Irlands alter Osten: Braveheart, Heilige und ein verrückter Graf
Trim Castle, Clonmacnoise oder Belvedere: Rund um Dublin ist die grüne Insel voll von Figuren und Geschichten zum Nachspüren.
Die Menschen fragen zuerst meistens nach dem Praktischen: Wie denn das Gras auf den Kuppeln der zwanzig Hügel gemäht würde, wollen die Touristen tatsächlich während einer Führung durch Knowth am öftesten wissen, erzählen die Guides. Angesichts der perfekt gerundeten Hügel, jeder mit mehreren Metern Durchmesser und einigen Metern Höhe, könnten den Besuchern auch drängendere Fragen durch den Kopf gehen. Immerhin stammen die Hügelgräber von Knowth von einer Kultur, die hier vor mehr als dreitausend Jahren dominierte. Gut eine halbe Stunde von Dublin entfernt liegt die Kultstätte mitten im historischen Boyne Valley und ist ein guter Startpunkt für eine Zeitreise durch den Ancient East, den alten Osten Irlands. Dort, rund um den Boyne River, bis hin zum Shannon River, fanden die Menschen vor Jahrtausenden ideale Lebensbedingungen.
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Knochen, Schlachten und Motoren
Wenig ist bekannt über die Erbauer der Hügelgräber. Nur ihre Ruinen sowie einige Knochenfunde und Grabbeigaben lassen Rückschlüsse zu. Bedeutend für die irische Geschichte war die Region auch später: In der „Schlacht am Boyne“ besiegte im Jahr 1690 der protestantische König Wilhelm III. von Oranien den katholischen Jakob II. und Irland wurde erneut Teil des britischen Königreichs.
In Knowth durchbricht plötzlich abrupt ein Motorengeräusch die Stille. Auf einem der Hügel taucht ein Mann auf – der den Hügel mäht. Und zwar von oben. Sein Spezialrasenmäher hängt zusätzlich an einem Seil, das er immer wieder vor und zurück zieht. Dass einige der Touristen eine Weile zuschauen, ist er vermutlich gewohnt.
Ein paar Schritte weiter fesselt Anderes: in die Grab-Randsteine gravierte Spiralen, fast die Hälfte aller in Irland gefundenen Steinzeitgravuren. Hochentwickelt waren diese Menschen aus der Jungsteinzeit, davon zeugen ihre architektonisch ausgeklügelten Ganggräber. In Newgrange, der zweiten Anlage des Brú na Bóinne-Komplexes am Fluss Boyne, wird das noch deutlicher. Die spektakuläre Anlage ist eines der bedeutendsten Besucherziele Irlands und zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Zur Wintersonnenwende
Ein enger, neunzehn Meter langer Gang aus bis zu zwei Meter hohen Granitsteinen ist der Grund. Zusammengehalten werden sie nur durch die Schwerkraft. Rund 200.000 Tonnen wurden hier aufgeschichtet. Auf die kleine Öffnung, eine Art Oberlichte am Eingang des Tunnels, weisen Guides besonders hin. Zu unscheinbar ist sie in Relation zur Mächtigkeit dieses riesigen Kultbaus. Nur einmal im Jahr, zur Wintersonnenwende, dringt bei Sonnenaufgang ein Lichtstrahl durch die Luke und erleuchtet – aufgrund ausgeklügelter Architektur – die zentrale Grabkammer. Ein erhebendes Spektakel, das für die Touristen heute stündlich künstlich nachgestellt wird.
Ob Totengedenken, ein Ritual anlässlich der Sonnenwende oder ein anderer Kult dahinter stand, ist auch hier unbekannt. Dafür kennt man, den Verantwortlichen des heutigen Aussehens. Der Archäologe Michael O’Kelly leitete die Ausgrabungen in den 1960er-Jahren. Eine statisch nötige Außenmauer „rekonstruierte“ er mit weißen Quarzsteinen. Auch war er der Erste, der den einfallenden Sonnenstrahl zur Wintersonnenwende entdeckte. Davor galt er als lokale, unüberprüfte Legende.
Trim: Trip ins Mittelalter
Mehr als die Bilder der eigenen Fantasie kommen ein paar Kilometer weiter in Trim auf. Ein ganzer Film ist es, der sich angesichts der imposanten Normannenburg aus dem zwölften Jahrhundert – der größten und ältesten Irlands – ins Gedächtnis schiebt. Im Kassenschlager „Braveheart“ (1995) mit Mel Gibson in der Rolle des unbeugsamen Schotten William Wallace diente die Trutzburg als Drehort. Trim hält diese Zeit seines Ruhms noch hoch, und es ist ja eine schöne Geschichte: eine irische Burg mit einem schottischen Helden, der gegen die verhassten Engländer aufbegehrt – und das alles in einem amerikanischen Film.
Neben der Burg mit ihren bis zu fünf Meter dicken Steinmauern locken Aktivitäten: Spaziergänge über die weitläufige Anlage, idyllische Plätze, Radtouren entlang des Boyne River. Das Städtchen Trim besticht noch heute mit seinen mittelalterlichen Gebäuden, angeblich die meisten auf der Insel.
Clonmacnoise: Ruinen und Hochkreuze
Schwer ist die Vorstellung eines mittelalterlichen Zentrums hingegen in Clonmacnoise. Einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Insel verlief hier im sechsten Jahrhundert, als der Heilige Ciarán an der Kreuzung des Shannon mit der Ost-West-Querung „Esker Riada“ durch das Moor ein Kloster gründete. Es wuchs zum reichsten seiner Epoche, im 13. Jahrhundert wurde es zerstört. Ein in seiner Ruhe fast mystischer Ort ist es auch heute noch. Entschleunigung pur ist es, durch die Ruinen mehrerer Kirchen, der Kathedrale und uralter Gräberreihen zu flanieren.
Höchst eindrucksvoll sind die künstlerisch einmaligen, imposanten, mehrere Meter großen Hochkreuze mit ihren ausdrucksstarken Reliefs.Drei sind es noch. Erstaunlich, wie lange sie hier Wind und Wetter trotzten. Erst seit einigen Jahren stehen Repliken, die Originale wanderten ins Besucherzentrum nebenan. Nur ein etwas hässlicher Betonbau stört das Ensemble, gebaut erst 1979 als Regenschutz für Papst Johannes Paul II. Er würdigte mit dem Besuch den Klostergründer, der in Irland missionierte und zur Christianiserung beitrug.
Belvedere: Neid und Niedertracht
Mit einer anderen berühmten Figur der Gegend hätte wohl auch der als charismatisch beschriebene Heilige seine liebe Not gehabt: mit dem „niederträchtigen Grafen“ (the Wicked Earl). Da täuscht die kontemplative Idylle eines der schönsten Gärten irischer Herrenhäuser über die dramatischen Verwerfungen hinweg, die Robert Rochfort im House Belvedere bei Mulligan im achtzehnten Jahrhundert anrichtete. Wahrlich filmreif wären sie. Folgen kann man dieser Geschichte und den handelnden Charakteren durch die liebevoll restaurierten Räume des Hauses. Neben dem Graf seine Frau, die er dreißig Jahre lang einsperrte. Er verdächtigte sie fälschlicherweise des Ehebruchs mit seinem Bruder. Den er auch noch für viele Jahre ins Gefängnis brachte.
Mauer des Neids
Was als sichtbarer Beweis seiner Verrücktheit blieb, ist die „Jealous Wall“. Ein Sichtschutz, einer monströsen gotischen Fassade nachempfunden, um das luxuriösere Haus eines seiner Brüder nicht sehen zu müssen. Der Neid ist ein Hund! Dass er letztendlich vermutlich an Syphilis zugrunde ging, versöhnt wohl manchen. Vielleicht auch, dass doch immer wieder Gras über gewisse Dinge wächst. Saftig und tiefgrün, wie es so typisch für die grüne Insel ist. Und von diesem Grün gibt es im Alten Osten Irlands zum Glück noch immer genug.
Info
Anreise
Täglich Flüge nach Dublin (-Kompensation: 22 € via atmosfair.de). Die Hauptdestinationen im „Ancient East“ sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Manche Sehenswürdigkeiten erreicht man nur im Pkw (Linksverkehr!)
Unterkunft
– Trim: Knightsbrook Hotel knightsbrook.com
– Athlone: Athlone Springs Hotel
athlonespringshotel.com
– Slane: Am Gelände des „Slane Castle Estate“ bietet die „Rock Farm Slane“ mehrere unterschiedliche Unterkünfte wie Jurten, Schäferhütte oder eine Lodge. Alle sind modernst ausgestattet und beheizbar.
rockfarmslane.ie
Essen
– Trim: Das „StockHouse“ vereint Pub, Restaurant und Bar; mehrgängiges Dinner oder à la carte, umfangreiche Karte
stockhouserestaurant.ie
– Athlone: „The Fatted Calf“ erhält immer wieder Auszeichnungen für seine moderne, irische Küche. Lässig-cooles Ambiente.
thefattedcalf.ie
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