Ein Wochenende im Südburgenland: Uhudler, aber nicht hudeln
Der richtige Platz für alle, die zur Ruhe kommen wollen. Hier in der hügeligen Landschaft mit den Kellerstöckln passiert herrlich wenig. Dafür gibt es tolle Buschenschänke.
Überblick
Mai bis September
Oberwart, Güssing, Jennersdorf
Die Straßen, die zu Martin Weineks Weinbauernhof führen, sind kaum befahren. Es geht vorbei an grünen Wiesen, sanften Hügeln und kleinen Weingärten. Im Heiligenbrunner Kellerviertel liegen die schmucken Kellerstöckln aus Lehm und mit Strohdach am Wegesrand. Nur ab und zu kommen einem hier, im Südburgenland, Radler entgegen. Oder monströse Traktoren mit dicken Reifen und – für andere – halsbrecherischem Tempo, deren Fahrer sehr ungern vom Gas steigen.
Weinek wurde als kauzig-pedantischer Inspektor Kunz in der Serie „Kommissar Rex“ bekannt. Dort sekkierte ihn der schlaue Polizeihund, indem er ihm den Pullunder auftrennte. Im wirklichen Leben betreibt der Schauspieler mit seiner Frau Eva – einer Dramaturgin – einen Buschenschank, zwei Kellerstöckln und eine Weinlodge. Und Wein machen sie auch noch. Er wirkt entspannt, um seinen Hals baumelt eine Magnetbrille, statt eines Hunds liegt der weiß-getigerte Kater Sepperl zu seinen Füßen.
Vor rund 30 Jahren hat es den gebürtigen Obersteirer zum ersten Mal der Liebe wegen ins Südburgenland verschlagen. „So habe ich den Uhudler und die Kellerstöckln kennengelernt. Das war für mich extrem exotisch – das hat für mich nichts mit Österreich zu tun gehabt“, erzählt der 58-Jährige, der im ruhigen Innenhof, umgeben von kleinen Gebäudetrakten mit hölzernen Erkern sitzt. Ein zweiter, roter Kater gesellt sich dazu. Zuerst wurde ein Kellerstöckl angeschafft, später zog er mit seiner Frau aus Wien dauerhaft her. „Ich hätte ja sagen können, jetzt bin ich Filmstar und kaufe mir ein Haus in der Toskana und mache da Wein. Aber wozu? Hier ist es genauso schön.“
Uhudler-Wein aus der Rabiatperle
Bei den ersten Besuchen habe ihn der vergorene Saft der Rabiatperle besonders fasziniert. „Der Uhudler war noch extrem verboten.“ Und auf einmal schwingt schon ein bisschen Rage in der Stimme des sonst so lustigen Mannes mit. „Diese ganzen Anpatzereien, dass er blind macht, haben nicht gestimmt.“ Doch das sei vorbei: „Ein Bio-Produkt, wie es der Uhudler ist, kann man heute nicht mehr umbringen.“ Und so ein sprudeliges wie Uhudler-Frizzante wohl auch nicht.
An dem Wein mit dem Walderdbeeren-Bukett, der nicht bei allen auf ungeteilte Begeisterung stößt, führt kaum ein Weg vorbei. In beinahe jedem dieser Straßendörfer mit den wenigen Menschen auf der Straße hängt mindestens ein Fahnderl mit einem roséfarbenen Weinkrug an einem Haus, das so den Uhudler-Verkauf anpreist.
Auch kein Vorbeikommen gibt es an den Buschenschänken mit deftigen Jausentellern. Jene von Weinek gilt als Institution in der Region – am Straßenrand werben Aufstellschilder mit den neuesten Öffnungszeiten. „Wir kochen das, was wir bei unserer Oma gegessen haben. Wildschwein, Gulasch, Backhendl. Nur Wildschweinburger hat die Oma nicht gekannt“, sagt Weinek.
Ein Muss ist aber auf jeden Fall auch das Kellerviertel am Csaterberg bei Kohfidisch. Dort stehen mehr als 250 Kellerstöckln, viele sind mehr als hundert Jahre alt. Einheimische empfehlen den „Franz“, einen urigen Buschenschank ohne Karte, der nur Essen kredenzt, wenn der Chef gute Laune hat. Und dann gibt es auch nur das, was er selber essen will. So geht zumindest die Legende. In der Realität ist es ähnlich.
Mehr Menschen kommen
Es sind immer mehr Menschen, die in Kellerstöckln nächtigen oder Buschenschänke entdecken wollen. Nur die Öffnungszeiten sind eine eigene Wissenschaft. Daher sollten sich die Besucher schon vorher informieren, sonst stehen sie mitunter vor geschlossenen Toren. Wenn die Lust nach Wein und Jause groß ist, am besten die Homepage weinidylle.at ansurfen.
Nicht immer muss es auf den sanften Hügeln urig zugehen. Kellerstöckl gibt es auch architektonisch neu interpretiert. Und in der Ratschen Wohnothek in Deutsch Schützen oder dem Chaletdorf Hannersberg schlafen die Besucher zwischen den Rebstöcken in neuen, kleinen Bungalows. Herrlich ist es, den Abend draußen ausklingen zu lassen, wenn der kalkhaltige Boden seinen prägnanten Geruch entfaltet und unüberhörbar die Grillen zirpen.
„Das Südburgenland boomt, das merkt man schon. Weil, salopp gesagt, die Leute von der Südsteiermark die Schnauze voll haben“, ist Weinek überzeugt. Die Gäste müssten nur wissen, was sie wollen. „Wenn ich mir nur Erholung erwarte, bin ich hier richtig.“ Wenn es hier von etwas viel gibt, dann sind es neben der unaufdringlichen Gastfreundschaft der Menschen Einfachheit, Ruhe und eine spektakulär unspektakuläre und unverbaute Weite.
Besonders toll ist diese Weite von einer der markanten Burgen zu sehen. Der Steirer Weinek empfiehlt, sich dafür etwas anzustrengen und den Turm der Burg Güssing zu erklimmen – von dort gibt es bei idealer Witterung auch einen Blick auf die steirische Riegersburg oder die Burg Schlaining.
Es sei die Pandemie gewesen, die diese Region ins Bewusstsein der Menschen gerückt hat. „Geheimtipp war es schon länger, aber Corona war die Initialzündung. Da haben viele bemerkt: Man braucht nicht nach Italien oder Kroatien fahren, um mit dem Rad zu fahren.“ Immerhin hat sich die Region auch darauf eingestellt. Auf vielen Straßen ist in Weiß ein Rad-Symbol aufgemalt. „Radfahrer sind schon eine große Gesellschaft. Ich fahr nur mehr auf den Hauptstraßen mit dem Auto. Die Wege, auf denen ich früher gefahren bin, sind mir zu gefährlich“, sagt Weinek – und fügt gleich kalmierend hinzu: „Aber das passt schon.“
Worte, die Martin Ochsenhofer freuen werden. Der Mann mit der markanten Augenpartie ist Geschäftsführer des Tourismusverband Südburgenland. Er sitzt in seinem Büro unweit der Therme Stegersbach, die wie jene in Bad Tatzmannsdorf oder im steirischen Loipersdorf, nach wie vor die Hauptattraktion der Region ist. An der Wand hängt eine Karikatur von ihm, die aussieht, als wäre sie am Pariser Montmartre gefertigt worden. Er sitzt mit Helm auf einem Rad, hat viel buschigere Augenbrauen als in Wirklichkeit, und über ihm steht geschrieben: „I-Bikn is supa!“ Wie das bei Karikaturen ist, sie haben einen wahren Kern. „Der Norden war immer schon ein Dorado für Radfahrer, der Süden nicht. Weil es die Topografie nicht zulässt. Vor zehn Jahren wurde das E-Bike salonfähig. Das war die Chance, das Südburgenland flach zu machen“, sagt Ochsenhofer.
Klassische Radwege neben großen Hauptstraßen gibt es nicht – auch weil es kaum große Hauptstraßen gibt. „Wir haben Güterwege, die für den klassischen Autoverkehr gesperrt sind, wo nur Bauern und Anrainer fahren dürfen.“ Für Radler ist das natürlich ideal (außer es kommt wieder ein Traktorfahrer mit Riesengerät, der nicht bremsen will). „Dadurch haben Gäste das Gefühl, allein zu sein. Diese Weite ist eines unserer wichtigsten Argumente.“
Juwel Geschriebenstein
Und neue Radwege kommen noch dazu. Gerade wird auf die aufgelassene Bahntrasse zwischen Oberschützen und Oberwart und zwischen Großpetersdorf und Rechnitz Asphalt aufgetragen.
Wusstest du, dass ...?
... dem Uhudler in den 1930ern unterstellt wurde, für „Siechtum, Hysterie, Zornexzesse“ und Missbildungen bei Kindern verantwortlich zu sein? Als Grund galt zu hoher Methanolgehalt. Fast alle Rebbestände wurden vernichtet.
… es in Güssing ein Auswanderermuseum gibt? Immerhin gilt Chicago gern als größte burgenländische Stadt.
… die Weinproduktion im Südburgenland nur drei Prozent der gesamten burgenländischen Weinmenge ausmacht?
Wer es rasanter mag: Seit Mitte Mai können am Geschriebenstein 40 Kilometer Mountainbike-Trails – von moderat bis steil – befahren werden. „Es gibt keine Sonderbauten, keine Steilkurven. Wir haben keinen einzigen Baum umgeschnitten.“ Ochsenhofer erzählt nicht ohne Stolz vom Tiroler Trail-Bauer: „Der Bursche hat gesagt: Ihr habt keine Ahnung, was ihr da habt’s. Das ist ein Juwel.“ Die Steilheit des Geländes sei ideal. „Ein Mountainbiker braucht die Hälfte Steigung einer Skipiste. Und die haben wir hier.“
Während die einen die Gegend nutzen, um sich zu erholen oder ungestört zu radeln, ist sie für andere ideal, um kreativ zu sein. Ab den 1960ern ließen sich Dichter, Maler und Musiker in Neumarkt an der Raab ganz im Süden nieder und gründeten dort ein Künstlerdorf. Kaum ein Bericht über den Ort, der nicht davon erzählt, dass sich Peter Handke 1968 hierher zurückzog, um in aller Ruhe „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ fertigzustellen. Hier, in den anderswo abgetragenen und wieder aufgebauten alten Häusern – teils aus Lehm und teils mit Strohdächern – wird gearbeitet, geschlafen und gefeiert. „Was ganz wichtig ist: Wir sind kein Museum“, sagt Mitarbeiterin Melitta Gerger und warnt Besucher gleich vor falschen Erwartungen.
Die meiste Zeit mieten sich hier Gruppen ein, um gemeinsam Neues zu schaffen – wirklich lebendig werde es im Juli und August bei Kursen der Sommerakademie. Auch wenn es nicht mehr so ist, dass sich wie einst große Namen wie H. C. Artmann, Barbara Frischmuth oder Friederike Mayröcker die Klinke in die Hand geben: „Bernhard Aichner hat hier Krimis geschrieben.“ Das hat ihm offenbar so gut gefallen, dass er sich in der Region ein Haus gekauft hat.
Anreise ins Südburgenland
Mit dem Auto dauert die Anreise von Wien nach Güssing rund zwei Stunden – ein Großteil der Strecke kann auf der Südautobahn A2 absloviert werden. Abfahrt: Lafnitz/Oberwart. Von Graz dauert die Anreise rund eine Stunde.
Von Wien fährt 15-mal am Tag ein Doppelstockbus von Dr. Richard am Matzleinsdorfer Platz ab (ca. 30 Euro bis Güssing). Fahrradmitnahme ist möglich. Mit dem Zug geht es in einer Stunde von Graz nach Jennersdorf.
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