
Wienerwald à la carte – Ein Festmahl zwischen Buchen und Fichten
Wildkräuter, Baumrinde & Aroma-Touren: Im Wienerwald wird der Wald selbst zur Speisekarte – und das mitten vor den Toren Wiens.
Von Nicola Afchar-Negad
Gerade mal gut zehn Kilometer liegen zwischen Stephansdom und den östlichen Ausläufern des Wienerwalds – dem grünen Rückgrat der Stadt. Genau hier wird unter Baumkronen diniert, was der Wald so hergibt. Zudem lehrt eine Tour durch die Natur vom Bouquet der Buche und Wildkirschen-Aceto-Balsamico.
Holzklappstühle auf unebenem Waldboden, Tische, gekrönt mit weißen Tischtüchern und Kerzenleuchtern – und Lichterketten, gespannt zwischen mächtigen Buchenstämmen. Es riecht frisch und herb, nach durchatmen. War das eben ein Reh?
Das Szenario des Wienerwald-Dinner könnte schöner kaum sein. Der Wienerwald als größter zusammenhängender Laubwald Europas, ist Bühne, Kulisse und Inhalt zugleich. Das 4-Gänge-Menü spielt konsequent mit allem, was die hyperlokale Flora und Fauna offerieren, in einem der letzten Jahre wurden beispielsweise Kiefernadel-Ravioli und Fichten-Nuss-Mouse serviert. Die heurige Speisenfolge: noch geheim, wie Mit-Organisator und Waldökonom Artur Cisar-Erlach verrät – beziehungsweise noch nicht verraten kann.

Käse unter Bäumen. Waldaromen kosten bei der Wienerwald-Genuss-Tour des Tulbingerkogels am 12. 9. und 18. 10.
©Wienerwald Tourismus/Artur Cisar-Erlach„Mein Bauchgefühl sagt allerdings, dass Eicheln heuer eine spannende Rolle spielen könnten. Und dass die Rinde der Wienerwald-Lärche wieder Teil des Konzepts wird. Und die Hasel vielleicht auch, wohlgemerkt alles an ihr, außer der Nuss“, lacht der 1988 Geborene fast spitzbübisch. Kleines Problem: Die zwei Dinner-Termine im August sind längst ausgebucht. Mehr als diese zwei Abende, das gehe einfach nicht, erklärt der gelernte Schreiner und studierte Biologe. Zum einen muss der Wald geschont werden, zum anderen sei die Ausrichtung der Dinner für die Familie des Berghotels Tulbingerkogel in Mauerbach logistisch eine „enorme Herausforderung“.

Also nächstes Jahr wieder. Und es gibt eine Alternative: die Wienerwald-Genuss-Führungen, geleitet von Cisar-Erlach, in Kooperation mit dem Wienerwald Tourismus. „Bei diesen Waldspaziergängen erkunden wir den Geschmack des Wienerwalds, Baum für Baum.“ Für ihn, so lässt einen Cisar-Erlach tiefer in die Materie eintauchen, offenbare sich der Wald vor allem über den Geschmack seiner Bäume. Und der variiert gewaltig! „Nicht nur jeder Wald hat seinen eigenen Geschmack, sondern jeder einzelne Baum! Bäume besitzen ein Terroir, ganz ähnlich wie Wein.“

"„Nicht nur jeder Wald hat seinen eigenen Geschmack, sondern jeder einzelne Baum! Bäume besitzen ein Terroir, ganz ähnlich wie Wein.“
©Kerstin SemmelmeyerDazu komme: ein Nadelwald schmecke prinzipiell wieder ganz anders als ein Laubwald. Der Buchautor kommt ins Schwärmen: „Der Wienerwald als Laubmischwald bietet eine reiche Palette an Aromen! Das hafermilch-nussige Bouquet der Buche, die vanillig-buttrigen Akzente der Eiche, das wintergrün-bittere Aroma der Birke und die kirschig-süße Spur der Wildkirsche. Dazu gesellen sich die zitrus-harzigen Nuancen der Schwarzkiefer, der mohnig-herbe Ton der Wienerwald-Lärche und die mandarinig-sauren Spitzen der Fichte.“ Cisar-Erlach spricht von einer „Geschmacksexplosion direkt vor der Haustüre Wiens“.

Heuer leider schon ausgebucht: das WienerWaldDinner. Es gibt aber mit den Wienerwald-Genuss-Führungen im September und Oktober eine Alternative.
©Kerstin SemmelmeyerAuf bis zu 1.350 km² (je nachdem, wo man die Grenzen zieht) bietet sein „Haus- und Hof-Wald“ 2.000 Pflanzen- und 150 Brutvogelarten ein Zuhause. „Abgesehen von wenigen giftigen Arten kann man die meisten Bäume essen. Vom Wurzelwerk bis zur Blattspitze liefert jedes Exemplar eine Fülle an Aromen, Texturen und Zutaten.“ Er fügt hinzu: „Es gilt dasselbe Prinzip, wie bei Pilzen. Nur verkosten, was man 100-prozentig kennt.“ Zum Vergleich: „Weltweit gibt es mehr als 400.000 bekannte Pflanzenarten, von denen 300.000 höchstwahrscheinlich uneingeschränkt genießbar sind.“ Diese Textzeile stammt aus dem Vorwort von Cisar-Erlachs Buch „Pflanzen essen“ (Verlag Kunstmann).

Waldökonom Artur Cisar-Erlach verrät, was der Wald für das Speisen unter Baumkronen so hergibt
©Christoph KerschbaumWenn die Stadt flirrt und schwirrt, dann wird der Wald zur „natürlichen Klimaanlage“, wie der Wiener es nennt. „Die Luft ist erfüllt von lehmig-feuchtem Bodenduft, frisch-herben Farnaromen und einem zitrus-harzigen Hauch, den sonnenwarme Kiefern verströmen.“ Im Schutz des „grünen Baldachin“ öffnet Cisar-Erlach bei seiner Tour die Tür in eine andere Welt. Zwei Stunden lang wird strawanzt, entdeckt, teils live zubereitet und verkostet. In seinem „Freiluft-Labor“ räuchert er etwa Schafkäse mit Buchenholz. Ein Schauspiel! Und doch viel mehr als das: „So können die Teilnehmer den Einfluss des Buchenholzes unmittelbar erschmecken“, sinniert er.

Davor oder danach werden Fichtennadeln zu Salz vermahlen, man kreiert ein Tonic aus Birkenblättern und es wird ein Wildkirschen-Aceto-Balsamico kredenzt. Zwischendurch rauschen die Geschichten durch den Blätterwald. „Wir sprechen darüber, warum Bäume die Zukunft unserer Ernährung prägen könnten.“ Wie es den Wäldern denn so gehe im Jahr 2025? „Es ist kompliziert“ attestiert Cisar-Erlach.
„Aber die Wälder sind weitaus resilienter, als wir glauben.“ Er selbst habe schon im Dschungelrestaurant in Costa Rica gegessen – oder in einer Hütte der arktischen Taiga Lapplands. „Ein echtes Pop-up-Dinner mitten im Wald, vergleichbar mit unserem Format, habe ich allerdings bisher nirgendwo anders erlebt.“
So schmeckts im Wald:
Nadelbäume überraschen mit mediterranen Noten, die meist frisch-harzig-zitrusartig ausfallen:
- Kiefer bringt zitronige Nuancen – großartig als Nadelpesto oder Tee.
- Fichte verführt mit mandarinenähnlichen Aromen; junge Spitzen („Maiwipfel“) schmecken köstlich, wenn man sie in Schokolade taucht oder die ausgewachsenen Nadeln zu Nadelsalz verarbeitet.
- Douglasie liefert intensive Grapefruit-Anklänge – perfekt für eine Tortellini-Füllung oder als Sorbet.
- Tanne duftet nach Orange und eignet sich wunderbar für Eistee oder Tannenbutter.
Laubbäume lassen sich geschmacklich schwerer definieren, weil ihre Aromen so unterschiedlich sind:
- Buche bietet hafermilchig-nussige Töne, ideal zum Räuchern von Käse, Wurstwaren oder Wurzelgemüse.
- Eiche steuert vanillig-buttrige Akzente bei – unverzichtbar für die Fassreifung von Weinen und Spirituosen.
- Birke überrascht mit wintergrün-bitteren Aromen und ergibt ein herausragendes Tonic.
- Wildkirsche gehört zu den wenigen Arten, deren Holz tatsächlich nach ihren Früchten schmeckt – kirschig-süß und genial für fassgereiften Balsamessig.
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