Bau(KUNST)werke: Die Koboldmützen Apuliens

Die kegelförmigen Trockensteinbauten haben Alberobello im Süden Italiens berühmt gemacht.

Überblick

Einwohner

ca. 4 Millionen

Region

Süditalien

Währung

Euro (€)

Es gibt Orte, die einen – sobald man sie sieht und egal wie alt man ist – mit einem Schlag zurück in die Kindheit versetzen, Neugierde, Abenteuerlust und auch ein wenig Tollkühnheit entfachen. So ein Ort ist die Valle d’Itria, das Itria-Tal in Apulien, zwischen Bari und Taranto, also am Stiefelabsatz Italiens. Beim Namen Itria-Tal geht auch den Italienern nicht immer gleich ein Licht auf. Man braucht aber nur vom Tal der Trulli und Alberobello sprechen, und jeder weiß, wovon die Rede ist.

Allein in Alberobello stehen 15.000 dieser Rundbauten, die Zipfelmützen ähneln. Wer der Fantasie keine Grenzen setzt, kann sich vorstellen, dass darin einst Kobolde wohnten. Alberobello ist ein absolutes Unikum und seit 1996 UNESCO-Weltkulturerbe.

©REUTERS/ALESSANDRO GAROFALO

Graf wollte Steuern hinterziehen

Natürlich muss man auch hier Halt machen, wer aber noch mehr Trulli sehen und über sie erfahren will, der sollte weiter, durchs Itria-Tal fahren – am besten mit dem Fahrrad, denn so macht man wirklich eine Zeitreise. Wo immer sich der Blick hinwendet, stehen am Rande oder inmitten der Olivenhaine und Weingärten Trulli. Die kleinen am Rande der Felder, oft halb eingestürzt, weisen auf ihre ursprüngliche Funktion hin, als sie Mensch und Tier Schutz vor Unwetter boten. Es gibt aber auch Trulli-Gehöfte, aus zwei, drei oder mehr dieser Bauten bestehend. Von ihnen wurden in den vergangenen Jahren viele saniert und zu exklusiven Urlaubsresorts.

„Heute sind die Trulli sehr begehrt, noch vor ein paar Jahrzehnten wollte keiner mehr darin wohnen, sie galten als Armenunterkünfte“, erzählt der 60-jährige Pasquale Lodeserto, einer der 15 Maestri dieser Trockensteinbauten in der Gegend. Seine Familie übt den Beruf seit sieben Generationen aus. „Und die achte wächst gerade heran“, sagt er stolz. Er meint damit seine Enkelkinder, da seine Söhne andere Wege eingeschlagen haben.

©Privat/Paola Sarappa Photography

Graf wollte Steuern hinterziehen

Über den Ursprung der Trulli in Apulien weiß man nichts Genaues. Es wird erzählt, dass im 17. Jahrhundert der Graf Giangirolamo II Acquaviva d’Aragona seinen Bauern angeordnet hatte, nur mehr Unterkünfte zu bauen, die im Fall einer Inspektion im Nu wieder abmontiert werden konnten. Er war es nämlich leid, dem spanischen Vizekönig immer mehr Steuern zahlen zu müssen. „Ursprünglich bestand ein Trullo nur aus einer Kammer“, erzählt Lodeserto weiter. Später kamen die anderen dazu und die Bauern begannen, darin zu wohnen.“ Die Eintrittskammer war Küche und Aufenthaltsraum, die links und rechts liegenden dienten als Schlaf- und Vorratsraum, überall gab es Ablagenischen.

Das alles kann man in den verlassenen, oft schon sehr baufälligen Trulli noch sehen. Eigentlich dürfte man nicht hineinkriechen, auch weil es heißt, dass man nur einen gewissen Stein abnehmen müsse, um den ganzen Bau zum Einsturz zu bringen. Doch nicht immer kann man der Verlockung widerstehen.

„Es sind in der Tat kleine Meisterwerke“, sagt Lodeserto, „das mit dem Einsturz ist aber Quatsch.“ Der Laie beobachtet aufmerksam den Bau, die aufeinandergelegten Bruchsteine und denkt an Legospiele der Kindheit. „Der Vergleich passt. Hier in Apulien haben wir weder Ton, noch Holz, dafür aber überall Kalksteine in den Feldern. Das erklärt das Baumaterial, nur Stein, kein Mörtel als Bindemittel.“ Die Statik ergebe sich aus dem kegelförmigen Gewölbe, Candelo genannt, und die Schräglage der Steine. „Der Trullo besteht aus zwei Mauern, eine innere und eine äußere, dementsprechend ist der Winkel der Steine. Diese Bautechnik macht sie erdbebenresistent. Spalten und Schlitze werden mit den Chiancarelle, kleineren Kalksteinen gestopft, damit kein Wasser durchdringt“, erklärt Lodeserto. Und wenn die Statik ins Wanken kommt, dann baut man ihn einfach ab und danach Stein für Stein wieder auf.

©Andrea Affaticati

Fachkunde, Mühe und Leidenschaft sind die Voraussetzungen zu einem guten Trullaro. Herr Lodeserto hat sie alle drei. Von klein auf war er mit seinem Vater unterwegs. Denn es brauche Jahrzehnte, bis man ein Maestro wird, fügt er hinzu. Man muss eine Beziehung zum Trullo aufbauen, sich, wie die Vorfahren einst, von der Intuition leiten lassen. Moderne Technik ist da fehl am Platz. Das wichtigste Werkzeug bleibt ein sechszackiger Hammer, mit dem man die Steine und Chiancarelle zur benötigten Form schlägt. Den von Lodeserto hat ein Schmied vor über hundert Jahren geformt. „Einen Trullo zu sanieren ist harte Knochenarbeit. Wenn vier Leute daran arbeiten, braucht man vier bis fünf Wochen. Pfuschen geht nicht. Beim ersten Regen zeigt sich, ob gute Arbeit geleistet wurde oder nicht.“

Die letzten Trulli wurden in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gebaut. In der Valle d’Itria stößt man aber auch auf welche, die über dreihundert Jahre alt sind. Sie alle stehen unter Denkmalschutz, weswegen ihre Sanierung strengen Vorschriften unterliegt. Deswegen ist der Beruf des Trullaro so wichtig. Denn er ist nicht irgendein Handwerker, sondern ein Künstler im wahrsten Sinn.

©Grafik

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