
Psychologe: "Die wirklich guten Küsser sind rar"
Zärtlichkeiten im Alltag nehmen zu, in Beziehungen wird aber oft nur noch halbherzig gebusselt. Am heutigen Tag des Kusses erklärt ein Psychologe, warum dies ein Warnzeichen ist und was Küsse über die Persönlichkeit verraten.
Wer einmal einen schlechten Kuss erlebt hat, weiß: Küssen ist eine Kunst. Richtig gemacht, kann es ein Feuerwerk in Körper und Geist entfachen. Und im gegenteiligen Fall zu großer Enttäuschung führen. Der deutsche Psychologe und Autor Wolfgang Krüger ist überzeugt: Küssen ist die intimste, ja wichtigste Form körperlicher Nähe – sogar intensiver und wichtiger als Sex. Denn das leidenschaftliche Aufeinanderpressen der Lippen inklusive Speichelaustausch spricht alle fünf Sinne gleichzeitig an, aktiviert unzählige Nervenenden und verrät zudem viel über den Zustand einer Liebesbeziehung.
Bussi-Bussi-Gesellschaft
„Lippen sind das sensorische Zentrum des Körpers“, sagt der Psychologe. Trotz seiner zwischenmenschlichen Relevanz werde der Kuss in der Fachliteratur aber immer noch sträflich vernachlässigt, schreibt Krüger in seinem neuen Sachbuch „Küssen als Sprache der Liebe“: „Es gibt Tausende Bücher über Liebe und Sexualität, doch nur ein Dutzend Sachbücher, die sich mit dem Thema Küssen beschäftigen.“
Eine Diskrepanz beobachtet der Liebesexperte auch im Miteinander. Wangen-Bussi-Bussi, platonische Lippenbekenntnisse unter Freundinnen: An sich sei die „Kuss-Häufigkeit“ in der Gesellschaft gestiegen. „Zärtlichkeiten spielen heute eine größere und selbstverständlichere Rolle“, bemerkt der Autor. Das führt mitunter zu Skandalen: Etwa im Fall des spanischen Fußballfunktionärs Luis Rubiales, der seine Spielerin nach einem Sieg stürmisch und ungefragt auf den Mund küsste.
In langjährigen Liebesbeziehungen aber schwinde der leidenschaftliche (Zungen-) Kuss häufig aus dem Alltag – über bleibt dann nur noch ein Begrüßungs- und Abschiedsbussi. Ein subtiler, aber deutlicher Hinweis auf schwindende Nähe, warnt Krüger. „Ein Kuss-Defizit ist das wichtigste Frühwarnsignal für Beziehungsprobleme. Da wir uns beim Küssen im Gesicht sehr nahe kommen, ist es sogar lebendiger und intimer als Sex. Man kann distanzierten Sex haben, aber einander nicht distanziert küssen.“

„Küssen als Sprache der Liebe“ Paperback Verlag. 156 Seiten. 17,40 Euro
©VerlagRichtig gute Küsser
So gut der erotische Speichelaustausch tut, es kann dabei auch so einiges schiefgehen. „Bedenklich“ findet es der Psychologe, dass im Rahmen einer Statista-Umfrage nur 18 Prozent der Befragten gesagt haben, sie würden sehr gut küssen und 21 Prozent konstatierten, ihre Kussfähigkeiten seien mittelmäßig.
„Bereits diese Zahlen zeigen, dass die wirklich guten Küsser rar sind“, sagt Krüger. „Deshalb verwundert es auch nicht, dass 15 Prozent aller in einer Partnerschaft lebenden Erwachsenen mit der Kussqualität in ihrer Beziehung unzufrieden sind. Sie würden sich wünschen, dass ihr Partner, ihre Partnerin besser küssen könnte.“ Aber was unterscheidet einen mittelmäßigen von einem guten Küsser?
Laut einer bekannten Studie der Wissenschafterin Sheril Kirshenbaum (Autorin von „The Science of Kissing“) empfinden Menschen einen Kuss dann als „gut“, wenn das Tempo stimmt (nicht zu hektisch, nicht zu träge), die Feuchtigkeit angenehm ist (nicht zu trocken, nicht zu feucht), die Lippen weich sind und sich der Kuss nicht mechanisch, sondern natürlich anfühlt. Besonders Frauen achten demnach stark auf die Art des Kusses, weil sie daraus Rückschlüsse auf emotionale Intelligenz, Empathie und Kompatibilität ihres Gegenübers ziehen. Für Männer dient Knutschen eher als anregender Einstieg in sexuelle Aktivitäten, brachte eine andere Studie zutage.
Kuss-Fakten
Wissenschaft
Küssen macht glücklich und gesund. Es fördert die Ausschüttung von Glückshormonen, reduziert Stress, verbessert Herzfrequenz und Stoffwechsel.
34 Gesichtsmuskeln
werden bei einem leidenschaftlichen Kuss trainiert, ca. 20 Kalorien verbrannt.
Ursprung
Eine gängige Theorie sieht den Ursprung des Kusses im Füttern von Säuglingen mit vorgekauter Nahrung. Eine andere geht von einem Begrüßungsritual aus.
Weltweit
Nicht überall ist das Küssen gleich verbreitet. Während es in Europa zum Alltag gehört, gilt es in anderen Kulturen als schamhaft: In Japan etwa wird öffentliches Küssen oft vermieden.
6. Juli, Kuss-Tag
Seit 2005 wird der Welttag des Kusses gefeiert. Damals wurde am 6. Juli ein Knutsch-Rekord (31 Stunden) aufgestellt.
Ausgeküsst?
Eine Erkenntnis, die auch Krüger bestätigt. Frauen sei Küssen tendenziell wichtiger – vor allem am Beginn einer Beziehung. „Küssen sagt viel über die Persönlichkeit eines Menschen aus. Die meisten Frauen lassen sich daher auf keine Beziehung mit einem Mann ein, der nicht gut küssen kann.“ Gute Küsser, so der Psychologe, haben ein feines Gespür für den anderen, können körperlich kommunizieren, Tempo und Intensität anpassen – und eigene Wünsche vermitteln.
Dass die große Zeit des Küssens im „Oversexed“-Zeitalter vorbei sei, wie der deutsche Kommunikationsexperte Hektor Haarkötter jüngst behauptete, möchte Krüger nicht bestätigen. „Junge lassen sich länger Zeit mit Sexualität, empfinden Küssen und Kuscheln aber als umso wichtiger.“ Dafür spricht auch, dass die durchschnittliche Kussdauer über die Jahre zugenommen hat: „Heute küsst man einander ca. zwölf Sekunden lang. Vor etwa 40 Jahren war es nur knapp die Hälfte.“
Kommentare