Das Disneyland der Liechtensteiner

Tempel, Schlösser, Minarett: Die „grenzenlose Liechtensteinregion“ liegt in Niederösterreich und Tschechien

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Die Liechtensteiner hatten eigentlich nie vor, in Liechtenstein zu residieren. Dort gab es ja nur Bauerndörfer. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erstreckte sich ihr „Reich“ sechzig Kilometer nördlich von Wien über Landesgrenzen hinweg, es lag zum Teil in Niederösterreich, zum Teil in Mähren. Es war ein Juwel – und ist es noch heute: Aus der Vogelperspektive gleicht das Gebiet der Grafik eines geschliffenen Diamanten. Denn die Schlösser, Burgen und Attraktionen sind mit kerzengeraden Straßen miteinander verbunden. Man sollte sich zumindest zwei Tage Zeit nehmen und die Gegend am besten mit dem Rad erkunden. Man wird aus dem Staunen nicht herauskommen.

Der Stammsitz der Liechtensteiner war zunächst die Burg in Maria Enzersdorf südlich von Wien. Sie wurde mit lichten Steinen auf einem ungewöhnlich schmalen Felsen erbaut und wirkt so, wie man sich eine Ritterburg vorstellt. Kein Zufall daher, dass sie schon in mehreren Filmen als Kulisse diente, etwa in „Die drei Musketiere“ mit Charlie Sheen.

©Grafik

Mitte des 13. Jahrhunderts unterstützten die Liechtensteiner den böhmischen König Ottokar II. Přemysl, im Gegenzug erhielten sie die Herrschaft Nikolsburg (Mikulov), sieben Kilometer nördlich von Drasenhofen, als Geschenk. Nach Zwistigkeiten mit den Habsburgern zog sich das in Ungnade gefallene Adelsgeschlecht Ende des 14. Jahrhunderts dorthin zurück. Da man die Ländereien südlich der Donau verloren hatte, kaufte man neue im nördlichen Niederösterreich, darunter 1436 die gotische Burg Wilfersdorf, die mit der Zeit zu einem einst prächtigen Barockschloss umgebaut wurde. Heute steht nur mehr der Westflügel, die Einrichtung ist nicht berauschend. Aber es gibt dort den Teil des fürstlichen Weinguts, das für den Liechtensteiner Wein derzeit immer berühmter wird (siehe Info).

In Sichtweite der Nikolsburg (in Südmähren) lag das reizvolle Feldsberg (damals Teil von Niederösterreich, heute Valtice in Tschechien), das auch den Liechtensteinern gehörte: Sie bauten die Burg zunächst zu einem Renaissanceschloss aus und übersiedelten. Fortan war Feldsberg ihr Hauptsitz – auch über die Gründung des Reichsfürstentums Liechtenstein im Jahr 1719 hinaus: Die Herrschaft Schellenberg und die Grafschaft Vaduz waren nur erworben worden, um im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation politisch mitmischen zu können.

©Thomas Trenkler

Eine Zäsur bedeutete 1919 der Friedensvertrag von Saint-Germain: Niederösterreich hatte einen Landstreifen – mit Feldsberg – an die Tschechoslowakei abzutreten. Der Vorteil, wenn man so will: Die Grenze zwischen Mähren und Niederösterreich verlief nicht mehr durch das riesige Areal der Liechtensteiner und damit nicht mehr durch ein klassizistisches Schloss bei Hlohovec (Bischofswarth). Die gesamte „Kulturlandschaft“ – von Mikulov bis Břeclav (Lundenburg) und von Valtice bis nördlich von Lednice (Eisgrub) – mit dem künstlich angelegten See Nesyt inmitten war Teil eines Staates.

©Thomas Trenkler

Schlosstheater als Scheune

1943 ahnten die Liechtensteiner, wie der Zweite Weltkrieg ausgehen würde. Sie packten ihre Schätze und flüchteten. Dann folgten Tage der offenen Tür, sprich: Plünderungen durch die Bevölkerung. Die Russen nutzten das Schloss als Lazarett. Und bei der Umsetzung der Beneš-Dekrete machte die ČSSR keinen Unterschied zwischen den verhassten Deutschen und Liechtensteinern: Alle wurden enteignet. Dass der Fürst die Rückgabe der Ländereien und Schlösser fordert und den Internationalen Gerichtshof angerufen hat, verwundert nicht weiter.

Im Kommunismus wurde das Schlosstheater als Scheune genutzt, doch die Tschechen brachten das Areal wieder in Schuss, zusammen mit Niederösterreich riefen sie die „grenzenlose Liechtensteinregion“ aus. Sie ist es ja auch: Da wie dort gibt es Weinhänge. Wer die Straße von Schrattenberg nach Valtice fährt, wird als erstes Bauwerk der Liechtensteiner auf eine prächtige Gloriette stoßen, 1810 von Joseph Hardtmuth entworfen.

Von dort sieht man hinunter auf das Schloss, Ende des 18. Jahrhunderts im Barockstil ausgebaut. Eine Besichtigung lohnt nicht nur wegen der prächtigen Kapelle: Die Enfilade mit neun Zimmern misst achtzig Meter; eine längere gibt es nur in Schloss Schönbrunn. Die Liechtensteiner waren den Habsburgern zwar treu ergeben (man stößt auf Porträts von Franz Joseph und Sisi, die 1876 zu Gast waren), aber immer im Wettstreit mit ihnen: Im Gegensatz zum konservativen Kaiser setzten sie auf Innovationen. Bereits 1903 ließen sie ihr Schloss elektrifizieren und einen Lift einbauen. In Feldsberg gründeten sie zudem die erste Weinbauschule der Monarchie.

©Thomas Trenkler

Und sie schufen sich ein Disneyland im Stil des Historismus mit Schlössern, Diana-Tempel, Belvedere – und mit einem Triumphbogen mitten im Wald (als Überraschung für die Jagdgesellschaft). Eine Allee führt zur Sommerresidenz in Lednice, Mitte des 19. Jahrhunderts im Windsor-Stil errichtet. Im „Blauen Salon“ fanden die Bälle statt (dafür war das Palais in der Wiener Bankgasse ungeeignet), gleich daneben liegt das sensationelle Palmenhaus. Es ist zwar kleiner als jene des Kaisers in Wien, aber älter.

Es gibt auch ein Palais für die Pferde (mit Marmortrögen), die Reithallen war natürlich viel moderner als die Spanische Hofreitschule der Habsburger. Vom Schloss aus erstreckt sich eine weitläufige Parklandschaft mit der romantischen Hansenburg, einer Aquädukt-Ruine als Wasserfall, einem Obelisken, einem Wasserwerk im arabischen Stil etc.

Der Fürst wollte auch ein neues Gotteshaus bauen lassen, aber die Kirche war nicht sonderlich begeistert. Und so errichtete er zwar keine echte Moschee, aber ein Minarett. Soll noch einer sagen, ein solches passe nicht in unsere Kulturlandschaft!

Was tun in der Liechtensteinregion?

Musikfestival LVHF
Das Lednice Valtice Musikfestival findet heuer zum siebten Mal statt (von 26. August bis 8. Oktober). Bespielt werden  die Reithalle von Lednice, die Hofreitschule von Valtice und das Schloss Pohansko, Thema ist der Balkan.
Sehr empfehlenswerte Unterkunft: das Valtberg in Valtice.

Weingut Wilfersdorf
Seit dem 14. Jahrhundert  wird in Wilfersdorf im Namen der Liechtensteiner Weinbau betrieben. In der „Hofkellerei des Fürsten“ lassen sich die cool-climate Weine verkosten, die durch das kühle Klima und die Lössböden des nördlichen Weinviertels eine feine Säure entwickeln. Führungen im jahrhundertealten Barriquekeller und im modernen Presshaus sowie Verkostungen von Grünem Veltliner, Riesling, Zweigelt (und sehr interessanten Cuvées!) werden nach Voranmeldung ab 20 € angeboten. 

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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