Reisetipp Loire: Herbst im Herzen Frankreichs

Die Loire ist nicht nur der längste Fluss Frankreichs, sondern auch ein Schlaraffenland mit Jahrhunderte alter Tradition.

Von Brigitte Jurczyk

Dieser Tage versteckt sich der Fluss morgens noch unter einer milchig-weißen Decke von Frühnebel. Die weicht aber bald einem strahlenden Blau des Himmels, der sich in der Vienne, unweit der Mündung in die Loire, spiegelt. Ein perfekter Kontrast zum Farbspiel der Bäume, die mit ihrer Blätterpracht in Rostbraun, Violettrot und Gelb jetzt die beiden Flüsse säumen. Auch das Laub der Weinreben zeigt sich in den schönsten Herbsttönen: Es ist kurz nach der Lese und die Reben verabschieden sich langsam in den verdienten Winterschlaf: Eine malerische Szenerie, die die imposante Burganlage des Château de Chinon, gut anderthalb Bahnstunden südwestlich von Tours, rahmt.

Hier traf an einem Frühlingstag im März 1429 Jeanne d’Arc auf König Karl VII. und überzeugte ihn, der belagerten Stadt Orléans zur Hilfe zu kommen. Jetzt, Jahrhunderte später, redet der "Baron de la Truffe" eindringlich auf seine beiden Wuschelhunde ein: Sie sollen mit ihm raus in die Eichenplantage gehen – mal schnuppern, ob da schon etwas in der Erde auf sie wartet: "Chercher les truffes"!

Bald geht es wieder los für den attraktiven Anfang-50-Jährigen im Kaschmirpullover. In der Nähe von Chinon mit Blick auf die Burg hat Serge Desazars de Montgailhard vor fast 30 Jahren ein 60 Hektar großes Feld anlegen lassen: Aus der Erde sprießen mit Trüffelsporen geimpfte Eichen. Es ist die erste Trüffelfarm Frankreichs überhaupt. In den Wäldern an der Loire gedeiht der Tuber melanosporum zwar hier und da wild.

Monsieur geht aber lieber auf Nummer sicher und holt aus dem Goldacker in der Nähe seines Hauses Jahr für Jahr die begehrten Knollen heraus. Zur "Ernte" fliegen schon mal Gäste per Helikopter aus Paris ein, die er anschließend mit frischem Baguette, Trüffelbutter und Wein aus eigener Produktion bewirtet. Aber auch ganz normale Feinschmecker können an seine Tür klopfen und eine duftende Knolle mit nach Hause nehmen. Die meisten seiner Aromawunder bleiben allerdings an der Loire: "Wir haben hier großartige Küchenchefs", sagt Serge Desazars: "Die wissen, wie sie den schwarzen Diamanten zum Leuchten bringen!"

Marktkorb der Nation

Der "Garten Frankreichs", wie sich das Loiretal auch nennt, hat aber noch viel mehr zu bieten. Das liegt an den unterschiedlichen, sehr fruchtbaren Böden, die verschiedene Sorten von Gemüse, Obst und Kräuter hervorbringen. Denn das "Val de Loire" ist nicht nur für seine herausragenden Weine bekannt, sondern auch für den "Marktkorb der Nation", in dem über 400 Schlösser liegen.

Die mittelalterlichen Brücken über die Loire sind typisch für die Region. So wie hier in  Blois. Das Château de Chambord liegt ganz in der Nähe 
 

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Gruß aus der Vergangenheit (li.): An vielen Fassaden – wie hier in Tours – ist das Mittelalter noch gut abzulesen.  Oben: Im Château Royal de Blois residierten einst die französischen Könige

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Es ist dem Adel zu verdanken, dass der Landstrich zwischen Atlantik und der Mitte Frankreichs eine solch großartige Küchentradition hat: Dieser ließ sich hier nämlich während des 15. Jahrhunderts nieder und wollte üppig schlemmen. Während des "Hundertjährigen Krieges", 1337 bis 1453, war die Loire der Grenzfluss zwischen den von den Engländern besetzen Gebieten im Norden und dem Rest Frankreichs im Süden. Die Burgen und Festungen, die in dieser Zeit an den Ufern der Loire und ihren Nebenflüssen entstanden, verwandelten sich in der Renaissance in prachtvolle Residenzen der Macht, in denen es nicht nur in den Küchen hoch herging.

Heute machen die vielen imposanten Schlösser wie Chambord und Chenonceau die Region zu einem der beliebtesten Reiseziele Frankreichs. Bei einem Schlösser-Hopping kann man sich zum Beispiel von den 426 Zimmern des Château de Chambord in der Nähe von Blois beeindrucken lassen. 30 Jahre lang haben 1.800 Arbeiter an dem verspielten Renaissancebau gewirkt. Das größte Schloss der Loire ließ der französische König François I. bauen. Bis heute wirkt sein Prunkpalast mit 282 Kaminen und 83 Treppen wie ein Märchenschloss und ist natürlich ein Besuchermagnet der Region.

Ausgezeichnet: Das Loiretal wurde im Jahre 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Dazu gehören auch die Weinlagen wie hier beim Château de Chinon
 

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Palast der Superlative: das Château de Chambord ist das größte Schloss der Loire
 

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Es ist das kulturelle Erbe, das die Reisenden fasziniert, die an die Loire kommen. Die mittelalterlichen Städtchen Blois, Tours und Angers mit ihren Fachwerkbauten und den romantischen Brücken über den Fluss. Aber auch die Genusstradition, die hier weiterlebt, in diesem von der Natur reich beschenkten Landstrich: Die Wälder sind voll von Wild, in den Höhlen rund um Samur wachsen Pilze, aus der Loire und ihren Nebenflüssen ziehen Fischer Forellen, Zander und Aale, und der Atlantik mit seinen Meeresfrüchten ist nicht weit. Ein Schlaraffenland für Feinschmecker! Und ein Paradiesgarten für kreative Küchenchefs, die frischen Wind und neue Ideen an den Herd bringen.

Alte Brücken, viel Genuss

Einer davon ist Baptiste Fournier, Anfang 40 und aufgewachsen in einer der berühmtesten Weinregionen Frankreichs: in Sancerre an der oberen Loire. Zweimal die Woche wird er von seinen Gemüsebauern beliefert. "Ich weiß nie im Voraus, was sie dabeihaben. Aber wenn sie mit ihren Kisten und Körben zur Tür hereinkommen, geht bei mir das Kopfkino los!", sagt der Koch und Eigentümer des Restaurants "La Tour" im Herzen von Sancerre – ein Familienbetrieb, den seine Eltern aufgebaut haben.

Oft bringen die Lieferanten geschmacksintensive, alte Gemüsesorten, mal farbenfrohe, essbare Blüten. Dann spielt er schon mal durch, was er mit dem Saft von Topinambur oder der Süße von frischen Zuckerschoten, mit Saubohne, Radieschen oder roten Karotten zaubern kann. Gemüseverliebt wie er ist auch das japanisch-französische Ehepaar Fumiko und Anthony Maubert, die beiden brachten das "Assa" in Blois auf die gastronomische Landkarte. Mitten im Loiretal, vis-à-vis des Flusses.

"Als ich als Koch anfing", sagt Anthony Maubert, "war ich absolut Fleisch-fixiert, später war es dann der Fisch und heute das Gemüse, das mich inspiriert." Aus der Fülle der Farben, Aromen und Konsistenzen kreiert das Paar geradezu anmutige, essbare Kunstwerke, die wie moderne Malerei wirken. Inspirieren lassen sich die beiden auch von den Weinen und den Winzern der Loire: "Wenn wir sehen, wie sie Assemblages kreieren, ziehen wir daraus Ideen, die wir auch auf unsere Brühen oder Saucen anwenden können."

Wie Fumiko und Anthony Maubert ist auch Marie Monmousseau weit in der Welt umhergekommen: Sie stand bei Sterneköchen in Paris und Dubai am Herd und führte selbst drei Jahre lang ein französisches Bistro in London. "Als ich Mutter wurde, wollte ich aber wieder nach Hause zurück!“, sagt die Anfang-40-Jährige. Ihr Zuhause ist das berühmte Maison Bouvet-Ladubay in Saumur, das ihr Vater Patrice und ihre Schwester Juliette führen. In den sieben kilometerlangen, unterirdischen Gängen, die sich zu Galerien und Kathedralen öffnen, lagerten früher die Crémants de Loire, die das Haus weltberühmt machten. Heute führt eine eineinhalbstündige Radtour durch die ehemaligen Tuffsteinbrüche aus weißem Kalkstein, der für die Provinz Anjou so charakteristisch ist und der auch die Weine der Region mit seiner Mineralität prägt.

Ein Traum wurde wahr17 Kilometer weiter westlich Richtung Angers – immer an der Loire entlang – liegt das Restaurant "La Route du Sel", in dem jetzt Maries eigener Herd steht. Den Gastronomiebetrieb in dem kleinen Dorf Le Thoureil kannte sie schon aus Jugendtagen: "Als die ursprünglichen Besitzer es in neue Hände abgeben wollten, wurde ein Traum für mich wahr“, schwärmt die Frau mit den langen, blonden Haaren.

Loire

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Die Lage ist in der Tat ein Traum: Von der efeubewachsenen Terrasse aus schaut man direkt auf den Fluss, im Garten hat die Hausherrin Stühle und Tische unter grünen Sonnenschirmen aufgestellt, und manchmal sieht man die lokalen Fischer die steinernen Stufen zum Haus hinaufsteigen – im Gepäck: den Fang des Tages.

Weiter geht es an der Loire entlang Richtung Meer. Auch die Gäste des Restaurants "L’Atlantide 1874" in Nantes schauen aufs Wasser. Die Loire hat an dieser Stelle eine Flussinsel gebildet und der Hafen der sechstgrößten Stadt Frankreichs weist darauf hin: Der große Atlantik ist jetzt nur noch gute 50 Kilometer weit entfernt und das Jules Vernes Museum liegt direkt ums Eck. Der Autor solch berühmter Romane wie "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" oder "20.000 Meilen unter Wasser" wurde vor beinahe 200 Jahren in Nantes geboren.

Serge Desazars de Montgailhard hat seit 30 Jahren einen Trüffelacker

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Das Wasserschloss Chenonceau gehört nach Versailles zu den meistbesuchten Schlössern Frankreichs

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Vielleicht ging auch er wie Jean-Yves Guého morgens zum Markt und ließ sich inspirieren. Der Küchenchef des "L’Atlantide 1874" schaut, was die Stände dort jetzt so bunt macht: Herbstäpfel, Pilze, Nüsse und die ersten Kohlsorten. Aber eigentlich schielt er schon zu den Meeresfrüchten. Vor allem sind es die Langustinen, die es ihm angetan haben: "Meine Gäste sind ganz verrückt nach ihnen", schmunzelt der mehrfach ausgezeichnete Chef de Cuisine.

Bald ist ihre Saison vorbei. Aber trotzdem werden seine Fans zu der etablierten Top-Adresse an der Loire pilgern. Sie werden zwischen dem Blick auf die Kunstwerke auf den Tellern und der Sicht auf die Loire durch die bodentiefen Fenster hin und her wechseln und befinden: "Wir sind hier im Schlaraffenland gelandet."

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