Geschwisterneid: Wie "meins" zu "unser" werden kann

So lösen Eltern Streit um Spielzeug, Essen und Zuneigung.

"Mein Keks ist kleiner!" – "Die Puppe hab’ ich zuerst gehabt!" Die meisten Eltern von Geschwisterkindern kennen solche Sätze zu gut. Oft beginnt der Streit ums letzte Kipferl schon beim Frühstück und endet mit dem Kampf um die Zahnpasta beim Schlafengehen. Im Alltag sorgt das nicht nur für strapazierte Nerven, sondern führt manchmal zu Überforderung – welches Kind hat nun "Recht", wie keines bevorzugen?

Eines vorneweg: Der Neid unter Geschwistern ist normal.

"Natürlich will jedes Geschwisterkind auch, was das andere hat oder macht – sie schauen sich unheimlich viel voneinander ab und profitieren so voneinander", sagt Psychologin Monika Baumann. Der Streit um Spielzeug ist ein für die Entwicklung notwendiges Austesten und Überschreiten von Grenzen. Baumann: "Sie wollen wissen, wo stehe ich in der Familiensituation, was kann ich herausholen. Das ist nichts Böses, sondern eine Neugierde und ein Lernen."

Teilen statt streiten

Eltern sollten stets versuchen, ihren Kindern zu vermitteln, dass alle gleich viel wert sind. "Das ist nicht immer leicht, aber es ist eine Grundhaltung, zu sagen, bei uns gibt es nicht meins und deins. Intuitiv sagen viele Eltern, dieses oder jenes darf nur das eine Kind haben."

Beim Frühstückskipferl kann etwa geteilt werden statt, dass nur ein Kind es bekommt. Schwieriger wird es bei Geschenken, wenn etwa ein Kind ein Auto bekommen hat und Bruder oder Schwester damit spielen will.

"Wichtig ist, den Fokus nicht darauf zu legen, dass etwas nur dem einen Kind gehört. Man kann sagen, schau, was Paul bekommen hat, schauen wir es uns an und genießen es gemeinsam. Oder das Kind, das zuerst zur Zahnpasta greift, darf die Zahnbürsten für alle Kinder vorbereiten", rät Baumann.

Im Vordergrund stehen dann nicht "meins" und "deins", sondern gegenseitige Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Bei besonderen Anlässen wie Schulanfang oder Geburtstagen kann gemeinsam mit Geschwisterkindern die Schultüte oder das Geschenk ausgesucht und vorbereitet werden.

"Auch wenn es nur etwas Kleines ist, das das Geschwisterkind in die Schultüte dazulegt, fördert das die Freude für Bruder oder Schwester. Es kann auch helfen, Geschwistern ebenfalls eine Kleinigkeit zu schenken, etwa eine Geschwisterschultüte oder ein kleines Geschenk am Geburtstag."

Das sei kein Verdrängen des Neids, sondern helfe, sich mit dem anderen zu freuen. Das eigentliche Geburtstagskind stehe trotzdem im Mittelpunkt, für Geschwister fällt es aber leichter, damit umzugehen. "Es kann auch helfen, Beispiele zu geben, etwa, wo man sich selbst gefreut hat, dass jemand mit einem geteilt hat. Ist die Situation in Familien verfahren, können Belohnungstechniken helfen. Zum Beispiel: Jedes Mal, wenn es gelingt, etwas zu teilen, 10 Cent in eine Dose zu werfen und bei 10 Euro gemeinsam etwas zu unternehmen wie Eis essen gehen."

Individualität

Auch wenn geteilt wird, kann es aber auch Spielzeug oder Momente geben, die ein Kind alleine hat. Das ist laut Baumann wichtig, um Individualität zu erleben. Das kann heißen: Ein Kind mit einem Spielzeug alleine spielen zu lassen und vorzuschlagen, dass Bruder oder Schwester es erst anschließend benutzen dürfen. Oder bei jüngeren Geschwistern, das Kleinere aus der Situation zu nehmen, in der es einem Älteren den aufgebauten Turm kaputt macht.

Braucht ein Kind mehr Aufmerksamkeit, etwa weil es krank ist oder beim Lernen Unterstützung benötigt, sollte das angesprochen werden. So wird verhindert, dass Kinder denken, der oder die andere sei das "Lieblingskind". Das gilt auch für Aggression und körperliche Gewalt unter Geschwistern.

"Hier muss klar gesagt werden, dass Hauen und ähnliches keinen Platz haben. Helfen kann ein Wutball, der gedrückt wird, wenn man sich über das Geschwisterchen ärgert." Kommt es doch zu Auseinandersetzungen, dürfe nicht vergessen werden, wieder aufeinander zuzugehen.

Elisabeth Gerstendorfer

Über Elisabeth Gerstendorfer

Redakteurin Gesundheit, Wissen Studierte Psychologie und Soziologie in Wien. Journalistenkolleg des Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg. Seit 2013 bei KURIER im Ressort Lebensart. Zuvor u.a. tätig für Presse, Schaufenster und Österreichische Ärztezeitung.

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