Stadt, Land, Fluss - neue Wege des Lebens am Wasser
Flüsse und Bäche haben Menschen seit jeher angezogen, waren die Quelle unserer Zivilisation. Und endlich wissen wir sie wieder zu schätzen. Eine Reise zu städtischen Flusslandschaften.
Wasser ist Leben. Seit Menschengedenken entstehen Siedlungen an Bächen, Flüssen und Strömen. Sie sind die Lebensadern des Binnenlands, Trinkwasser und Nahrung lockten unsere Altvorderen an, dazu kam die Möglichkeit, abseits des mühsamen und staubigen Auf und Abs der Wege und Straßen ins nächste Dorf, in die nächste Stadt zu kommen.
Heute wird ein zusätzlicher Aspekt immer wichtiger: Flüsse, und mit ihnen natürlich Gewässer jeder Art, kühlen. Ganz einfach. Wenn das Betonherz der Städte im Sommer so gnadenlos aufgeheizt ist, dass es auch in der Nacht bei Badetemperaturen bleibt, bieten sie, zumindest in ihrem näheren Umfeld, natürliche, angenehme Frische, und zwar ganz ohne Hightech, Wasserzerstäuber-Stationen und sonstige Anlagen.
Da gibt es natürlich einiges zu tun – denn allzu lange wurden städtische Flüsse als lästiges Überbleibsel einer archaischen Vergangenheit angesehen. Sie wurden reguliert, an den Stadtrand gedrängt, überbaut. Hochwassergefahr, natürlich, aber vor allem ist es eben auch so, dass Flüsse zwar verbinden, gleichzeitig jedoch durchaus ein Hindernis darstellen.
Jede Brücke war ein Nadelöhr, ganz besonders natürlich für den boomenden Individualverkehr während der glorreichen Wirtschaftswunderjahre, doch auch schon erstaunlich viel früher: So gäbe es, wäre es nach Kaiser Franz Josef gegangen, in Wien gar keine Wien mehr, sondern eine Prachtstraße vom Karlsplatz bis hinaus zur Stadtgrenze.
Des Kaisers ehrgeiziges Projekt sah vor, den namensgebenden Stadtfluss komplett zu überbauen – doch dann kam ihm der Erste Weltkrieg „dazwischen“ und die Wien blieb – mehr oder weniger – erhalten.
Heute darf sie sogar wieder aufblühen, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Die Pflasterung am Ufer wurde in einigen Bereichen bereits abgetragen und mit Schotter und Steinen eine natürliche Oberfläche geschaffen, im Wasser wurden Tiefstellen gegraben und die Ufer mit Hölzern und Sträuchern stabilisiert. Damit liegt Wien voll im Trend, denn das internationale Motto lautet:
Zurück zum Fluss!
In Basel etwa, wo der mächtige Rhein mitten in der Stadt seinen berühmten Knicks macht. Dort fährt man ein ambitioniertes und – man ist fast geneigt zu sagen: typisch schweizerisch – gründliches Programm, um vor allem vorhandene Nebenflüsse zu revitalisieren. Allen voran die Wiese, die in Basel in den Rhein mündet.
Raus auf die Wiese
Wobei Natur und Erholung einander keineswegs ausschließen. In den nächsten Jahren soll die Wiese, einer der vielen Stadtflüsse in Basel, etwas außerhalb des Ortskerns zum Naherholungsgebiet für die Bewohner werden. Oder Strasbourg, das so malerisch an der sich im Stadtgebiet verzweigenden Ill liegt – und dazu auch gleich an den Rhein grenzt. Hier sollen die Viertel zwischen den beiden Flüssen auch durch zusätzliche Wasserwege aufgewertet werden.
Dann Zürich, das ohnehin mit einer Vielzahl an noch unüberbauten Flüssen und Bächen gesegnet ist, Limmat und Sihl etwa. Dort werden Zuflüsse wie Reppisch, Wehrenbach, Glatt und Reus gehegt und gepflegt. In Bozen, wo Etsch, Eisack und Talfer fließen, denkt man derzeit sogar über eine Renaturierung des Hauptflusses, also der Etsch, nach. Auch weil neueren Studien zufolge gerade diese Rückführung zu einem natürlicheren Lauf die Hochwassergefahr eindämmen könnte.
Genau deshalb – weil die unterirdische Kanalisation eben nur eine beschränkte Menge Wasser aufnehmen kann, und wenn dieses Limit überschritten wird, eine Überschwemmung die unweigerliche Folge ist – soll aus Kopenhagen in den nächsten Jahren eine sogenannte „Schwammstadt“ werden.
Was nichts anderes heißt, als dass Wasser nicht unsichtbar in der Kanalisation verschwindet, sondern so lange wie möglich an der Oberfläche gespeichert wird. Versiegelte Flächen werden zu diesem Zweck aufgebrochen und Pflanzen sollen, zumindest zum Teil, die Aufgabe der Regenwasser-Ableitung übernehmen.
Der „Nebeneffekt“: Die Stadt wird grüner, Parks werden angelegt, Blumenbeete und Wiesen. Was ebenfalls zur Abkühlung in heißen Sommern beiträgt. Eine wunderbare Wechselwirkung ...
Und was macht Wien?
Vergleicht man etwa den Wiener mit dem Münchner Stadtplan, fällt auf den ersten Blick auf, dass sich bei einem viele blaue Linien hindurchziehen – und bei dem anderen nicht. Genau, die beneidenswerten Bayern klotzen förmlich mit Flüssen und Bächen, während ebendiese in der österreichischen Hauptstadt erschreckend selten sind. Noch dazu haben die Münchner natürlich ihre geliebte Isar, die auch tatsächlich mitten durch die Stadt fließt und nicht irgendwie am Rand. Die nutzen sie seit Jahrzehnten, um – teilweise pudelnackert! – mitten in der Stadt Badefreuden zu genießen.
Seit dem von 2000-2011 umgesetzten „Isar-Plan“ sogar in einem auf eine Länge von 14 Kilometer renaturierten Fluss. Kein kanalisiertes Flussbett, abgeflachte Ufer mit Kiesbänken und kleinen Inseln, Flachwasserzonen und Gumpen, Stromschnellen und ruhigen, beinahe stehenden Abschnitten. Ein städtisches Natur- und Freizeitparadies.
In Wien ist die Ausgangslage freilich schon aufgrund des höchst sumpfigen Untergrunds eine andere.
Venedig an der Donau
Kaum einem Besucher oder auch Bewohner der 2-Millionen-Einwohner-Metropole ist bewusst, dass viele Gebäude, auch in der Altstadt, ganz ähnlich wie in Venedig, auf Stelzen stehen. Sogar die mächtige Roßauer Kaserne ist quasi ein venezianischer Palazzo! Nicht umsonst schimpften schon die alten Römer über die feuchte, von Flüssen durchzogene, wasserreiche Gegend um ihre wichtige Garnisonsstadt Vindobona. Hier wurde jeder größere Bau zur Herausforderung.
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Aber diese vielen Flüsse sind im Bewusst-sein der meisten Wiener in Vergessenheit geraten, leben nur noch durch Straßen- und Viertel-Namen weiter: Alserbachstraße, Krottenbachstraße oder Ameisbachzeile, Dornbach, Kasgraben, Alsergrund.
Dornbach, Kasgraben, Alsergrund. Ganze 200 Gewässer gibt, oder besser gab, es in Wien. 85 fließende und 115 stehende.
Warum es davon heute nicht mehr viel zu sehen gibt, hat seinen Grund im Wachstum, in ihrer Entwicklung zur pulsierenden, brodelnden Metropole, zur nach Berlin größten deutschsprachigen Stadt der Welt.
Dass man diese Überbauungen nicht ganz einfach nach dem Vorbild Kopenhagens rückgängig machen kann liegt auch daran, dass ganze 150 großteils historische Gebäude Wiens auf Stelzen gebaut sind – und die brauchen, um sicher stehen zu bleiben, die Feuchte und den Sumpf im Untergrund.
Außerdem fließen Wiens unterirdische Bäche oft seit mehr als 100 Jahren schon nicht mehr „frisch und frei“, nur eben unter der Erde, wie Lisbeth Kovacs von der Gewässerinformation der Stadt erklärt: „Viele kleinere Wienerwaldbäche werden an den Siedlungsrändern von Wien in die Kanalisation eingeleitet“, was die Offenlegung olfaktorisch eher belastend gestalten würde.
Die Krux ist auch: Um die Bäche freizulegen, bräuchte es viel mehr – grüne – Freiflächen, um den Hochwasserschutz weiterhin zu gewährleisten. Aber wo sollen die entstehen?
Grund zur Freude
Denn neben der Wien wurde und wird mittlerweile der Liesingbach energisch renaturiert, bis 2027 sollen die letzten großen Teilstücke zum Liesinger und Atzgersdorfer Platz fertiggestellt werden. Die EU beschloss vor wenigen Wochen endlich das „Renaturierungsgesetz“.
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Flüsse sollen zur Verbesserung unseres Lebens endlich wieder beitragen dürfen. Und das können sie. Auch ganz unmittelbar, ohne klimapädagogischen Hintergrund: Wir lieben es, Wasser gluckern und plätschern zu hören, betrachten gerne die glitzernde, spiegelnde Oberfläche, während ein Aperol Spritz uns verführerisch rot zulächelt.
Und auch wenn Urlauber auf der ganzen Welt zu diesem Zweck mit großer Regelmäßigkeit ans Meer fahren – auch der Binnenbewohner hat diesbezüglich durchaus seine Möglichkeiten.
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