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Viva Valencia! Das Frühlingsfest für Pyromanen trotzt dem Virus

Barcelonas kleine Schwester fiebert dem Höhepunkt der "Las Fallas in Valencia", dem lautetsten Fest der Welt, entgegen.

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Sich die Augen zu reiben, schadet nicht. Einmal, zweimal, selbst nach dem dritten Mal fragt man sich: Bin ich noch im Hier und Heute oder bin ich plötzlich in der Zukunft aufgewacht?

Gestern noch Auge in Auge mit acht älteren, schwarzgewandeten Herren, die – einem Brauch folgend – jeweils donnerstags vor der Kathedrale über die gerechte Verteilung des kostbaren Wassers wachen, sieht man sich bald einer Vielzahl  futuristischer Gebäude gegenüber, die in jedem Science-Fiction-Film gut aufgehoben wären. Und zwischendurch staunt man über bis zu haushohe Papp- und Styroporfiguren, die durch die verwinkelten Gassen der Altstadt gezogen oder getragen werden.

Wow, Valencia kann was! Barcelonas kleine Schwester, die drittgrößte Stadt Spaniens fordert alle Sinne. Im März ganz besonders. Denn da wird gefeiert, was das Haushaltsgeld hergibt.

Fest mit Tradition

Las Fallas in Valencia steht an, ein spektakuläres, lautes und vor allem feuriges Fest mit ganz viel Tradition. Nicht wenige Bewohner der Metropole am Mittelmeer arbeiten und leben das ganze Jahr vorwiegend dafür, dass sie hier vom 15. bis zum 19. März groß aufgeigen. Und das, obwohl der Großteil der Figuren zum Finale des Festes in der Nacht zum 20. März feierlich  den Flammen überantwortet wird.

Jedes Jahr ist es ein besonderes Erlebnis: Hinter den Fallas-Figuren steht echtes Kunsthandwerk. Eines, das sogar an der Universität gelehrt wird. Die Schmuckstücke der alljährlichen Paraden sind dabei so aufwendig gestaltet, dass man sich um  ihren Gegenwert ein Auto kaufen könnte.

Futuristisch: Valencias "Stadt der Künste und der Wissenschaften"

©mauritius images / robertharding/robertharding/Mauritius Images

Fest für Pyromanen

Was dabei nicht von schlechten Eltern ist: der unfassbare Lärm. Unter Eingeweihten gelten die Fallas als Fest für Pyromanen. Nicht nur, dass die Rauchsäulen der Feuerwerkskörper und Knallkörper schon am helllichten Tag den makellosen valencianischen Himmel trüben, geht es hier lauter zu, als die Polizei erlaubt. Vor ein paar Jahren wurden mehr als 115 Dezibel gemessen. Nur Düsenjäger und Kettensägen sind lauter. Und das auch nur, wenn sie einem direkt vor den Augen herumwirbeln.

Wer sonst bemüht ist, im Urlaub nicht unbedingt auf Anhieb als Tourist aufzufallen, muss hier Härte beweisen. Denn wer sich jetzt die Ohren zuhält, outet sich als Nicht-Valencianer. Falls man das nicht ohnehin schon gemacht hat. Wer gewohnheitsmäßig gegen zwölf Uhr mittags im Restaurant zur Paella erscheint, wird in Valencia versperrte Türen vorfinden. Zwei Uhr Nachmittag gilt als übliche Essenszeit.

Hat man Glück, sitzen am Nebentisch junge, stark geschminkte Frauen mit trendigen Sonnenbrillen in der valencianischen Tracht des achtzehnten Jahrhunderts, die Haare seitlich am Kopf zu Schnecken gerollt. So etwas sieht man sonst nur in einem Film von Pedro Almodóvar. Und hier ist man mittendrin in der schrägen Szenerie, ohne sich  zuvor als Statist beworben zu haben

Draußen mag noch der Geruch von Schießpulver in der Luft liegen, drinnen duftet es spannend nach der Spezialität der Stadt – Paella Valenciana. Das spanische Reisgericht aus der typisch flachen Pfanne wird mit einem Mix aus Hühnchen- und Kaninchenfleisch serviert statt mit Meeresfrüchten. Auch das ist Valencia. Immer anders als man glaubt.

Agua de Valencia

Die Irritation beginnt schon beim Blick auf die Getränkekarte. Das Nationalgetränk Agua de Valencia könnte man angesichts der allerorts wachsenden Orangenbäume für einen gespritzten Orangensaft halten, vielleicht sogar für einen Spritzwein mit Orangen. Weit gefehlt. In manchen Cafés und Tapas-Bars gewinnt man den Eindruck, in diesem fruchtigen Cocktail überwiege der Wodka das Wasser. Also aufpassen, man will ja nicht schon vor dem Abend durch die Gegend wanken. Noch dazu, wo aus den Abenden hier rasch lange Nächte werden.

Wer etwa – weil schon in Spanien – in einer Flamenco-Bar auf den Auftritt der Tänzer und der Musiker hofft, muss sich mindestens bis Mitternacht gedulden. Vorher spielt sich nicht viel ab.   

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Ab zum Hafen

So wie am Hafen. Ein Projekt der Gigantomanie und der Eitelkeit, aber mit weniger Zulauf als erhofft. Barcelona hat sich dank der Olympischen Sommerspiele 1992 neu erfunden. Sevilla vertraute wegen der EXPO ’92 auf dasselbe Rezept. Und Valencia hoffte darauf, dass die Ausrichtung der prestigeträchtigen Segelregatta America’s Cup 2007 für den nächsten Boom sorgt. Aber die Luft war bald draußen. Nur zwei Mal gastierte der Sportbewerb für Milliardäre im Hafen von Valencia. Geblieben sind eine Menge moderner Betonbauten mit riesiger Glasfront, die aussehen wie alle modernen Zweckbauten für die Freizeitgesellschaft.

Da ist das riesige Areal der Ciudad de las Artes y las Ciencias von anderem Kaliber. Die futuristisch wirkende „Stadt der Künste und der Wissenschaften“, die im trockengelegten Flussbett des Turia entstand, spielt alle Stückerln. Sieben beeindruckende Bauwerke, vom Aquarium bis zur Oper wecken Assoziationen von „Star Wars“ bis zu einem Spielplatz für Erwachsene und haben seit ihrer Fertigstellung vor zehn Jahren Zehntausende Besucher aus der ganzen Welt nach Valencia gebracht. Wie durch ein Wunder kam so auch der labyrinthische Alltag im ältesten Stadtteil, dem Viertel El Carmen nahe der Kathedrale, wieder auf Trab. Viele der Gebäude hier, etwa die Seidenbörse mit ihren spiralförmig gedrehten Säulen und Wasserspeiern, erinnern daran, dass Valencia vor einem halben Jahrtausend die wohlhabendste und bedeutendste Stadt in Spanien gewesen war.

©mauritius images / Anastasiya Piatrova / Alamy/Anastasiya Piatrova/Alamy/Mauritius Images

Adel aus Andalusien

Valencia war einst die Heimat des aus Aragonien stammenden Adelsgeschlechts der Borgia, die sich anderswo erst so richtig einen Namen machen sollten – als Päpste in Rom. Ein anderer berühmter Spanier ist Rodrigo Díaz de Vivar. Im Jahr 1094 hat er als „El Cid“ die Stadt von den Mauren zurückerobert.

Der Feldherr fand zwar seine letzte Ruhe hier, hochgehalten gehalten wird er trotzdem nicht im Übermaß. Valencia ist eine Stadt der Kultur und Kulinarik, nicht des Kriegshandwerks. Für Besucher ist das perfekt. So kann man sich ganz auf das konzentrieren, was in den vielen mit alten Kacheln dekorierten Bars der Altstadt serviert wird: Tapas, Tapas und nochmals Tapas.

Spanische Speisen haben noch jeden Touristen begeistert, allen voran einen weit gereisten US-Amerikaner mit sonnengegerbter Haut und weißem Vollbart: Ernest Hemingway. Vor 95 Jahren machte der Autor  auf der Suche nach den schneidigsten Toreros und schönsten Stierkampf-Arenen zum ersten Mal Station in Valencia. 1959 war er ein zweites Mal hier, um  über die Kämpfe der Matadore Luis Miguel Dominuin und Antonio Ordonez zu schreiben. Zwischendurch ging sich abends ein Mahl am Stadtstrand Malvarrosa aus, bei Juanita Balleguer im Restaurant La Pepica. In seiner posthum erschienenen Erzählung „Gefährlicher Sommer“ berichtet er davon.

Erfreulich dabei ist: Wer heute in dem  1898 gegründeten Familienlokal speist, kann die Glücksgefühle des Literaturnobelpreisträgers nachvollziehen: „Das Dinner bei Pepica war wunderbar. Man konnte sich aussuchen, was man gegrillt oder gebraten haben wollte, und die Meeresfrüchte und die valencianischen Reisgerichte waren die besten am ganzen Strand.“ Sein Lieblingsgericht steht heute noch auf der Karte. Paella mit Langusten. Buenos!

Kuriose Fakten

Wussten Sie, dass...

… Santiago Calatrava, der preisgekrönte valencianische Architekt der futuristischen Ciudad de las Artes y las Cièncias, für Dubai einen Wolkenkratzer plant, der den Burj Khalifa überragen und somit das höchste Bauwerk der Welt werden soll.

… Literaturnobelpreiträger Ernest Hemingway die Arbeit an seinem ersten größeren Roman, „Fiesta“ (im Original: „The Sun Also Rises“), 1925 in Valencia begonnen hat. Das Restaurant, in dem der Schriftsteller damals Paella speiste und Rum trank, gibt es  noch: La Pepica am Malvarrosa-Strandabschnitt Playa Las Arenas.

… in Spanien jeden letzten Sonntag im Monat  der Eintritt in die Museen kostenlos ist. Olé, Stierkampf-Museum, wir kommen!

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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