Herbst-Wochenende in Brügge: Dem Genuss auf der Spur
Brügge verzaubert: Mondklare Nächte in mittlalterlichen Gassen, Brücke der Verliebten, Boote in der Innenstadt, warme Waffeln und heiße Pommes frites.
Wissenswertes
Der Flug mit Austrian Airlines (austrian.com) von Wien nach Brüssel dauert eineinhalb Stunden, danach geht es mit dem Zug in eineinhalb Stunden weiter nach Brügge. Alternativ dauert die Zugfahrt von Wien mit den ÖBB (oebb.at) rund 13 Stunden.
Die Wasseroberfläche am Rozenhoedkaai ist spiegelglatt. Die Luft riecht so neu, wie sie es nur am Morgen tut. Und auf dem Kopfsteinpflasterplatz ist es noch ruhig, als wir uns dem kleinen Holzstand nähern, der die Bootstouren anbietet.
Das Café gleich daneben, aus dessen offener Tür das Zischen und Pfauchen der Kaffeemaschine dringt, trägt den passenden Namen Klein Venetië, Kleines Venedig.
Und so wird ja auch Brügge gerne genannt: Venedig des Nordens. Wie die italienische Stadt von ruhigen Kanälen durchzogen und Dutzenden Brücken geprägt, hebt sich die westflämische Hauptstadt markant von ihrem mediterranen Vorbild ab.
Spiegeln sich in den Grachten von Brügge doch keine pastellfarbenen, filigranen Palazzi, sondern eindrucksvolle, mittelalterliche Zinnen, mystische, gotische Backsteinbauten und die verspielten Treppengiebel der Stadthäuser.
Diese sind so hoch und schmal gewachsen, dass man glauben könnte, sie würden sich zum Schutz aneinanderkuscheln.
So wunderbar harmonisch und historisch ist die Komposition dieser Altstadt, dass die UNESCO in einer seltenen Entscheidung, die gesamte Innenstadt zum Weltkulturerbe erklärte. Und das wollen viele genauer sehen.
Kopf einziehen, Augen auf
Das flache Ausflugsboot, das beim Einsteigen leicht schwankt, ist beim Betreten noch menschenleer. Doch keine 15 Minuten später haben sich so viele Mitfahrende gefunden, dass der Kapitän seine Kappe tiefer in die Stirn ziehen kann und den Motor anwirft. Gemächlich zieht man dann vorbei am backsteinroten Zunfthaus der Gerber, an der Liebfrauenkirche oder am Sint-Janshospitaal, einem der ältesten Spitäler Europas.
Man kann die Spitze des imposanten Belfried ausmachen, der heute noch eindrucksvoll wirkt und im Mittelalter Ehrfurcht erzeugt haben muss. Damals, als Brügge durch seine Nähe zum Meer und durch seine zentrale Lage in Europa zu einem der wichtigsten Handelszentren des Kontinents wurde.
"Die Belgier", erzählt der Bootsfahrer während des Ausflugs auf dem Wasser, "hatten immer schon eine Vorliebe für Fisch. Sie haben schon im 17. Jahrhundert kleine Fische frittiert. Aber dann" – er hält kurz inne und weist die Fahrgäste an, den Kopf einzuziehen, weil die bevorstehende Brücke so niedrig ist, dass man sich schnell die Stirn anschlägt – "dann", fährt er auf der anderen Seite der Brücke fort, "kamen ein paar harte Winter. Das Wasser fror zu und die Belgier konnten nicht fischen. Aber auf ihren Snack wollten sie deswegen nicht verzichten. Was haben sie also gemacht? Sie haben einfach Kartoffeln in Fischform geschnitten und diese frittiert. Voilà!" Er grinst. "Und so kam es, dass die Belgier, die Pommes erfunden haben."
Diese Anekdote ist nicht ganz unangefochten; Spanien, Frankreich und Amerika beanspruchen die Erfindung der frittierten Erdäpfelschnitze ebenfalls für sich. Aber zumindest eine Innovation in Bezug auf diese Speise können sich die Belgier dennoch auf die Fahnen heften. Dafür muss man vom Rozenhoedkaai, auf dem es mittlerweile wuselt, bloß die ebenfalls geschäftige Wollestraat entlanggehen. Man muss den Grote Markt mit dem Belfried passieren – dessen 366 Stiegen sollte man später unbedingt für eine Stadtübersicht erklimmen.
Pommes-Museum
Nach wenigen Gehminuten auf der Vlamingstraat findet man linker Hand den Eingang zum Frietmuseum, dem welteinzigen Museum für Pommes frites. Hier lernt man, wie Erdäpfel vor 10.000 Jahren in Peru entstanden sind oder wie man die besten Pommes macht: Dazu muss man sie zuerst ein paar Minuten bei geringerer Temperatur (160 Grad) frittieren, sie abtropfen und abkühlen lassen, bevor sie ein zweites Mal, nun bei höherer Temperatur (180 Grad), in Rinderfett gebadet werden.
"Hört ihr das?!, sagt später ein Straßenverkäufer und deutet, sich vorzulehnen, "wie die Pommes miteinander plaudern, wie sie singen? Daran erkennt man, dass sie fertig sind." Die Pommes, die man dann erhält, sind so heiß, dass sie einem durch die Spitztüte die Finger verbrennen, sie sind außen knusprig und innen weich. Perfekt.
Pommes naschend geht es weiter durch die Innenstadt und dabei fällt auf: In den Schaufenstern der kleinen Boutiquen werden weniger Souvenirs, Accessoires oder Bücher ausgestellt. Stattdessen sind sie gefüllt mit Pralinen, Trüffeln oder warmen Waffeln, mit Brügger Karamellen, Palatschinken oder mit Schokolade überzogenen Früchten. Sogar auf der Gasse duftet es nach warmer Butter und Kakao, nach Zimt und Vanille. Man sollte also schon deshalb mindestens ein langes Wochenende hier bleiben, um sich an allen Köstlichkeiten zu laben.
Süßes Glück, von Michelin prämiert
Auf der Nummer 19 des Simon Stevinplein kommt sogar die Häuserfront in Schokoladebraun: The Chocolate Line, geführt von der Familie Personne, ist eines jener drei herausragenden Schokogeschäfte der Stadt, die sogar im Michelin Guide angeführt sind.
Wenn man durch die Eingangstür tritt, landet man nicht sofort im Verkaufslokal, sondern in einem Gang mit Glaswänden, durch die man Einblick in die Pralinenherstellung erhält. Am hinteren Ende zupft eine Chocolatière gerade kleine Stücke Marzipan vom Blech, rollt sie zu Kugeln, die durch ihre kakao-bestäubten Hände eine feine dunkelbraune Ummantelung erhalten.
Am langen Verkaufstresen linker Hand warten dann runde und längliche Pralinen, welche mit Schokoladenüberzug oder mit Nüssen verziert sind, Konfekt in einfacher Kugel- oder ausgefallener Form: ein Kussmund, ein Landrover, ein Buddha.
Neben Haselnuss oder Milchschokolade kann man auch zwischen ausgefalleneren Geschmäckern wie Wasabi, knusprigem Speck oder Matcha Tea wählen. Aber dann muss man als Chocolatier im Land der Praline natürlich sein Können unter Beweis stellen. Immerhin befindet sich nur einen Steinwurf entfernt die Filiale des Erfinders: Neuhaus Chocolate.
Jean Neuhaus lebte im 19. Jahrhundert und war Schweizer. Er wollte Arzt werden, aber scheiterte am Medizinstudium, weil er den Anblick von Blut nicht ertragen konnte.
Die Erfindung der Praline
Schlussendlich ließ er sich in Brüssel nieder und eröffnete eine Apotheke. Um seine Kunden zu erfreuen, beschloss er – und vielleicht hat sich P. L. Travers beim Schreiben ihres Buchs über ein zauberhaftes Kindermädchen davon inspirieren lassen – Medizin zu versüßen: Er überzog die Pillen mit Schokolade. Ein Hit! Und sechzig Jahre später erkannte dann sein Enkel, dass man diese Idee auch für jene ausweiten könnte, die keine Medikamente benötigten. Statt mit Medikamenten füllte er die Schokokugeln mit Süßem: Die Praline war geboren.
Essen, trinken, naschen, Kultur und Kunst
Die Schokolade und zuvor die Pommes, die Bootsrundfahrt und der Stadtspaziergang haben durstig gemacht. Und so geht es nun Richtung Süden. Vorbei an der majestätischen Sint-Salvatorskathedraal, die mit ihren Wandteppichen, ihren mittelalterlichen Gräbern und den Gemälden der Primitifs flamands lockt – das sind jene Maler, die im 15. Jahrhundert Brügge zu künstlerischen Höchstformen auflaufen ließen.
Es geht vorbei an der Liebfrauenkirche, deren 115,5 Meter hoher Turm zu den höchsten Kirchtürmen der Welt zählt, und in dessen Kirchenschiff man ein weltbekanntes Meisterwerk findet: Michelangelos Madonna mit Kind.
Relevantes Wissen
… einen Windbreaker, damit einem auf der Bootstour in Brügge, die es nicht zu verpassen gilt, nicht kalt wird.
… eine Blechdose, in der sich die Schokopralinen, für die Brügge berühmt ist, sicher transportieren lassen.
… ein Zeichenbuch, um die malerische Stadt wie die flämischen Primitiven in Skizzen festzuhalten.
Bier-Pipeline: Eine unterirdische Premiere
Und dann sticht einem auf der Walplein ein vergoldetes Halbmondgesicht ins Auge. In De Halve Maan (dt. die Mondsichel) wird seit einem halben Jahrtausend Bier gebraut. Immerhin seit 1856 wird es von einer Familie, den Maes, geführt. Ihnen gelang 2016 eine Weltpremiere: Sie eröffneten die erste Bier-Pipeline. Damit keine Bierwägen mehr durch die Altstadt rumpeln müssen, wurden Rohre bis zu 34 Metern tief unter die Altstadt gelegt. Stündlich fließen hier nun 4.000 Liter Bier von der Brauerei zur Abfüllstation.
Die am häufigsten ausgeschenkte Sorte: ein würzig-herbes Bier, das Noten von Bananen, Getreide und Steinfrüchten trägt. Brugse Zot. Ein Name, der in einer schrägen Verkettung an Ereignisse auf Österreich zurückgeht.
Die Narren von Brügge
Als 1482 Maria von Burgund 25-jährig bei einem Reitunfall in Brügge verstarb, übernahm ihr Ehemann, Kaiser Maximilian von Österreich. Doch Maximilian, so erzählt man sich gerne, konnte die Stadt, die ihm seine Frau genommen hatte, nicht leiden. Er brummte ihr also hohe Steuern auf. Das wiederum machte die Bewohner von Brügge wütend. Als Kaiser Maximilian 1488 zu Besuch kam, rebellierten sie und steckten Maximilian für drei oder vier Monate (die Zahl variiert) in eine Gefängniszelle.
Nach Maximilians Freilassung organisierten die Brügger dann ein Fest, um ihn zu ehren und vor allem, um ihn zu besänftigen. Sie sollen die Gelegenheit aber auch genutzt haben, um eine neue Nervenheilanstalt für die Stadt zu beantragen. Doch Maximilian wandte ein, dass man dafür einfach die Stadttore schließen müsse. Es gebe doch bereits so viele Narren in der Stadt.
Seit diesem Tag nennen sich die Bewohner auch die Narren von Brügge, oder, auf Flämisch, Brugse Zot.
Kurioses Fakten
… die Belgier die Pommes frites erfunden haben wollen? Die Belgier liebten frittierte Fische; in fischarmen Wintern nahmen sie Erdäpfel als Ersatz.
… sich um die Schwäne dunkle Legenden ranken? Kaiser Maximilian soll Brügge im 15. Jahrhundert befohlen haben auf ewig 101 Schwäne zu halten.
… es in Brügge die erste Bier-Pipeline der Welt gibt? Sie führt von der Brauerei De Haalve Maan zur Abfüllstation; das verhindert Bierwägen in der Stadt.
Kaiser Maximilian ist dann noch einmal Begleiter beim Abendessen. Das Lokal am Wijngaardplein mit den robusten Ziegelwänden und der dunklen Holzdecke heißt "Maximiliaan Van Oostenrijk". Hier bekommt man typisch belgische Gerichte, wie Stoofvlees, ein mit Bier abgelöschtes Rindsgulasch oder Muscheln und einen Blick auf ein besonders niedliches Stück Kanal, auf dem sich die Schwäne tummeln.
Und auch die gehen in einer Legende auf Kaiser Maximilian zurück. Die verärgerten Brügger hatten während Maximilians Inhaftierung nämlich seinen Steuereintreiber Pierre Lanchals – den sie als Langhals verspotteten – hingerichtet. Maximilian wollte sicher gehen, dass sich die Brügger für immer an Lanchals erinnern würden. Also ordnete er der Stadt an, auf alle Ewigkeit zumindest 52 Schwäne – oder auch: Langhälse – auf dem Wasser zu halten.
Eine Forderung, die die Brügger bis zum heutigen Tag ernst nehmen. Ein bisschen vielleicht auch, weil sie das Bild der romantischen Stadt so wunderbar ergänzen.
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