Jesolo erfindet sich neu: L. A. Miami, Ibiza treffen die Adria

Der italienische Badeort hat nicht den Ruf, aufregend zu sein. Dabei schickt er sich an, das nächste große Ding zu werden.

Überblick

Beste Reisezeit

Mai bis September

Region

Venetien

Besucher

Mehr als 5 Mio pro Jahr

Ein bisschen ist es so, als wäre es nicht das Mittelmeer, das die bloßen Füße beim morgendlichen Strandspaziergang umspült, sondern der Pazifik Kaliforniens. Brauner Sand, soweit das Auge reicht, am Rand erheben sich neben den in die Jahre gekommenen Hotels neue Hochhäuser mit Glasfronten. Es ist fast wie in Santa Monica. Dazu wachen auf Türmen sportliche Rettungsschwimmer in roten Jacken und Badeshorts übers noch moderate Treiben, die rote Rettungsboje stets griffbereit. Baywatch und L. A. an der oberen Adria, quasi.

Jesolo hat schon was. Wirklich? „Dschesolo?“ Das würden wohl nicht alle unterschreiben. Ehemalige Kinder, die sich mit ihrer Familie stundenlang unter der sengenden Sonne von Österreich nach Italien hinuntergestaut haben. Eltern, die ständig unter Spannung standen, damit sie ihre Kinder nur ja nicht zwischen den unzähligen Reihen Bezahlliegestühlen verlieren. Schuldirektoren, die sich in Konferenzzimmern lautstark über Familien ärgerten, die die Pfingstferien eigenmächtig verlängert hatten, weil sie sich wie Tausende andere auch noch länger am Lido von der Sonne brutzeln lassen wollten.

Jesolo war eines der Lieblingsziele der Österreicher, aber so richtig sexy war es nicht. Jetzt schickt sich der Badeort mit dem 15 Kilometer langen Strand an, das nächste große Ding zu werden, die Bezeichnung Geheimtipp trägt es zumindest schon.

Star-Architekten entwarfen

Als ab den 90ern die Touristen lieber woanders Urlaub machten, erkannte die Kommune: Etwas Neues muss her. Sie beauftragte den prominenten Stadtplaner Kenzo Tange, der einen Modernisierungsprozess aufsetzte. Die inzwischen verstorbene Star-Architektin Zaha Hadid entwarf das Jesolo Magica, ein riesiges weiß-geschwungenes Geschäftszentrum, das noch auf seine Umsetzung wartet.

Gebaut wurden aber mehrere prägnante Wolkenkratzer, die die 25.000-Einwohner-Stadt mit Wiesen und Feldern im Hinterland um ein Vielfaches größer wirken lassen. Eines dieser neuen Wahrzeichen sind die zwei Hochhäuser an der Piazza Drago mit ihren spitzen Glastürmen. Böse Zungen würden behaupten, das wirkt wie in einer post-sowjetischen Steppenrepublik, die zu schnellen Petrodollars gekommen ist.

Die zwei Hochhäuser mit den markanten Türmen an der Piazza Drago stehen wie der Design District für ein neues Jesolo.

©Shutterstock/KYNA STUDIO/KYNA STUDIO/Shutterstock

Nach Miami sieht es hingegen ein paar Kilometer weiter aus. Hier stehen ein paar wenige weiße, reduzierte Gebäude mit stilprägenden Lamellen. Entworfen hat das der US-amerikanische Architekt und Pritzker-Preisträger Richard Meier. Etwas großspurig heißt das Projekt Jesolo Lido Design District. Aber das ist erst der Anfang. Das Viertel soll noch wachsen.

Das Falkensteiner Hotel & Spa mit fünf Sternen und angrenzenden Apartments ist Teil des Grätzels. Im oberen Stock sitzt Otmar Michaeler, Chef der Falkensteiner Gruppe, in einem der minimalistisch eingerichteten Zimmer mit Panoramablick auf den braunen Sand und das vom Himmel blau gefärbte Meer. Unten sonnen sich die Gäste in farblich abgestimmten Liegestühlen im Matteo-Thun-Design, trinken fruchtige Haus-Cocktails im Gastgarten einer hawaiianisch angehauchten Lounge-Bar samt knallbunten Surfbrettern oder lassen sich im Pool den Wasserschwall aufs Genick prasseln.

Warum sich das Unternehmen mit Premiumangebot genau in dem Ort angesiedelt hat, bei dem manche immer noch die Nase rümpfen, wenn der Name fällt? Ja, Jesolo sei eine „old-fashioned Destination“ gewesen, aber: „Hier gibt es rund sechs Millionen Nächtigungen. Jesolo hat eine super Erreichbarkeit und mit dem nahen Venedig ein tolles Ausflugsziel“, streicht Michaeler die strategischen Vorteile heraus. „Es sind viele Familien mit Kindern gekommen. Die Kinder sind älter geworden und verdienen besser. Sie würden gerne zurückkommen, aber es gab kein entsprechendes Produkt, wenn man gerne in Fünfsternehotels absteigt.“ Für das anspruchsvolle Klientel hat man sich einiges einfallen lassen. Eine Sauna mit Meerblick etwa. Oder mit dem Hoku ein italienisch-japanisches Fusion-Lokal, das von den Einheimischen gestürmt wird, weil die Italiener auf einmal ihre Liebe zu Sushi und Maki entdeckt haben.

Mittlerweile stehen neben Falkensteiner zwei weitere Hochkategorie-Häuser in teils durchaus ansprechender Gestaltung, ein viertes entsteht. „Jesolo wird den Run nutzen“, ist der Falkensteiner-Chef überzeugt.

Mit dem Rad in die Natur

Irgendwann ist auch genug am Strand herumgefläzt oder es sind genug der würzigen Reisröllchen gegessen. Also: Rad ausborgen und Gegend erkunden. Die ist dafür geradezu ideal. Sie ist flach und hat ein rund 500 Kilometer langes Radnetz. Es geht an Nadelbaum-Alleen entlang, durch Schilfgürtel, an kleinen Naturhäfen vorbei, wo Fischernetze hängen oder kleine Boote stehen. Ein bisschen erinnert das an Florida. Oder an die Karibik. Besonders, wenn gerade das Piratenschiff Jolly Roger angelegt hat, das möglicherweise durch einen Navigationsfehler des gefürchteten Kapitäns hier gelandet ist. Der Seemann und seine Mannschaft nehmen unerschrockene Familien mit aufs Meer, wo sie ein gar fürchterliches Animationsprogramm starten.

Wer das nicht will, fährt weiter mit dem Rad – etwa ins Örtchen Lio Piccolo, wo pinke Flamingos leben.

Cavallino Treporti ist eine lange und fruchtbare Halbinsel zwischen Venedig und Jesolo mit weiten Landschaften und alten Häusern
 

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Dem Radeln sind kaum Grenzen gesetzt. Kaum. Es empfiehlt sich auf keinen Fall, den gepflasterten Weg mit dem Rad am Strand entlangzufahren, auch wenn er sich dafür vorzüglich eignen würde. Aber verboten ist verboten. Und da verstehen Italiener, die eigentlich den Ruf haben, beim Gesetz ein Auge zuzudrücken, keinen Spaß. „Proibito“, sagt ein älterer Herr, verweist auf die Videoüberwachung und fuchtelt mit dem Du-du-Finger herum. Und auch wenn man seine Unmutsbekundungen ignoriert, spätestens beim Strandwächter ist es vorbei. Dann heißt es absteigen. Aber vielleicht wird es ohnehin Zeit für eine Pause in einem der Ristorantes, die kochen, was Meer, Lagune und Felder der Region hergeben. Beinahe alle Jesolo-Kenner empfehlen das Da Omar oder das Da Guido.

Schöner Anblick: das Essen des Ristorante Da Guido 

©Ristorante da Guido

Wenn die Dämmerung aufzieht, lohnt es sich, zum Leuchtturm zu fahren. Der liegt dort, wo der Sile-Fluss ins Meer mündet. Im Lokal Terrazza Mare lässt man begleitet von gefälligem DJ-Sound den Sonnenuntergang einläuten. „Wie auf Ibiza“, hat eine Einheimische verraten. Und sollte das Entdecken von Ähnlichkeiten fad werden: Vom nahen Punta Sabbioni fährt die Vaporetto-Linie 15 nach Venedig.

Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass …

… sich Jesolo mit Venedig, Rom oder Florenz in guter  Gesellschaft befindet? Die Stadt gehört wie die prominenten Orte zu den Top 10 der italienischen Urlaubsdestinationen. 
… das beim Tragen von gefälschten Sonnenbrillen am Strand Strafen von  1.000 Euro (und manchmal um ein Vielfaches mehr) fällig werden können?
… ein Linzer in Jesolo von einem Hai gebissen wurde? Der junge Mann wollte vor zwei Jahren einen angespülten, nicht allzu großen Fisch wieder ins Wasser ziehen – das Tier erwischte ihn an der Hand.

Anreise

Die Fahrt mit dem Pkw dauert von Wien über die Autobahn rund sechs Stunden. Die AUA fliegt regelmäßig nach Venedig Marco Polo. Von dort geht ein Airport-Bus weiter nach Jesolo. Auch Boot-Taxis fahren.

Mit dem Zug geht es  zum Bahnhof  Venedig Mestre (ca. 7,5 h Fahrzeit) oder weiter nach San Donà di Piave-Jesolo (ca. 8,5 h). Von Mestre fährt der  ATVO-Bus weiter nach Jesolo.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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