Salzkammergut: Wunderschön, mysteriös und unfassbar
Im Sommer zieht es viele ins Salzkammergut zu den Seen. Doch was macht die Region zwischen Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark aus? Wo liegen die Grenzen?
Im Sommer ein Zimmer im Salzkammergut zu bekommen, kann knifflig sein. Noch kniffliger ist es, das Gebiet einzugrenzen: Ist ein Urlaub am Attersee oder Mondsee überhaupt ein Urlaub im Salzkammergut? Und sind die „Schwanenbussi“ in Gmunden Part of the Game?
Darüber lässt sich nicht nur in dieser Postkartenidylle trefflich streiten. Was ist das Salzkammergut überhaupt – und was macht es aus? Und wie soll das jemand von außen verstehen? Vor allem, wenn sich schon Einheimische schwertun.
„Das Salzkammergut ist ein innerer Zustand. Ich weiß gar nicht, ob die Ureinheimischen das als so besonders empfinden. Die sagen eher: Was tun die so deppert mit ihren neuen Lederhosen und Jopperln herum? Wir wohnen hier. Es ist schön, ja. Aber da macht man kein Theater drum, weil das ist ja hier das Zuhause. So geht es mir natürlich auch ein bisschen“, sagt Autor und Schauspieler Miguel Herz-Kestranek.
Miguel Herz-Kestranek hat keine Worte fürs Salzkammergut
Er ist in St. Gilgen aufgewachsen und lebt teilweise hier. Und er hat viel über das Salzkammergut geschrieben, zuletzt etwa in Trautl Brandstallers Buch „Einsichten. Aussichten – Das Salzkammergut zwischen Faktischem und Anekdotischem“. Und er hat festgestellt: „Worte haben noch nie ausgereicht, um etwas wirklich zu sagen.“
Wie würde er einem Ausländer das Salzkammergut erklären, der es nicht kennt? „Das ist eine Gegend aus Bergen, Seen, und kleinen Orten. Die sind für alle, die sie kennen und für alle, die dort hinfahren und es lieben, etwas Besonderes. Dann würde er fragen: Was ist das Besondere? Dann würde ich sagen: Das kann ich nicht beschreiben!“
Auf jeden Fall müsse es etwas haben, denn sonst wären nicht so viele Menschen süchtig danach. Und das sind eine ganze Menge.
Schon aus dem 18. Jahrhundert gebe es Reiseberichte, die die Lieblichkeit der Gegend preisen. Da war vom Kaiser, seiner Entourage, dem Adel und dem Großbürgertum noch gar keine Rede. „Bemerkenswert finde ich, dass sowohl die Juden als auch die Nazis in gleicher Zahl auf diese Gegend geflogen sind und süchtig waren“, sagt Herz-Kestranek, dessen Familie enteignet und vor dem Nationalsozialismus flüchten musste.
Der Grund für die teils schwierige Beziehung zu den Wienern
Bemerkenswert ist auch die Beziehung zu den Wienern. Die kommen schon lange hierher, viele haben Häuser – in Aussee heißen sie Seewiener.
Und doch gibt es mitunter Ressentiments. In der Vergangenheit sieht Herz-Kestranek die Wien-Abneigung im Zusammenhang mit Antisemitismus. „Und das hängt auch mit der Tracht zusammen.“ Als die ersten jüdischen und nichtjüdischen Sommerfrischler kamen, hätten sie die Tracht gesehen und die ursprüngliche Arbeits- und Festkleidung auch angezogen. Kaufleute aus Wien hätten das nachgemacht, mitunter nicht so gut. „Dann haben natürlich die Geschäftsleute hier gesagt: Wir verlieren ja das Geschäft.“ Das war das eine.
„Trachtenvereine haben darauf geachtet, dass die Tracht so bleibt, wie man gemeint hat, dass sie sein soll. Schon 1911 stand im Salzburger Volksblatt: So weit kommt’s noch, dass das Dirndl ein jüdisches Kleidungsstück wird. Daraus sind viele Konflikte entstanden“, sagt Herz-Kestranek, dessen Familie seit rund 120 Jahren mit dem Salzkammergut verbunden ist. Sein Großonkel, der Industrielle Wilhelm Kestranek, ließ ab 1906 in St. Gilgen eine Villa errichten.
Deutsche Touristen kaufen sich Tracht und werden verspottet
„Und nun sind ja wir auch so weit, dass wir uns über Düsseldorfer lustig machen, die in nagelneuer Lederhose und im frisch gebügelten Jagdjopperl herumlaufen. Und dabei sind wir nicht die Ursprünglichen.“ Das mögen die Leute halt nicht, wenn man leutselig dazugehören will. „Auch der Massai-Stamm nicht.“
Natürlich habe das Salzkammergut auch von den Sommerfrischlern profitiert. „Es gab auch Liebe und Verehrung. Doch es herrscht das Gefühl vor: So richtig gehört ihr nicht dazu“, sagt er. „Was auch stimmt.“ Heute würden sich Konflikte auf einer anderen Ebene abspielen: „Es geht um die Zweitwohnsitze.“
Einen Konflikt kann man sich eventuell einhandeln, wenn man die Grenzen des Salzkammerguts definieren will. Gmunden, von wo einst das Salzkammergut verwaltet wurde, gehört für manche nicht dazu. Als Anschaffer waren die Menschen von dort nicht beliebt – und daher in der Definition ausgeschlossen.
Für andere gehört es sehr wohl dazu. „Gmunden ist das Tor zum Salzkammergut“, entrüstet sich ein Fischer aus Altmünster.
„Wenn man Altenberg liest, wie er über Gmunden schreibt, ist das eine Salzkammergut-Eloge. Es ist so verschieden. Und das macht es auch aus“, sagt Herz-Kestranek. Es ist halt schwierig, das Salzkammergut festzumachen.
Versuchen wir es historisch: Dafür muss man mehrere hundert Jahre zurückgehen: Historisch gesehen waren Kammergüter etwas, das dem Monarchen direkt gehörte. Sie wurden ab der Gründung der Hofkammer 1527 zu einer Art Holding zusammengeschlossen. „Das Salzkammergut umfasste grob die Grundherrschaft Wildenstein in Oberösterreich und die Grundherrschaft Pflindsberg im Ausseerland. Es ging von Ebensee bis zum Dachstein“, sagt Michael Kurz.
Sind Attersee und Mondsee dabei? Die Grenzen des Salzkammerguts
Er ist Historiker, Fremdenführer und Lehrer, stammt aus Bad Goisern und hat sich intensiv mit der Region beschäftigt. Es war zunächst eine Verwaltungseinheit und kein geografischer Begriff. „Als der Kaiser und die Touristen kamen, wurde das alles schwammiger. Der Attersee, der Mondsee und der Fuschlsee kamen zur Tourismusregion Salzkammergut dazu.“
Für innere Salzkammergutler wie ihn markieren die Löwenstatuen zwischen Ebensee und Traunkirchen die Grenze zwischen dem Salzkammergut und dem Rest der Welt. Das war auch bei Andrea Grill so. Die Autorin und Biologin ist in Bad Ischl aufgewachsen. „Für mich reichte das Salzkammergut von Ebensee bis Aussee und Strobl.“ Mittlerweile lebt sie in Gmunden. Und sagt: Ich fahre ins Salzkammergut.
„Ich bin überrascht, wie weit die Kulturhauptstadt das Salzkammergut fasst.“ Da sind viele Orte dabei, die mit Salzabbau und -handel wenig zu tun hatten. Aber auch kurze Strecken weisen eine große Distanz auf: „Gmunden ist weit weg von Bad Ischl“, sagt Grill. Ihre Verwandten waren verwundert ob der Ortswahl. „Wir haben halt keinen See in Ischl.“ Dafür habe jeder Ort, jede kleinere Region eine eigene Nuance in der Sprache.
Und auch sonst scheint ziemlich viel anders zu sein: „Wenn man von Altaussee über einen Hügel nach Grundlsee fährt, sind das gefühlte drei Kilometer. Aber es ist so verschieden, als wenn man von Finnland nach Portugal fährt“, sagt Herz-Kestranek.
„Wenn ich in Altaussee bin, bin ich ein Ausländer. Erstens weil ich ein St. Gilgener, zweitens ein Wiener bin. Das ist wie beim deutschen Pass.“ Er selbst war wohl nur zwei Mal in Hallstatt – und noch nie in Gosau. Ebenseer-Witze sind weit verbreitet – und auch sonst häklt man einander gerne. „Innerhalb streitet man gerne, aber wenn es nach außen geht, hält man zusammen“, sagt Kurz.
Das Innen-Außen-Verhältnis ist mitunter ein schwieriges. Bemerkbar etwa beim Kulturhauptstadt-Jahr, besonders bei der Eröffnungszeremonie. Hier erregte der „Pudertanz“ die Gemüter, weil sich Nackte mit Puder einstaubten. Da gab es Stimmen, die meinten, der Kulturhauptstadt werde etwas von außen übergestülpt.
Ein betontes Wir-sind-Wir-Gefühl hat Grill gestört, bevor sie wegging: „Persönlich ist es mir zu eng geworden. Und immer dieses Betonen, dass es hier so schön ist. Mir war es zu schön“, sagt Grill über ihre Jugend. Mittlerweile verteufelt sie das nicht mehr, sondern weiß das zu schätzen. Was ihr aber immer noch nicht gefällt: „Die Leute kümmern sich schon gerne darum, was du tust. Das ist auch ein Grund, warum ich in Gmunden bin.“
Internationaler Wind zwischen Bergen und Seen
Aber generell habe sich der Wind gedreht. „Ich habe den Eindruck, dass es sich geöffnet hat. Es sind viele internationale Leute hier, das hat wohl auch mit dem technischen Fortschritt zu tun.
Als Fortschritt verstünden manche, wenn das Salzkammergut das zehnte Bundesland werde, als das es oft bezeichnet wird. Michael Kurz hat im Fasching einmal verkündet, eine passende Petition zu starten: „Und dann waren ein paar am Gemeindeamt und wollten wissen, wo sie unterschreiben können.“
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