Finden statt suchen: Ein Besuch bei Wiener Wirtin Marion Jambor
Marion Jambor kennt man als Wirtin des Gasthaus Woracziczky in Wien-Margareten, von erzählten Menüs und erklärtem Wienerisch im Selfie-Modus auf Instagram. Ein Besuch mit Blick aufs Gasthaus.
Von Ada Karlbauer, Fotos: Petra Rautenstrauch
Gleich gegenüber vom Gasthaus Woracziczky wohnt die Wirtin Marion Jambor in einer hellen Altbauwohnung. Aus dem Wohnzimmer sieht man direkt auf das Lokal. Schon im Gang des Vorraumes findet man dicht aneinander Malereien und Skulpturen. Die Sammlerleidenschaft erkennt man sofort. "Ich zieh mich oft am Tag um. Gwand ist für mich der Spiegel der Tagesverfassung. Am liebsten hätte ich fünf Kleiderpuppen dastehen, um die Stücke anschauen zu können."
Zu Beginn ist Marion noch schwarz gekleidet, das Outfit wird sich später mehrmals ändern. "Die meisten Leute fragen mich, ob es nicht zu stressig ist, nah am Arbeitsplatz zu wohnen. Ich kann sehr gut abschalten. Ich geh raus und die Arbeit ist vorbei. Ich bin eine Frühaufsteherin, gehe dann meist zehn Kilometer spazieren, schlafe gerne am Nachmittag und stehe erst wieder sehr knapp vor dem Abenddienst auf." Erst einmal hat die Wirtin in den vergangenen 15 Jahren verschlafen.
"Da sind dann schon zwölf Leute vor der Tür gestanden“, erzählt sie lachend. "Meine Wohnung ist eigentlich sehr groß für eine Einzelperson. Die meiste Zeit verbringe ich auf meinem Tisch oder im Bett, ich glaub ich bin bis jetzt erst zweimal auf dem Sofa gesessen."
Irgendwoher. Fast jeder Zentimeter von Marion Jambors Wohnung ist mit einem speziellen Gegenstand bedeckt. "Ich hab sehr gerne Kunst, in jeder Form. Ich sammle auch schon a Zeitl, gemeinsam mit meinem Sohn Luki. Oft stehen Bilder sechs Monate irgendwo herum, und ich denk mir, das passt nirgends hin, dann häng ich’s um und plötzlich gehts." Die Bilder und Skulpturen sind hintereinander gestapelt und werden immer wieder neu platziert. "Für mich sind es Inseln, die etwas bedeuten. Dieser Löwenzahn zum Beispiel ist schon vier oder fünf Jahre alt. Ich habe ihn vorsichtig den Nussberg heruntergetragen."
Fast jedes der Objekte verkörpert eine Erinnerung. Auch Blumen, Bienenwaben, Keramikfiguren und Steine werden gesammelt. "Ich gehe nie auf die Suche, sondern finde irgendwo was und denk mir, das ist geil." Marion kauft nur Dinge mit Vergangenheit. "Oft fragen Leute, woher ich was habe und ich sag immer: irgendwoher. Ich stell mir dann vor, welche Geschichten dahinter stecken. Wenn ich könnte, würde ich noch viel mehr alte Möbel haben. Auch im Gasthaus finden sich auf jedem der Tische Objekte aus Marions Sammlung, die täglich den Platz wechseln."
Chroniken & Etymologien
In der Wohnung gibt es kaum Bücher, die meisten sind bei der Caritas gelandet. Marion liest fast nur mehr E-Books. "Seit einiger Zeit lese ich vor allem Chroniken, auch Etymologien interessieren mich wahnsinnig“, erzählt sie mit Blick auf einen Holztisch, auf dem Bücherstapel stehen. "Die Bücher, die ich noch habe, liegen hier, werden immer wieder durch andere ersetzt. Wienerisch mag ich wahnsinnig gerne, das wird viel zu wenig gepflegt. Ich rede explizit wienerisch, auch wenn das manchmal ein bisserl ordinär klingt, das macht mich aus und das muss man dann halt aushalten." Auf Instagram teilt sie diese Leidenschaft täglich als "Das wienerische Wort vom Tag".
Viele der Wörter kennt keiner mehr. "Ich finde, man sollte beides können. Ich muss mich irgendwo in ein Wirtshaus setzen und mitreden oder am Abend zum Präsidentenempfang gehen können." Der Tisch ist immer voll, oft sitzt sie im Schneidersitz darauf. Neben den Büchern eine Weinflasche, mit Filzmotiven überzogen, sie stammt von der Künstlerin Kiki Furlan. "Die habe ich letztes Jahr bei einer Charity-Veranstaltung beim Weingut Zum Pranger ersteigert. Mein Sohn war dort der Auktionator und ich war so aufgeregt, dass ich mich selbst übersteigert habe."
Beim Thema "wienerisch" darf natürlich der Tod nicht fehlen. "Oft überlege ich mir, wenn ich nicht mehr wäre (ich hasse Konjunktiv), dann geht die Bedeutung der Dinge verloren. Ich überlege mir dann, welches Stück ich nehmen würde, um meinen Enkeln etwas Stellvertretendes weiterzugeben. Ich glaub, ich würd einen Stein nehmen", meint Marion und zeigt auf einen, der als Handy-Ablage dient. "Den hab ich aus Vorarlberg mitgenommen und jeden Tag in Verwendung und der wird mich immer an diese Momente zurück erinnern."
Wurstbrot und Punschkrapferl.
Gäste werden selten empfangen. "Wenn, dann gibt es immer nur Schinken-Käse-Toast", erzählt sie. "Ich hab da noch nie gekocht, das stresst mich wahnsinnig, aber meine Kinder kochen eh schon genug. Ich sitze ur-gerne Stunden beieinander, esse ein Wurschtbrot, Käs oder ein Punschkrapferl dazwischen.
Die Geschichte mit dem Essen ist zwar mein Leben, hat aber in meinem Privatleben nicht mehr die oberste Priorität. Ich kenn zwar auch die ganzen Gastronomen, aber ich renn nicht mehr überall hin, wo es neu ist, die Wertigkeiten haben sich da verlagert", erzählt die Wirtin. Die Küche wird nie benutzt, im Kühlschrank nur Bier und Äpfel, anders als man sich den Stereotyp einer Wirtin vorstellt. "Wenn ich aber Gastgeberin bin, wird der ganze Tisch gedeckt, dann will ich, dass alle ganz viel essen und trinken, solange bis keiner mehr kann. Das mag ich voll gern."
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