amerikanische Idiom. Ich habe es erforscht, erweitert, und die Sprache des Hard-Boiled-Romans vorangebracht. Mehr als jeder andere seit Dashiell Hammett. Hammett und ich sind so etwas wie das Alpha und Omega des Kriminalromans. Und ich werde nicht müde, welche zu schreiben.

Wie zufrieden sind Sie mit den Verfilmungen Ihrer Bücher in Hollywood?

Sie sind alle Scheiße, aber das ist mir egal. „L.A. Confidential“ ist Scheiße, „The Black Dahlia“ ist Scheiße. Aber sie haben mir eine Menge Geld gezahlt und das ist gut so.

Wie leben Sie heute in Denver?

Ich bin nach Denver gezogen, weil ich wieder mit Helen Knode, meiner zweiten Ex-Frau, zusammen bin. Wir haben zwei Lofts im selben Stock. Helen wohnt auf Tür 200, ich auf Tür 208. Ich habe einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, sie zu meiner. Das ist ein sehr gutes Arrangement. Ich mag Denver.

Sie waren auch schon in Wien, als Gast der Viennale. Wie erinnern Sie sich daran?

Ich habe es sehr genossen und bin auf den Spuren von Beethoven gewandelt. Ich denke, er ist das größte Genie, das die Geschichte je hervorgebracht hat.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare