Zukunft als Gesamtkunstwerk: Energieautarke Glashäuser

Früher waren sie Energieschlucker. Heute haben Glashäuser Anteil an einem Konzept, das einen ganzen Gebäudekomplex energieautark macht, wie das Beispiel des Steirerecks am Pogusch zeigt.

Wer bei Birgit und Heinz Reitbauer auf der Alm übernachtet, wacht zwar nicht unter Palmen, aber gleich neben Bananenstauden oder Zitruspflanzen auf. Auch neben solchen, die gerade Früchte tragen, wie die orange-gelbe Zitronatzitrone mit ihrer runzeligen Schale, die vermutlich Vorfahren in Schönbrunn hat. Jedenfalls war es der Zitruspflanzenexperte der kaiserlichen Orangerie, der bei der Gestaltung des exotischen Szenarios im Glashaus auf über 1.000 m Seehöhe auf dem obersteirischen Pogusch Hand angelegt hat. Geschlafen wird in Kabanen, zehn kleinen Rückzugsräumen, innerhalb des Glasgebäudes, in dem man Wohnen, Wellness und Seminarräume mit anderen Gästen teilt, bis hin zum Kamin als Wärmespender im Winter. Und dann ist hier auch noch der Duft, beispielsweise der Guave, einem Myrtengewächs, wenn es gerade in Blüte steht. Das alles gibt es, auch wenn es draußen schneit, zu 98 Euro die Nacht. Neben dem schon bestehenden Luxushotelangebot des Steirerecks auf der Passhöhe hatten die Reitbauers, mit Blick auf eine jüngere Klientel, auch ein unkonventionelles günstigeres Angebot angestrebt.

Nur durch Glas von der Natur draußen getrennt zu sein und sich zugleich im Inneren des Gebäudes mit allen Errungenschaften der Zivilisation verwöhnen zu lassen, ist eine weitverbreitete Paradiesvorstellung. Dazu gesellt sich noch der Vorzug, von subtropischen Pflanzen umgeben zu sein. Allein als Stimmungsmacher haben diese schon Dieter Schempp, dem Pionier der modernen Glashausarchitektur der 1970er-Jahre, imponiert. Gleich zwei Drittel der umbauten Fläche seiner Gebäude waren mit Pflanzen bestückt. „Von Grün geht ein Gefühl der Beruhigung und Kühle aus“, meinte er seinerzeit „das hat zunächst nichts Physikalisches an sich. Diese Gefühle sind mit dem Thermometer nicht messbar. Aber sie greifen über psychosomatische Vorgänge in das körperliche Befinden des Menschen ein.“ 1974 hat er im Botanischen Garten der deutschen Universitätsstadt Tübingen ein altes Glashaus übernommen, Schreibtische zwischen die Pflanzen gestellt und seinen Bürobetrieb eröffnet.

Birgit und Heinz Reitbauer haben mit dem Architektenteam von PPAG das Vorzeigeprojekt entwickelt, das Hotellerie mit zukunftsfähiger Landwirtschaft verbindet
 

©Kurier/Steirereck

Im Winter saß man mit Handschuhen an der Arbeit, doch man wollte dabei sein, weil hier etwas Neues entwickelt wurde, nämlich Pflanzen-Solarhäuser. Diese haben auch in Österreich junge Architekten inspiriert, die von Schempp an der Donau Universität Krems unterrichtet wurden. Energiesparen durch Nutzung der gratis Sonnenwärme war das zentrale Thema und durch die Erdölkrise von 1973 hoch relevant. Durch die Entwicklung hochdämmender Isoliergläser hat die Glashausarchitektur inzwischen eine ganz neue Dimension erreicht. Statt als energiefressende „Wintergärten“, die wie Beulen an Häuser unbekümmert, oft im Pfusch, angefügt worden waren, können Glasgebäude heute sogar als „Energielieferanten“ errichtet werden.

Eindrucksvoller Bauteil des architektonisch-energetischen Gesamtkonzepts ist das große Glashaus. 
Links unten befinden sich die Zugänge zu den Schlafplätzen
 

©Steirereck

Ein Beispiel mit Vorbildwirkung ist das Areal am Pogusch, entwickelt vom Wiener Architekturbüro PPAG. Der steirische Besitz der Familie Reitbauer, die mit dem Wiener „Steirereck im Stadtpark“ zur Gastro-Weltspitze zählt, liegt wie ein Streudorf auf der Passhöhe. Mit dem „Urhaus“, einem Steinhaus von 1616, und einem alten Holzhaus im Zentrum, einer Landwirtschaft und zusätzlichen Gästeunterkünften plus Restaurantbetrieb. PPAG hat das „Dorf“ um das „Salettl“, einen zeitgemäßen Gastraum mit Rundblick, die neue Schankküche und Glashäuser erweitert. Das eine ist ein Glashaus auf drei Ebenen mit unterschiedlichen Temperaturzonen für ganzjährige Pflanzenkulturen, in dem sich auch die unkonventionellen Gästeunterkünfte befinden.

Im großen Glashaus teilen sich die Gäste Wohnen und Wellness, auch Seminarräume befinden sich hier. Eine weitere Glasarchitektur ist das „Salettl“ mit Ausblick in die Natur. 

©Steirereck

Über ein zweites Glashaus, das an die Küche angeschlossen ist, wird diese mit Kräutern und Gewürzen versorgt. Beide sind über Atrien mit dem großteils unterirdisch angelegten „Küchenhinterland“ verbunden und werten dieses durch Tageslicht und Transparenz auf. Das Ergebnis ist ein übers Jahr gesehen autarker, ressourcenschonender „Plus-Energiekomplex“. Ermöglicht wird das durch ein maßgeschneidertes Energiemanagement, das die Abwärme von Küche und Kühlung nutzt im Zusammenspiel mit Solarthermie, Fotovoltaik, Hackschnitzel und Bauteilaktivierung, die Wärme speichert und wieder abgibt, die sonst verpuffen würde.

Im großen Glashaus mit drei Ebenen für ganzjährige Pflanzenkulturen befinden sich auch Gästeunterkünfte. Geschlafen wird in Kabanen. Ein zweites versorgt die Küche mit Kräutern und Gewürzen

©Steirereck

Den Reitbauers geht es bei ihrem Großprojekt, das sich als solches dennoch harmonisch in die Landschaft fügt, aber nicht allein um eine klimafitte Energiebilanz. „Wir denken an eine Zukunft der Landwirtschaft, die Wertschätzung von Lebensmitteln und ihrer Produzenten. Das alles wollen wir an diesem Ort transparent machen und vorzeigen können“, sagt Heinz Reitbauer. 400 verschiedene essbare Pflanzen und mehr als 110 alte Streuobstsorten wachsen rund ums Haus.“ Beim Erdäpfelklauben können Gäste auch mit anpacken: „Macht man das gemeinsam in einer Gruppe und nimmt dann auch noch eine Kiste mit nach Hause, so ist das für alle sinnstiftend.“

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