Mit Geräuschen besser einschlafen: Funktioniert das wirklich?
ASMR-Videos, in denen gewispert und geknistert wird, liegen im Trend. Was eine Forscherin dazu sagt - und was beim Selbstversuch passierte.
Flüstern, knistern, zischen, kratzen: Das ist der Stoff, aus dem eines der spannendsten Netzphänomene der vergangenen Jahre gemacht ist. Es geht um Videos, in denen vor allem junge Frauen mit ihren Nägeln auf Gegenstände trommeln, an Keksen knabbern oder sich die Haare bürsten, während sie ins Mikro wispern. Wirkt wie ein Fetisch, ist aber keiner. Stattdessen haben die Bewegtbilder einen professionell klingenden Kunstnamen: "Autonome sensorische Meridianreaktion", kurz ASMR. Damit ist der Effekt gemeint, der ausgelöst wird. Fans erleben ihn als Kribbeln, das sich vom Kopf über den Nacken die Wirbelsäule entlang ausbreitet und entspannend wirkt, von Insidern "Tingle" genannt, manchmal auch "Hautorgasmus". ASMR-Künstler verdienen mit ihren YouTube-Channels mittlerweile viel Geld, ihre Clips werden millionenfach geklickt, die Community wächst. Firmen wie Ikea oder Pepsi nutzten ASMR bereits, um Marketing für ihre Produkte zu machen. Wir haben eine Wissenschaftlerin gefragt, was hinter dem Hype steckt und ASMR für Euch ausprobiert.
Intimitätspraxis
Joanna Lapinska vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien beschäftigt sich seit Jahren mit ASMR, ihr aktuelles Projekt beleuchtet es als "neue Intimitätspraxis". Erlebt werden ASMR-Clips hauptsächlich als leicht zugänglicher Wohlfühlcontent, der rasch Verbindung zu einer anderen Person schafft und das seelische Wohlbefinden fördert. "Viele ASMR-Fans berichten, dass die Clips bei Depressionen oder Angststörungen helfen, manche Forscher vergleichen es mit Achtsamkeitspraktiken wie Meditation", sagt sie. Die angenehmen Gefühle, die entstehen, knüpfen an schöne Kindheitserinnerungen: die flüsternde Stimme der Mutter, Gute-Nacht-Geschichten, die die Eltern leise vorlasen. "Es ist keine anerkannte Therapie, aber viele User schreiben in den Kommentaren zu den Videos, dass ASMR für sie therapeutisch wirkt. Das macht es zu einem Selbstfürsorgetool", sagt Lapinska.
Die sensorischen Eindrücke der Clips wirken auf die Zuseher zudem, als wären sie nur für sie gemacht, so entsteht eine intime Verbindung zu den Creatoren. "In der Community tauschen sich die Fans untereinander aus, und das erzeugt ein Gemeinschaftserlebnis", sagt die Medienwissenschaftlerin. Ein weiterer Punkt: In der Kakophonie der modernen Welt wirkt die audiovisuelle Stille-Ästhetik wie ein Gegenpol, der entschleunigt. ASMR führt häufig in Entspannungszustände mit verlangsamter Herzfrequenz und tiefer Atmung.
Das hat mich natürlich neugierig gemacht - als Mensch, der mitunter schlecht schläft oder sich unruhig fühlt. Meditation hilft, ein langer Waldspaziergang auch. Aber was ist mit dem angepriesenen "Kribbeln"? Ich google nach "ASMR-Einschlafhilfe" und finde ein YouTube-Video, in dem eine Frau mich mit ihren "10 besten Triggern“" beruhigen möchte. Doch leider. Der Versuch, mich mit Fingernägel-Geklimpere und flauschigem Stoff, der übers Mikro gezogen wird, ins Land der Träume zu katapultieren, geht komplett daneben. Im Gegenteil: Das Geflüstere und Geklappere sowie die sogenannten speziellen "Mouthsounds" (Mundgeräusche) machen mich nicht nur vollkommen nervös, sondern sogar leicht aggressiv. Irgendwann frage ich mich: Was will sie nur von mir? Fazit: Nix für mich. Was am Hype nichts ändert.
ASMR als Kunst?
Was einst mit amateurhaftem Flüster-Content begann, verändert sich permanent professionell weiter, so Lapinska: "Die Inhalte der Clips werden um neue Aspekte ergänzt." Etwa mit Videos, in denen Menschen geräuschvoll essen. Auch Rollenspiele werden beliebter: Der Eindruck, man würde im Gesicht rasiert oder mit einem Pinsel geschminkt, löst bei ASMR-Fans ebenfalls Kribbeln aus. Andere lieben die Kombination mit "Oddly satisfying Videos" , samt komischen Geräuschen – etwa, wie eine Seife zerschnitten wird oder Wasser eine Treppe hinunterläuft.
Lapinska stellt außerdem zur Diskussion, ob ASMR Kunst ist. Eine große Ausstellung wurde dem Thema im "Design Museum London" bereits gewidmet. Kurator James Taylor-Foster sagte in einem Interview, wie sehr ASMR uns bewusst mache, dass Menschen sensorische Wesen sind. Und im ASMR-Kanal "Made in France", den mehr als eine halbe Million Menschen abonniert haben, produziert ein französischer Sound-Designer ASMR-Clips, die sich an berühmte Filmszenen anlehnen. Etwa an die Voldemort-Tagebuchszene aus "Harry Potter", in der eine halbe Stunde lang nur das Kratzen einer Schreibfeder und das Knistern trockener Buchseiten samt Flüstern wahrzunehmen ist. Knapp eine Million Menschen haben die Szene bisher gesehen, zirka 39.000 gelikt.
Doch, wie gesagt: Trotz großes Erfolgs, scheidet ASMR die Geister. "Entweder man mag es oder mag es nicht, da gibt es wenig Graubereich", sagt Lapinska. Und auch sie gesteht, dass ihr das Wispern und Knistern eher unangenehm ist.
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