Warum wir trotz Beziehung nicht zusammenwohnen

Unsere Autorin ist in dieselbe Stadt gezogen wie ihr Freund. Sie wohnen nicht zusammen - und stoßen auf Unverständnis.

Früher stellte sich die Frage nach dem gemeinsamen Haushalt gar nicht: Sobald man sich für eine Beziehung entschied, suchte man nach einer gemeinsamen Wohnung, heiratete und bekam im besten Fall auch noch Kinder. Eigentlich müsste der nächste Satz jetzt lauten: Aber diese Vorstellung von Beziehung gehört nun der Vergangenheit an. Immer mehr Paare entscheiden sich dazu, in getrennten Haushalten zu leben und zeigen, dass man als Paar auch mit diesem Modell sehr glücklich sein kann. Tja, ich muss euch enttäuschen. In meinem Fall ging mein Umfeld wohl eher von Satz eins aus.

"Es ist doch viel praktischer"

Ich erinnere mich noch an eines der ersten Gespräche dieser Art. Es war der Tag, an dem ich bei meinem ehemaligen Arbeitgeber gekündigt hatte. Gerade war ich dabei, meinem Chef zu erklären, dass ich gern in eine andere Stadt ziehen würde um mich selbst weiterzuentwickeln , als er mich unterbrach: "Ach so, Ihr Freund zieht ja auch nach Wien oder? Jetzt ist mir alles klar." Zu verwundert um zu antworten, runzelte ich nur meine Augenbrauen. "Und habt's euch schon für eine Wohnung entschieden?" Als ich antwortete, dass wir nicht zusammenziehen werden, sah er mich höchst perplex an. "Aber warum denn nicht? Das ist doch viel praktischer, auch wegen der hohen Mieten?" Ich speiste ihn mit ein paar dürren Erklär-Floskeln ab und verließ das Büro, im Glauben, dass sei halt die Erwartungshaltung einer anderen Generation.

Viele Paare entscheiden sich schon wenige Monate nach dem Kennenlernen, zusammenzuziehen. 

©Soren Svendsen/ Getty Images

"Habt ihr Probleme?"

Leider war es keine Generationenfrage, wie sich wenig später herausstellte. "Ah, wegen seiner Bindungsprobleme will er wahrscheinlich nicht, gell?", fragte eine Freundin beim Gin Trinken in einer Bar. "Nein", sagte ich, "wir wollen einfach unsere eigenen vier Wände haben. Wir können uns ja so oder so immer sehen wann wir wollen wenn wir eh in der selben Stadt leben." Sie nickte nur leicht. "Ja aber wenn ihr euch dann eh fast jeden Tag oder immerhin jeden zweiten seht, dann würde es sich schon rentieren oder?", warf eine andere Freundin am Tisch ein. Verwundert über die konservativen Beziehungseinstellungen meiner vermeintlich liberalen Freundinnen sagte ich: "Aber wir wissen ja noch nicht, wie oft wir uns dann sehen wollen. Das kann jeden Tag in einer Woche sein oder mal ein, zwei Wochen gar nicht. Gerade weil wir nicht zusammenziehen haben wir diese Freiheit."  Wieder ein Nicken. 

Gespräche dieser Art häuften sich, sodass ich lernte, sie abzublocken oder mein Gegenüber mit einer Standard-Antwort abzuwehren. Auch in meinem familiären Umfeld war das Unverständnis groß. "Wie kann man denn als Paar in ein und dieselbe Stadt ziehen und dann nicht zusammenwohnen? Wollt ihr dann niemals zusammenwohnen? Der Vorschlag ging sicherlich von ihm aus, oder?" Es war das Gesprächsthema bei unseren Familienfeiern. Natürlich kam auch die Frage nach der Ernsthaftigkeit unserer Beziehung auf. "Naja, aber wenn man sich liebt, dann will man doch den Großteil der Zeit miteinander verbringen, also auch zusammenwohnen oder?", fragte meine Tante. Und als ich zum gefühlt 150. Mal zu meiner Rechtfertigung ansetzen wollte passierte etwas, womit ich niemals gerechnet hätte: Mein Opa klopfte mir auf die Schulter und sagte: "Nana, des passt schon so. Bleib' so lang wie möglich unabhängig und leb' dein eigenes Leben. Alles andere kommt noch früh genug." Ein Grinsen in Richtung Oma. 

„Living Apart Together“

Diese "Beziehungsform" scheint so speziell zu sein, dass sie sogar eine eigene Definition hat. „Living Apart Together“ ist gesellschaftlich aber nur als Art Zwischenstadium anerkannt. Man geht auf Dates, beginnt eine Beziehung - und wenn's gut läuft, dann kann man nach ein, zwei Jahren getrost zusammenziehen. Skurril: In der Soziologie zählten Wissenschaftler Frauen und Männer, die nicht zusammenlebten aber trotzdem eine Beziehung hatten, bei Studien über mehrere Jahrzehnte lang als Singles. 

Mein Fazit? Ich plädiere dafür, Liebe und die Art der Beziehung zweier Menschen nicht an deren Wohn-Situation festzumachen. Nur weil ich als Ehepartner eine Fernbeziehung führe, in einem Zimmer mit meinem Partner lebe, eine offene Beziehung führe oder eben einfach meine eigene Wohnung haben will, heißt das noch lange nicht, dass ich keine glückliche Partnerschaft habe. 

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Stephanie Angerer

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