Reise in die Champagne: Hier kommen die Sterne ins Glas
In den Weinbergen und der Unterwelt der Champagne entsteht seit Jahrhunderten prickelnder Wein. Aber auch traditionsreiche Maisons müssen mit der Zeit gehen.
Infos
Vom Pariser Gare de l’Est fährt der Hochgeschwindigkeitszug TGV 40 Minuten bis Reims.
Vom Pariser Flughafen dauert die schnellste Zugfahrt inklusive Umstieg rund 1 Stunde, 5 Minuten.
Mit dem Auto sind es bei wenig Verkehr vom Flughafen nach Reims 1,5 Stunden.
Sie nennen ihren Keller ehrfurchtsvoll die Kathedrale. Und wer die steilen Stufen hinabsteigt, weiß auch, warum. In dem Raum, der sich auftut, lagert nicht nur das Heiligste des Hauses. Hier würde auch schon fast eine Kirche hineinpassen.
Die in den unterirdischen Kreidefelsen geschlagene Anlage ist bis zu 30 Meter tief und acht Kilometer lang. Und darin liegen die Schaumweine von Ruinart, der ältesten Champagnerkellerei der Welt. Hier in der Unterwelt der französischen Stadt Reims gärt der Schaumwein traditionell in der Flasche vor sich hin.
Oben an der Oberfläche war es mit der Stille zuletzt vorbei. Es war, als hätte sich ein Ufo oder vielleicht eine von Elon Musks Raketen zum Start bereitgemacht. Das dachten zumindest die Nachbarn, als plötzlich donnerndes Dröhnen und grelle Blitze vom Gelände des altehrwürdigen Champagnerhauses Ruinart, das seit 1729 existiert, ausgingen. Was konnte das sein?
Champagner, Kunst und Park bei der Maison Ruinart
Die wachsamen Reporter der Lokalzeitung begannen zu recherchieren: Weder landeten hier Außerirdische noch schickte der verrückte Milliardär etwas in die Luft. Ruinart probte für die Showeinlage zur Eröffnung des neuen Besucherzentrums an seiner historischen Adresse in der 4 Rue des Crayères. Dafür hat der japanische Architekt Sou Fujimoto einen neuen gläsernen Pavillon inklusive Bar entworfen, der an die Farbe des Schaumweins und der Champagnerflasche angelehnt ist.
Daneben breitet sich ein Park aus, der ganz der Kunst gewidmet ist. Auf einem Baum wachsen riesige bunte Glasperlen, die an Weintrauben erinnern. Bei einem anderen Objekt erleben Besucher, wie kraftvoll ein Baum das Wasser von den Wurzeln durch den Stamm bis in die Spitzen der Krone verteilt. Um dorthin zu kommen, geht es durch einen Kreidepfad des Landschaftskünstlers Christophe Gautrand, der ein bisschen wie ein Labyrinth wirkt.
Verjüngungskur der Champagnerhäuser
Ruinart ist nicht das einzige Haus in der Champagne, das zuletzt seine Repräsentationsgebäude verjüngt hat. Moët & Chandon hat seine Bar in Épernay im weißen Florida-Stil neu eingerichtet. Taittinger hat seine Repräsentanz in Reims auch aufgehübscht. Es ist etwas Leben in die eher ruhige Stadt gekommen. Man hat sich auf die weltberühmte Kunst, das Leben zu genießen, besonnen. Im Sommer laden die Maisons zur Verkostung unter freiem Himmel. So geht Savoir-vivre.
Das kommt gerade zur richtigen Zeit. Denn im Land der Genießer haben sich die Trinkgewohnheiten zuletzt geändert. Zwar wird Sprudel immer beliebter, doch die Franzosen schwören nicht mehr nur auf Champagner, sie greifen immer mehr zu günstigerem Crémant oder Prosecco.
Park in Reims ist für alle zugänglich
Da ist es nicht schlecht, wenn man bei der Außenwirkung mit der Zeit geht. "Das Moderne hat gefehlt", sagt der Ruinart-Chef Frédéric Dufour. Kunst, Kreativität und Gastfreundschaft sollen den Ort prägen. Und er solle nicht ein Platz für jene sein, die sich das Luxusprodukt Champagner leisten können. Das Gelände ist für die Öffentlichkeit zugänglich. "Wir wollen neben den internationalen Gästen auch die Franzosen ansprechen." Immerhin liegt Reims nur 40 Minuten mit dem TGV von Paris entfernt. "Und dann sollen auch die Menschen aus der Region zu uns kommen."
Kuriose Fakten: Wussten Sie, dass ...
- … sich in einer Champagner-Flasche rund 49 Millionen Bläschen befinden?
- … der Busen Marie Antoinettes die Vorlage für Champagner-Schalen gewesen sein soll? So geht zumindest die Mär. Stimmt aber nicht.
- … Winston Churchill zeit seines Lebens 42.000 Flaschen Champagner getrunken haben soll?
Ein Besuch hier wäre unvollständig, ohne die Kathedrale zu erkunden. Nicht das unterirdische Kellerlabyrinth, sondern die echte. Die Notre-Dame von Reims mit ihren beiden Türmen ist ein Meisterwerk der französischen Gotik und hat schon viel erlebt. In diesem sakralen Raum fanden die Krönungen französischer Könige statt, und Johanna von Orléans führte den Dauphin feierlich zu seiner Zeremonie.
Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer besuchten 1962 gemeinsam eine Messe, um die deutsch-französische Freundschaft zu bekräftigen. Der Künstler Marc Chagall gestaltete drei Fenster und sorgte für farbenprächtige Lichtspiele.
An Épernay, dem Herzen der Champagne, führt kein Weg vorbei. Die Stadt ist ein Muss für Fans des edlen Schaumweins. Besonders die berühmte Avenue de Champagne – ein knapp einen Kilometer langer Prachtboulevard – zieht die Besucher an. Hier reihen sich die großen Namen des Champagners wie Perlen an einer Kette, mit Fassaden, die Geschichten von Luxus und Tradition erzählen.
Tipps für Épernay
An einem Seil wiederum hängt ein Fesselballon am Rande des Städtchens. Der fährt um 16 Euro pro Person rund 150 Meter in die Höhe, damit die Touristen einen weitreichenden Panoramablick bekommen. Wer das Geld lieber in ein Glas Champagner investiert, kann die 237 Stufen des Turms Tour de Castellane erklimmen.
Ob nun mit Muskelkraft oder mit heißer Luft – von oben sieht man in der Champagne Weinberge, soweit das Auge reicht. Sie haben wie auch die Keller und die Champagnerhäuser die Auszeichnung Welterbe erhalten. Da werden die Korken geknallt haben. Zwischen den schier endlosen Weinreben liegen kleine Orte, die noch so aussehen wie kleine Orte. Keine Supermärkte und Fachmarktzentren mit riesigen Parkplätzen.
Dann gibt es schmucke Städte wie Châlons-en-Champagne, das wegen der Marne und vieler Kanäle auch den Namen "Prickelndes Venedig" trägt.
Dom Pérignons Sterne
Ein idyllisches Dorf, in dem es seit Jahrhunderten prickelt, ist Hautvillers, weniger als 10 Kilometer von Épernay und 20 Kilometer von Reims entfernt. Dort steht die Abtei Saint-Pierre, eines der ältesten Benediktiner-Klöster der Welt. Doch dafür ist die Abtei eher nicht bekannt. Eher für den Mönch Pierre Pérignon, genannt Dom Pérignon. Er war hier ab 1668 für die Finanzen und vor allem für den Weinkeller zuständig und gilt immer mal wieder als Erfinder des Champagners.
"Komm schnell, ich trinke Sterne!", soll er einem anderen Klosterbruder nach einem ersten Schluck zugerufen haben. Schöne Geschichte, stimmt aber nicht. Schon die Engländer hatten vor ihm erkannt, dass Wein dank einer zweiten Gärung in der Flasche zu schäumen beginnt.
Aber immerhin verschnitt er verschiedene Weine zum Cuvée. Und er kelterte die roten Traubensorten weiß. Er war der Erste, der den Korken mit Kordeln am Flaschenhals sicherte. Ihm wird auch die 0,75-Liter-Flasche zugeschrieben. Denn diese Menge trinke ein Mann zum Abendessen.
Für die Gärung in der Flasche braucht der Wein Zucker und Hefe. Damit diese nicht zu Boden sinkt und den Champagner trübt, braucht es die Rüttler, die an den Pulten dafür sorgen, dass die abgestorbene Hefe aus den Flaschen kommt. Bis zu 50.000 Flaschen schafft ein guter Rüttler pro Tag.
Doch mittlerweile haben großteils die Maschinen die Arbeit übernommen. Ein Haus wie Ruinart hat nur noch zwei Rüttler. Aber ohne sie wäre so ein Champagner kein sprudelndes Vergnügen. "Nur sie wissen, wie weit die Flaschen gedreht werden dürfen. Dann programmieren sie die Roboter", berichtet die Dame, die durch den Keller führt.
Und dann gehört mit einem Glas Champagner dringend probiert, ob sie ihre Sache auch wirklich richtig gemacht haben. Oder auch mit zwei Gläsern.
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