Der Sommer, ein Fest: Schauplatz Salzburg
Momente, die man nicht kaufen kann. Ein Spaziergang durch die Mozartstadt zur Festspielzeit.
Überblick
Jetzt ist es schon wieder passiert. Stau total. Und multikulturell. Eingezwängt zwischen einer geschichtshungrigen Reisegruppe aus Beijing und einer überspannten Brautabschieds-Partie in Dirndln sucht man seinen Weg zum anderen Ende dieses viel besuchten touristischen Highlights. Tatort: Getreidegasse. Tag: Irgendeiner. Tatsache: Kein Durchkommen hier.
Am liebsten würde man es so machen wie Tom Cruise. Der Hollywoodschauspieler war hier, begleitet von einer Handvoll Bodyguards, vor Jahren wie aus dem Nichts auf Salzburgs absolutem Hotspot aufgetaucht, gab Autogramme, plauderte mit Passanten, ließ sich bereitwillig fotografieren, tauchte dann aber wieder in einer blicksicheren Limousine ab.
Und weg war er, der Superstar. Selber aber hängt man fest im soliden Pulk der aus allen Winkeln der Welt kommenden Salzburg-Stalker. Bewehrt mit Selfie-Sticks, Wasserflaschen und Rucksäcken okkupieren sie jeden Quadratzentimeter dieses Wahrzeichens der Mozartstadt. Doch was soll man machen? Schon verständlich, dass Millionen Touristen vom Anblick der Getreidegasse hin und weg sind. So viele seltsame Schilder hier. Es sind die schmiedeeisernen Zunftzeichen einer vergangenen Lebenswelt. Und so viele vertraute Geschäftsportale. Von Benetton bis Vero Moda, von Intimissimi bis Louis Vuitton, die ganze Markenwelt ist in der vielleicht 500 Meter kurzen Flaniermeile zu Hause.
Ja, in Salzburg zur Festspielzeit geht es auf diesem halben Kilometer zu wie in einem Tollhaus. Versteht sich, bei einer Besucherzahl von mehr als einer Million Gäste im Jahr. Zum Vergleich. Salzburg in der Nebensaison erinnert mit seinen gerade einmal 152.367 Einwohnern eher an ein Städtchen als an eine echte Metropole. „Provinziell“, schimpfte Thomas Bernhard über das beschauliche Leben hier. „Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen. Kirchen und enge Gassen, in welchen immer stumpfsinniger werdende Menschen dahinvegetieren. Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warm gestellt ist.“
In seinen jungen Jahren freilich klang er anders. Damals verfasste der streitbare Schriftsteller geradezu eine Ode an diesen Ort:
„Du schöne Stadt am Salzachfluss,
ich schloss dich in mein Herz,
trotz täglich starkem Regenguss,
und kindlich hartem Schmerz."
Jetzt ist es schon wieder passiert. Ein Pärchen hat sich an uns vorbei in den Schanigarten des Fingerfood-Paradieses „Carpe Diem“ gedrängt. An diesem Ende der Getreidegasse, in unmittelbarer Nähe zum Karajanplatz mit seiner barock überkandidelten, von Johann Bernhard Fischer von Erlach konzipierten Pferdeschwemme, atmet man Salzburger Luft at it’s best. Vis-à-vis der Hintereingang des Hotels Goldener Hirsch. Einige der dicken Mauern der Traditionsherberge lassen sich bis aufs Jahr 1407 datieren.
Das macht Eindruck. Besonders auf Besucher aus Übersee. Siehe Walt Disney. Auch der Schöpfer der Micky Maus war hier abgestiegen, 1952. Er war sich nur leider zu gut, der Bitte der damaligen Besitzerin Harriet Walderdorff zu entsprechen und sich im Gästebuch einzutragen.
Wenn geht, samt einer Cartoon-Zeichnung. Was die Dame nicht wusste: Disney hatte mit der Zeichnerei schon 1926 abgeschlossen. Das aber hätte Humor gehabt: ein Bambi im „Goldenen Hirsch“. Überhaupt der „Goldene Hirsch“. Nicht nur auf der Festung Hohensalzburg, auch hier wurde Geschichte geschrieben – Festspielgeschichte. In seiner Autobiografie „Ich“ berichtet zum Beispiel der Wahl-Salzburger Helmut Berger überaus unterhaltsam, wie er im „Hirschen“ mit Eliette von Karajan eine Unstimmigkeit zwischen zwei Maestros und Stars der Festspiele ausräumen wollte, zwischen Herbert von Karajan und dem Filmemacher Luchino Visconti, der Berger mit „Ludwig II.“ ein Denkmal gesetzt hat.
„Mei, i sag Ihnen, das war eine Atmosphäre beim Mittagessen! Nach dem Aperitif – Luchino trank einen kleinen Campari, Eliette und ich nahmen Weißwein, Karajan nippte bloß an irgendwas – setzten wir uns in den Esssalon, um rustikale Spezialitäten der Wiener Küche zu genießen. Die Luft war mehr zum Schneiden als das Wiener Schnitzel. Wir quatschten über dieses und jenes, sehr höflich, sehr freundlich, aber alles blieb belanglos und oberflächlich. Die beiden Maestros umkreisten sich wie Tiger. Beide mieden geflissentlich das Thema Musik und jede Bemerkung über ihre Arbeit.“
Da ist es schon besser, mit sich im Reinen zu sein und auf Solopfaden durch Salzburg zu wandeln. Etwa in ein Kaffeehaus. Die Café-Konditorei Niemetz, direkt am Karajanplatz, bietet sich an. Oder das "Bazar" auf der rechten Salzachseite. Und natürlich das Café Tomaselli am Alten Markt im Herzen der Altstadt. An einem der Kaffeehaustische sollen Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt die Idee zu den Salzburger Festspielen geboren haben. Ob das die Krimiautorin Patricia Highsmith schon gewusst hat? Wie ihrem Helden Tom Ripley genügte der gebürtigen Texanerin nur ein Hauch dieses Aromas, um auf Wolke sieben zu schweben: „Jetzt hinuntergehen und im nahen Café Tomaselli einen doppelten Mokka trinken!“
Jetzt ist es schon wieder passiert. Wir haben uns verirrt. Oder doch nicht? Aber vor lauter alten Kirchen – Dreifaltigkeitskirche, Kajetanerkirche, die Kollegienkirche und die Franziskanerkirche – fehlt uns auf einmal die Orientierung. Was ist das für ein Haus gegenüber am Alten Markt? Pittoresk wie auf einem Stich eines alten Meisters schaut es aus: die „Alte Fürst-Erzbischöfliche Hofapotheke“.
Selbst Kerngesunde sollten sich den Besuch dieses Traditionsgeschäftes nicht entgehen lassen. Die originale Rokokoeinrichtung aus dem Jahr 1777 mit ihrem Mix aus Holz, Zinn und Gold kann mit jedem Museum konkurrieren.
Nein, nicht dass jetzt der Verdacht aufkommt, wir verwechselten ganz Salzburg mit einem Freiluftmuseum. Aber ehrlich, warum auch nicht? Immerhin ist die zwischen Kapuzinerberg und Mönchsberg liegende Stadt voller Sehenswürdigkeiten und – was von großem Vorteil ist – gut zu Fuß zu erkunden.
Jetzt ist es schon wieder ..., nein, es ist alles paletti, wir sind wieder zum Karajanplatz retour und es war dann doch tatsächlich ein Tisch frei im Carpe Diem. Vis-à-vis schnattert eine Mädelsrunde laut über Blingbling und Botox-Behandlungen. „Besser, ich lass’ das machen, wenn ich noch gut ausschau“, meint eine. Dabei hat Salzburg das Altern nicht geschadet. In zwei Jahren feiert "Jedermann" sein hundertjähriges Jubiläum in Salzburg.
Und schon Ende 2018 steht ein Fest an, eines, von dem man auf der ganzen Welt ein Lied singen können wird: „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Es wurde zu Weihnachten 1818 erstmals aufgeführt – in der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg.
Was kommt der jetzt mitten im Sommer mit Weihnachten daher, höre ich Sie den Kopf schütteln. Ganz einfach. In dem babylonischen Stimmengewirr in Salzburgs Gassen und Straßen stößt man immer wieder auf die fragenden Worte „Christmas in Salzburg“? Und tatsächlich gibt es mit dem gleichnamigem Shop in der Judengasse ein Geschäft, in dem man rund ums Jahr Krippen und mehr erstehen kann. Und da gehen wirklich viele Menschen rein, fragen Sie nicht.
Direkt beruhigend, dass noch wesentlich mehr Besucher, nämlich Jahr für Jahr an die 300.000, bei der „Sound of Music“-Tour einchecken. Vom Mirabellgarten über Schloss Leopoldskron bis zum Schloss Hellbrunn und dem Stift Nonnberg wird man dabei zu den Originalschauplätzen des Julie-Andrews-Blockbusters „Meine Lieder – meine Träume“ gekarrt.
Jetzt ist es schon wieder passiert. Auch 80 Jahre nach der Emigration der Familie Trapp in die USA wird diese Story immer wieder gerne gehört. Wie bei „Jedermann“, dem „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“.
Eine Trapp-Enkelin hat erst im Juni in der Wallfahrtsbasilika in Maria Plain gesungen, dort, wo die Trapps ihren letzten Abend in Salzburg verbracht haben. Nächstes Jahr wird es 60 Jahre her sein, dass diese spektakuläre Familiengeschichte den Broadway als Musical erobert hat. In den USA ist das vielleicht ein größeres Thema als bei uns. Für touristischen Nachschub aus Übersee ist jedenfalls gesorgt
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