Kann man Liebe lernen? Eine Schule in Hamburg weiß, wie's geht
Liebeskummer, Affären und die Disneyfizierung von Beziehungen: Die Gründer der Modern Love School in Hamburg im Interview.
„Wer sich bindet, muss ganz schön verrückt sein“, stellte der Autor und Philosoph Alain de Botton einmal fest. Dennoch kann der Mensch nicht anders: Nichts Schöneres vermag er sich vorzustellen, als sein Leben mit einem anderen Menschen zu teilen.
Das macht die Sache auch so verdammt kompliziert.
In unseren auf Effizienz zugeschnittenen Leben bleibt die Liebe das letzte, das größte Mysterium. So sehr wir uns auch Mühe geben, maßgeblich können wir sie dennoch kaum beeinflussen – gleichzeitig hoffen wir inständig, unser Schicksal möge sich in ihr erfüllen.
Tatsächlich aber steckt die Angelegenheit von Anfang an voller Fußangeln. Hoffnungsfroh beginnt sie bei der sehnsüchtigen Suche nach dem idealen Partner. Ist der einmal gefunden, stellt uns die Beziehung mit diesem vor ungeahnte Herausforderungen. Dass sie eine Hochschaubahn an Phasen durchläuft, von der ersten, ungestümen Verliebtheit bis zur lange anhaltenden Bindung - macht es nicht leichter. Zu guter Letzt besteht immer noch die Aussicht auf die Königsdisziplin: den Liebeskummer - und damit all den grenzenlosen Schmerz, den einem die Liebe zuzufügen mag: von der unerhörten Sehnsucht bis zum Erstarren in einer toten Beziehung.
Kann man Liebe lernen?
Und eine „Volkshochschule der Liebe“ soll einem bei all dem helfen? Ja, sagen Barbara Hamm und Eric Hegmann. Zusammen haben sie die Modern Love School in Hamburg gegründet. Sie bietet E-Learning in Sachen Liebe: Die Digital-Strategin aus dem Mediengeschäft (etwas als Chefredakteurin von stern.de) und einer der bekanntesten Paartherapeuten im deutschsprachigen Raum bieten Online-Kurse wie „Wie finde ich den richtigen Partner?“ oder den Liebestest „Wie gut passen wir zusammen?“ an, arbeiten dabei mit Psychologen, Soziologen und Coaches zusammen. Wie sinnvoll ist das und was sind die Antworten auf die großen Fragen der Liebe? Beim Interview mit Barbara Hamm und Eric Hegmann hakten wir nach.
Barbara Hamm: Ich möchte mit einem Blick auf die Zahlen antworten. Nach einer Studie von Parship sind 1,8 Millionen Menschen in Österreich alleinstehend, die Hälfte davon bereits seit mehr als drei Jahren. Rund 40 Prozent der unter 30-Jährigen gaben sogar an, noch nie eine Beziehung gehabt zu haben. In anderen deutschsprachigen Regionen sieht es vergleichbar aus. Liebe ist vermutlich keine Selbstverständlichkeit. Oder etwas, von dem sich viele Menschen eine vorübergehende Auszeit nehmen.
Hamm: Die Modern Love School gibt es jetzt seit drei Jahren und wir arbeiten an einer systematischen Auswertung. Wir können aber bereits sehen, wir sprechen Menschen an, die vor den typischen Herausforderungen der Liebe stehen – Partnersuche, Kommunikation, Trennung.
Hamm: Ja und nein. Auf der einen Seite sind die Herausforderungen ähnlich. Nur die Art und Weise, diese zu meistern, hängt von den jeweiligen Prägungen und Erfahrungen eines Menschen ab. Die Kurse der Modern Love School fördern genau diese individuelle Reflektion und Entwicklung – durch Tests, Übungen, Interventionen.
Eric Hegmann: Es ist weniger die Liebe als der Verlust von Liebe, der zu Enttäuschung führt. Ebenso kann die Partnersuche enttäuschen, wenn sie als eine Folge von Zurückweisungen und falschen Versprechungen erlebt wird. Allerdings führen auch falsche Vorstellungen von Liebes- und Beziehungsglück zu Frust. Die Suche nach der Liebe auf den ersten Blick wie im Film beispielsweise ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die heute immer und überall verfügbaren Filme, Serien und auch Instagram-Bilder führen zu einer Disneyfizierung der Liebe, wie ich sie nenne. Alles verkauft sich besser mit einer Liebesgeschichte und deshalb werden Menschen überhäuft mit unwirklichen Darstellungen, die zwar viel Sehnsucht und Leidenschaft abbilden, aber eben keine echte Liebesbeziehung. An dieser Stelle hören die Geschichten immer auf. In einer repräsentativen Studie vom vergangenen Jahr von ElitePartner wurde meine These von der Wirkung dieses vermeintlich romantischen Dauerfeuers übrigens bestätigt. Über 30 Prozent sagten, sie würden sich von medialen Vorbildern beeinflussen lassen.
Hamm: Aktuell bieten wir zehn Kurse an, die auf zehn Situationen zugeschnitten sind – von Partnersuche bis Liebeskummer. Wir betrachten die Modern Love School allerdings nicht als klassische Schule, sondern als einen Ort, an dem Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bekommen.
Hegmann: Sie soll sich einfacher gestalten lassen, sie soll eindeutiger sein und erkennbarer. In der Praxis erlebe ich sehr oft: Liebe soll Sicherheit geben. Was schwierig ist, denn Liebe lässt sich nicht festhalten. Liebe war noch vor wenigen hundert Jahren das Sicherheitsrisiko einer Ehe, denn man heiratete aus Vernunftgründen oder um das Überleben zu sichern. Dass wir aus Liebe heiraten und das Liebe gleichzeitig der Grund sein darf, dass zwei Menschen heiraten dürfen, ist eine großartige, aber neue Idee. Verklärte Nostalgie tut so, als hätten Menschen schon immer in Beziehungen gelebt wie heute. Das ist Unsinn und tut so, als hätten Paare in allen Zeiten die gleichen Probleme und Konflikte erlebt. Das kann bei manchen den Eindruck verstärken, sie würden an der Liebe scheitern, dabei ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe, wie wir sie uns heute wünschen, etwas gänzlich Neues, das erst durch die fortschreitende Gleichberechtigung der Frau möglich wurde.
Hegmann: Der Wunsch nach Bindung ist Menschen einprogrammiert. Wir sind soziale Wesen, die Austausch und emotionale Nähe benötigen. Das muss aber nicht in einer Zweierbeziehung geschehen, obwohl die große Mehrheit sich genau diese wünscht. Es gibt aber eine Menge Gründe, Single sein zu wollen. Nach einer Trennung, nach einem Verlust, weil die Lebensziele andere sind. „Ich suche nicht, aber ich lasse mich finden“, ist ein Spruch in vielen Profilen, der diese Ambivalenz aufzeigt.
Hamm: Wir leben in einer Zeit, in der wir unter Umständen sehr viel weniger Gemeinschaft erleben. Vor 100 Jahren erlebten Menschen noch die Gemeinschaft der Großfamilie, der Kirche, einer lebendigen Nachbarschaft. Die Erwartungen an die Partnerschaft sind dementsprechend gestiegen. Gleichzeitig nehmen Menschen immer mehr Beziehungsanläufe und erleben dementsprechend auch mehr Enttäuschungen, von denen sie sich (als Single) erholen.
Hegmann: Beziehungsunfähig ist nahezu niemand. Allerdings können schmerzhafte Erfahrungen sowohl verlustängstliche als bindungsängstliche Tendenzen verstärken. Beispielsweise wenn jemand aus Sorge vor Zurückweisung überzeugt ist, sich Liebe verdienen zu müssen. Oder aus Furcht vor einer weiteren Trennung erst gar keine Nähe mehr zulässt, um sich vor Verlusterfahrungen zu schützen.
Hegmann: Schauen Sie genau hin, was Sie aneinander haben. Gerät ein Paar erst einmal in einen Konflikt-Strudel, dann liegt der Fokus rasch nur auf dem Mangel, auf dem was fehlt und was die Partner unterscheidet. Unterschiede sind dann Bedrohungen. Dabei hat jedes Paar auch ganz viele Ressourcen und Erfahrungen und Fähigkeiten, mit denen es bereits Probleme gelöst hat. Da ist viel mehr Fülle, als zunächst gesehen wird. Es lohnt sich, Optimismus zu üben, dann erleben die Partner nämlich Unterschiede als Ergänzungen. Das ist beispielsweise Schwerpunkt unseres Onlinekurses zur Verbesserung der Paarkommunikation.
Hegmann: Für Affären gibt es zahlreiche Gründe. Manche Menschen gehen fremd, weil sie in der Beziehung etwas vermissen, meist ist das Nähe in einer Form, körperlich oder emotional. Aber anderen geht es um sexuelle Wünsche und Erfahrungen, anderen um Selbstbestätigung, anderen um das Brechen eines Tabus. In unserem Onlinekurs bieten wir einen Beziehungstest an, der häufige Auslöser-Situationen benennt, damit ein Paar gegensteuern und wieder eine sichere Verbindung herstellen kann.
Hegmann: Weltweit kämpfen Menschen darum, die Person heiraten zu dürfen, die sie lieben und gehen dabei große Risiken ein. Ob die Ehe heute noch als Wirtschaftsgemeinschaft das ideale Modell ist, müssen Ökonomen beantworten. Wenn es aber um das emotionale Band geht, das ein Versprechen füreinander vor der Familie, vor Freunden und vielleicht auch vor Gott bedeutet, scheint mir deutlich, wie wichtig diese Institution für Paare sein kann.
Hamm: Den einen Tipp gibt es nicht, weil je nach Stadium eine ganze Reihe von Schritten erforderlich sind. Aber ich versuche es mal mit drei Tipps: radikale Akzeptanz des Beziehungs-Aus; negative Gefühle zulassen und erforschen; schnellstmöglich auf sich selbst konzentrieren und neue Glücksquellen erschließen.
Hegmann: Wenn Sie Langzeitpaare fragen, wie sie die Krisen ihrer Beziehung gemeistert haben, dann antworten die Ihnen: Weil wir uns immer auch an unsere Freundschaft erinnert haben. Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die zugewandte Kommunikation, die Achtsamkeit, die Dankbarkeit füreinander, die Liebe wachsen lassen in allen Momenten. Wenn Paare auf eine solch sichere Verbindung zurückgreifen können, dann kommen sie mit den schwierigen Situationen besser zurecht.
Hamm: Weil wir Menschen kompliziert sind. (schmunzelt)
Hegmann: Der Begründer der Bindungstheorie, John Bowlby, nannte eine glückliche Beziehung einen sicheren Hafen, von dem aus die Partner die Welt erkunden. Darin wird der Widerspruch der Liebe deutlich: Auf der einen Seite das Bedürfnis nach Nähe, nach Verschmelzung und Verbindung, auf der anderen Seite der Wunsch nach Freiraum, nach Selbstbestimmung und nach Exploration. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse nach Nähe und Distanz treten nun einmal selten bei zwei Personen immer im gleichen Moment auf und sorgen damit für Ängste und für Zweifel. Das darf sein, das muss auch sein. In einer Beziehung müssen die Partner diesen Widerspruch jeden Tag aushalten und verhandeln lernen. Und das beispielsweise will die Modern Love School ermöglichen und einfacher machen.
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