Der Orient-Express: Im Luxuszug durch Europa

Er machte die Bahn zum Hotel, den Speisewagen zum Sternerestaurant und das Abteil zur Suite – und das vor 140 Jahren. Ab 2024 kann man sich wieder auf die Reise begeben, zuerst durch Italien und dann von Paris bis Istanbul.

Was muss damals für eine Aufbruchstimmung geherrscht haben, 1883 am Bahnsteig des heutigen „Gare de L’Est“ in Paris. Die Passagiere warteten auf die „große Abfahrt“ des ersten Orient-Express, eines Zuges, der bis heute die Fantasie beflügelt – und das nicht nur weil Agatha Christie hier 45 Jahre später die Inspiration für ihren Roman „Mord im Orient Express“ fand. So ziemlich alles an diesem Projekt war spektakulär. Der Komfort in den Schlafwaggons, die Qualität der Speisen, aber vor allem: die Idee!

Die grundlegende Idee – ja, Vision – des Belgiers Georges Nagelmackers war bahnbrechend: zur Zeit des beginnenden Imperialismus Grenzen öffnen, etliche teils verfeindete Staaten miteinander verbinden – und das auf einem Fleckerlteppich aus Eisenbahnsystemen. Eben von Paris bis nach Konstantinopel, vom Okzident in den Orient. Eine abenteuerliche Route, die Nagelmackers in Sachen Planung und Verhandlungsgeschick alles abverlangte. Der junge Mann geriet mehrfach in finanzielle Bredouillen, aber er schaffte es. Der Start-up-Unternehmer des 19. Jahrhunderts überwand Grenzen, ohne Krieg zu führen und das mit rollenden Palästen, in blauen Stahl-Waggons, die sich zum König der Züge aufreihten.

Zug der Könige und Spione

Der Orient Express war auch der Zug der Könige – der Spione, Schauspieler und Autoren. Agatha Christie mag die erste Assoziation sein, aber auch Greta Garbo, Mata Hari oder Josephine Baker lösten ein Ticket. Letztere soll während eines Bombenanschlags auf den Orient Express für die Mitreisenden gesungen haben, um diese zu beruhigen. Sie selbst blieb unverletzt. „Bis heute steht der Orient-Express für eine große europäische Idee, in der das Fremde nicht Angst, sondern Neugierde auslöst“, sagt Gerhard Rekel, Autor des Buchs „Monsieur Orient Express“ (Verlag Kremayr & Scheriau).

Von Paris über Wien und Budapest bis Konstantinopel. Als der Orient-Express sich 1883 das erste Mal auf den Weg machte, war das Ziel nur in Kombination mit Schiff- und Fährverbindungen erreichbar

©@Martindarzacq

Der gebürtige Österreicher und Wahl-Berliner hat in über 600 Belegstellen europäischer Archive recherchiert, um die erste Biografie von Nagelmackers zu schreiben. Und sie liest sich nicht weniger spannend, als der Agatha-Christie-Krimi. Rekel bezeichnet Nagelmackers damaliges Business als „irre Idee“, aber „am Ende leitete er einen Konzern mit fast 900 Waggons und über 6.000 Mitarbeitern“. Der Eisenbahner gab sich nicht mit dem Mittelmaß zufrieden und das in einer Zeit, in der die meisten Menschen in Pferdekutschen reisten. „Funktionalität, Qualität und Komfort – vom Besteck zu den Betten, Nagelmackers hatte die besten Manufakturen Europas engagiert.“

Bis heute steht der „Orient Express für elegantes Reisen und das obwohl der Original-Zug 1977 die Schienen verließ. Ab den 1980er-Jahren war die Zeit für die Nostalgie-Züge gekommen. Eine sechstägige Kurzreise von Paris nach Istanbul wird heuer etwa zwei Mal angeboten, im August und September. „Venice Simplon-Orient-Express“ nennt sich der Zug und gehört zur „Belmond“-Gruppe. Ab 2024 bekommt er Konkurrenz. Gewaltige Konkurrenz von der „Accor“-Gruppe.

Ab 2026 soll die Orient Express Silenseas in See stechen, angekündigt als die größte Segelyacht der Welt

©maxime d'angeac & martin darzacq for orient express

Durchs Italien der Fellini-Zeit

Die Fakten: 2017 verkündete das Unternehmen, die Marke „Orient Express“ zu übernehmen und aufzubauen. Konkret soll es auch Hotels (zum Start 2024: Rom und Venedig) und ab 2026 die weltgrößte Segelyacht geben (Präsidentensuite: 1.415 m²). Der erste Zug mit dem Beinamen „La Dolce Vita“ startet kommendes Jahr auf sechs Routen quer durch Italien. Jede Reise dauert maximal drei Tage und kostet pro Nacht ab 2.000 Euro pro Person. Dafür soll es aber auch eine Reise „wie aus einem Traum“ sein, die mit dem Pfeifen des Zugführers beginnt. Beziehungsweise sogar früher, wenn sich das virtuelle Kuvert des privaten Concierge im E-Mail-Postfach des Passagiers öffnet. Und es geht weiter mit dem ersten Sprizz am Bahnsteig. Dann mit dem Bezug einer der zwölf Deluxe-Kabinen oder neun Suiten. Für das Design verantwortlich: das Mailänder „Dimorestudio“, eine bekannte Größe der Branche.

Der Orient Express Paris–Istanbul neu designt vom Franzosen Maxime d’Angeac. Er frönte beim Gestalten dem „extremen Luxus“

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Das Interieur nimmt Bezug auf das Italien der Sechziger und Siebziger, eben auf „La Dolce Vita“. Wer eincheckt darf ganz großes Kino erwarten. Insbesondere abends, wenn die „great Transformation“ durch die Lautsprecher angekündigt wird. In der Kabine oder Suite wartet ein handgeschriebener Brief, der den Gast zum Essen bittet. Overdressed sein: unmöglich, Flip-Flops: verboten. Das Licht wird gedimmt, das Setting geändert, die Kellner tragen plötzlich Fliege und der Pianist wählt andere Stücke. Eine subtile Performance, die nur eines zum Ziel hat: perfektes Storytelling, eine „Once in a lifetime“-Erfahrung. Mit im Package ist etwa auch ein Reisetagebuch für jeden Gast, versehen mit einem QR-Code. Nach der Ankunft erhält man dadurch etwa die Rezepte und Playlists der Reise. Interesse? Dann los, man kann sich bereits für „La Dolce Vita“ registrieren.

Orient Express Paris–Istanbul

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Nomaden des 21. Jahrhunderts

Ein Jahr später dann der richtig große Coup! Der Orient Express nimmt seine Fahrt auf. Auf der originalen Strecke Paris Istanbul. Und das in Waggons, die vor circa sechs Jahren an der Grenze zwischen Polen und Belarus aufgespürt wurden. Es handelt sich um originale Züge aus den zwanziger und dreiziger Jahren des 20. Jahrhunderts, gut erhaltene Art-Déco-Juwele des Nostalgie-Istanbul-Orient-Express. Nach zwei Jahren Verhandlungen gingen die 17 Waggons zurück nach Frankreich – der Vertrag wurde 2018 im „Bristol“ in Wien unterzeichnet.

Orient Express Paris–Istanbul

©@Martindarzacq

Eine unglaubliche Grundlage, auf der der französische Designer Maxime d’Angeac aufbauen konnte. Es gehe aber nicht um eine Kopie des einstigen Zuges, sondern vielmehr darum, „die Atmosphäre eines außergewöhnlichen Zuges wiederzubeleben, in einer Version des 21. Jahrhunderts“. Französischer Luxus in einer „extremen“ Variante, wie er sagt. Mahagoni, Kristall, Samt, Seide – das volle Programm. Ganz klar orientiert sich der Architekt und Designer somit an den späteren Jahren des Orient Express und weniger an der Belle Époque mit den Gobelins an den Wänden. Nostalgie sei nicht der Sinn der Sache, vielmehr wolle er die Geschichte des Zuges weiterführen. „Die Grundidee ist ähnlich, die Ausführung anders“, meint Gerhard Rekel danach befragt, was er von dieser Neuauflage halte. Ohne zu sehr in Details abzudriften, nimmt er Bezug auf das Mindset: „Es hängt nicht nur vom Zug ab, sondern auch von den Passagieren. Mit welcher Haltung gehe ich auf Reisen?“ Und weiter: „Die Passagiere werden wieder mehrere Tage unterwegs sein und nicht auf einem der vielen identisch aussehenden Flughäfen ankommen, sondern im Zentrum der Metropolen. Schon Umberto Eco meinte über die Annäherung an eine fremde Stadt: „Man sollte sie unbedingt in kleinen Schlucken auskosten.“ Und das am besten begleitet von einem Glas Champagner – den wird es im neuen Orient Express auf Knopfdruck geben.

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