Der Turm von St. Rombouts
Belgien

Imperiales Mechelen: Warum die flämische Stadt unterschätzt wird

Mechelen in Flandern ist vielleicht nicht so berühmt wie seine Schwestern Gent und Brügge. Dafür bietet es mehr Gelassenheit, mehr Melodien und eine alte Verbindung zu Österreich.

Das Glockengebimmel? Hannah, die Kuratorin des örtlichen Stadtmuseums, wirkt fast erstaunt über die Frage des Gasts aus Österreich: „Ach, die hören wir schon lange nicht mehr.“

Verständlich, immerhin begleiten diese Glocken die Stadt Mechelen seit fünfhundert Jahren. Die Hauptstadt des Glockenspiels nennt man sich stolz – und das in einer Region, in der dieses Glockenspiel erfunden wurde. Ob in Holland, oder hier, im benachbarten Flandern in Belgien, darüber ist man sich dies- und jenseits der Grenze nicht einig. Und wenn es doch die Holländer waren? „Dann kommt wenigstens einmal etwas richtig Schönes von denen da oben“, gönnt sich ein Mechelener Lokalpatriot eine böse Bemerkung über die Nachbarn im Norden.

Der prächtige Renaissancehof des Stadtmuseums

Der prächtige Renaissancehof des Stadtmuseums (o.), das Geschichte heute multimedial erzählt.

©Visit mechelen

Über die Rivalität mit den Holländern

Für die hat man hier ohnehin eher böse Witze und ein paar nicht so nette Kosenamen parat. So sehr Sprache, Esskultur und die Pracht der Bauten aus der Renaissance einandern ähneln mögen: Die „Kaaskopjes“, also Käseköpfe, gelten in Flandern eher als ungeliebte Verwandtschaft. Also müssen sie auch für Vergleiche herhalten, wenn man in Flandern die eigene Lebensart lobt. Ist nicht die flämische Küche – auch dank der Franzosen, die hier lange den Ton angaben – viel raffinierter? Ist man hier nicht humorvoller und entspannter und vor allem: Braut man nicht das viel bessere Bier?

Sollen es doch ruhig die Holländer erfunden haben, in Mechelen pflegt man die Tradition der Glockenspiele bis heute. Ob früh oder spät, ob im Sonnenschein oder im für Belgien typischen überfallsartigen Regenguss: Ihre Melodien begleiten einen durch die Stadt. Sieben davon gibt es und nach einem ausgetüftelten System melden sie sich abwechselnd, aber garantiert mehrmals pro Stunde. Eine Extradosis von diesen silbrigen Klängen gibt es bei Konzerten am Wochenende, wenn die jungen Meister aus der örtlichen Glockenspiel-Schule vorführen, was man diesen technischen Wunderwerken entlocken kann.

Dem Wunderwerk in die gusseisernen Eingeweide schauen

Ganz oben, in der Glockenkammer des Kirchturms von St. Rombout, kann man dem größten dieser Wunderwerke in die gusseisernen Eingeweide schauen. Was da an Walzen, Zahnrädern und Blattfedern in klingende Bewegung gerät, lässt einen noch heute über die Handwerksmeister staunen, die das zu Beginn der Neuzeit, also vor einem halben Jahrtausend, ausgetüftelt haben.

Reich, mächtig, modern

Diese Mechaniken erzählen viel mehr als Technikgeschichte, sie lassen uns einen Blick werfen in eine Zeit, in der diese Region die reichste, mächtigste und modernste Europas war. Burgund hieß das Herzogtum, das damals ganz Europa und den Orient mit seinen Stoffen, seiner Mode, aber auch den Waffen aus seinen Schmieden versorgte – und dabei wurde es sehr reich.

©Grafik

Kein Geld zum Reisen

So reich, dass man sich – aus Titelgründen – einen Kaisersohn aus Österreich zum Heiraten importierte. Der hieß Maximilian, war ein Habsburger, und weil sein Vater nach ein paar elend verlorenen Kriegen nichts mehr hatte als den Kaisertitel, schickte er den Sohn zum Heiraten nach Burgund. Der Brautvater musste aber zuerst das Fahrgeld für den Prinzen nach Österreich schicken, so leer war dort die Kasse.

Habsburgerin Margarete auf einem Graffiti in Mechelen

Die Habsburgerin Margarete taucht sogar auf einem Graffiti in der Altstadt auf

©Konrad kramar

Maximilian blieb nicht lange, seine Tochter Margarete aber lebte und regierte in Mechelen. Sie verhalf der Stadt zu einem Aufschwung, zu einer kulturellen Blüte, der man heute noch an jeder Ecke in der Altstadt begegnet. Obwohl weniger bekannt als die Tourismusmetropolen Brügge und Gent, zeigt auch Mechelen die ganze Pracht der „burgundischen Renaissance“. Und weil man dabei nicht ständig großen Reisegruppen aus den USA oder China Platz machen muss, kann man die Kirchtürme, die Fachwerkhäuser und das natürlich lokal gebraute Bier in viel mehr Ruhe genießen.

  • Anreise Per Nachtzug nach Brüssel, von dort im Regionalzug nach Mechelen (30 Min.), oebb.at
  • Essen Gemüse und Kräuter aus der Region verpackt in  moderne flämische Küche in einer alten Werkstatt. het-bestek.com
    Schlafen Das Patershof, eine gotische Kirche als Boutiquehotel, mit Säulen im Zimmer und dem Altar im Frühstücksraum. martinshotels.com
  • Auskunft  visitflanders.com/de

Mechelen war lange Zeit ein Stiefkind

Mechelen war lange das Stiefkind unter den historischen Städten Flanderns. Zu viel Industrie, die nur noch Schmutz und keine Arbeitsplätze mehr brachte, viel schlecht gemanagte Zuwanderung, die noch mehr soziale Probleme brachte.

Doch all diese Probleme ist die Stadt in den vergangenen Jahren konsequent angegangen – mit Erfolg, den man hier an jeder Ecke sieht. Nicht umsonst ist Bürgermeister Bart Somers gern gesehener Gast in TV-Talkshows (er hat auch schon dem KURIER ein Interview gegeben). Der liberale Politiker steht für eine Integration, die Zuwanderer fördert, sie aber auch fordert.

Viel hat sich getan

Die Stimmung in der Stadt hat sich gedreht, neue Unternehmen sind da, neue Restaurants und neue Bewohner, die aus Brüssel hierher ins friedliche Mechelen gezogen sind. Das Stadtmuseum ist entstaubt und erzählt heute multimedial von der flämischen Renaissance. Jener Zeit also, in der eine Habsburger-Herzogin hier die Neuzeit einziehen ließ. Ob die Glockenspiele damals auch schon so viele Melodien zu bieten hatten? Egal, nach ein paar Stunden in diesen alten Gassen bemerkt man auch als Tourist das fröhliche Gebimmel kaum noch.

Konrad Kramar

Über Konrad Kramar

Erfahrungen, europa- und weltweit, hat Konrad Kramar in seinen Jahren als Auslandsreporter mehr als genug gesammelt. Jetzt berichtet er als Korrespondent für den KURIER aus dem Machtzentrum der EU, aus Brüssel und kann genau dieses Wissen aus seinen Jahren als Reporter bestens einsetzen: egal ob es um Krieg in Nahost, Bauernproteste, oder die Chancen und Gefahren der neuen Gentechnik geht. Eine ganze Handvoll Fremdsprachen - inklusive einem allmählich immer besseren Französisch - ist da durchaus hilfreich Als langjähriger Amerikaexperte hat er die USA von den schwarzen Ghettos in LA bis zu den Villenvierteln in Boston bereist, US-Eliteunis und Armeebasen von innen kennen gelernt: Die USA waren für Auslandsreporter Konrad Kramar immer ein Land, an das er sein Herz verlieren konnte - trotz Antiterrorwahn, Trump und religiöser Fanatiker. Mehr als 20 Jahre war er vor dem für den KURIER unterwegs, vom Iran bis nach Spanien oder Tschechien, begleitet von langjähriger Erfahrung mit Krisen und Katastrophen. Als Buchautor wirft er lieber einen Blick in die heimische, oder auch die europäiche Geschichte, etwa in Büchern wie "Die schrulligen Habsburger", "Mission Michelangelo", oder "Neue Grenzen, offene Rechnungen"

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