Schleudersitz Chefdesigner: Wer im Modezirkus jetzt das Sagen hat

Demna soll Gucci retten, auch bei Versace und Chanel wird alles neu. Der Druck auf die Designer ist groß wie nie. Warum?

Verkauft das altehrwürdige Gucci bald Handtaschen im Chipssackerl-Style? Versucht die Marke von nun an, den Luxusmarkt mit originellen Spaßideen aufzurütteln, indem man Handtuch-Röcke entwirft oder Müllsackerl-Models über den Laufsteg in Mailand schickt? 

All das hat ein begnadeter Kreativkopf und Selbstinszenierer öffentlichkeitswirksam bei der Edelmarke Balenciaga in die Tat umgesetzt: Zehn Jahre lang hat der georgische Designer Demna (siehe Artikelbild) das hochfeine Haute-Couture-Haus gerockt und dort einen deftigen Streetstyle lanciert, der Balenciaga aber zu steigenden Verkäufen und neuen Höhenflügen verhalf. 

Knieschlottern bei Gucci

Entschlossen setzte er auf XXL-Outfits: überdimensionierte Jacken, Kasten-Taille, immens weite Ärmel und generell die Eliminierung der weiblichen Silhouette – und etablierte seinen Stil weltweit. Da sorgte diese Nachricht doch für ein überraschtes Raunen: Demna als der neue Kreativdirektor, pardon: Artistic Director, von Gucci. 

In der italienischen Modemetropole schlottern manchen jedenfalls schon die Knie: Demna ist ja berüchtigt für seine Schuhentwürfe, etwa klobige Sneaker, zerschlissene Turnschuhe, Barfuß-Schuhe. Was, gottverdammt, wird der Designer da womöglich mit dem legendären Gucci-Loafer (wienerisch: Schlüpfer) im Schilde führen? 

Diesem Flaggschiff traditionsreichen Designs und hochwertiger Handwerkskunst, mit dem man am Sonnenplatzerl beim Cappuccino im Caffè sitzend (womöglich unbesockt) den Italiener in sich al dente bräunen ließ? Hält Gucci das aus?

Der Druck, dem die Chefdesigner der großen Häuser derzeit ausgesetzt sind, ist riesig.

Juergen Christian Hoerl, österreichischer Modedesigner

Aktienkurs im Sinkflug

Das wird sich weisen. Klar ist jedenfalls: Mit seinem Überraschungscoup signalisiert der italienische Markenkonzern seinen klaren Willen, das Ruder auch mit Gewalt herumzureißen. Denn die Zeichen, und gemeint sind damit: die Zahlen, stehen schlecht bei Gucci: Um 23 Prozent ging der Umsatz im Vorjahr zurück. Da schrillten in der Chefetage des Kering-Konzerns die Alarmglocken. 

Also, neuer Designer, neues Glück? Vorerst nicht. Die Börse nahm das Demna-Engagement gar nicht gut auf, man könnte auch sagen, schockiert. Die Aktien von Kering sanken um 15 Prozent, auf den tiefsten Stand seit acht Jahren. Insgesamt stecken viele Luxuslabels tief im Abwärtsstrudel – und das beflügelt das große Designer-Karussell. Das dreht sich nämlich stark wie nie zuvor.

Hochsensible Märkte

"Der Druck, dem die Chefdesigner der großen Häuser derzeit ausgesetzt sind, ist riesig", erklärt der österreichische Modemacher Juergen Christian Hoerl, der mit seinem Salon am Opernring logiert. "Alle Marken hadern derzeit mit ihrer Identität, die Krisen und Rezessionen der vergangenen Jahre haben alles verändert. Deshalb gibt es viele Rochaden und Neupositionierungen."

Siehe Sabato de Sarno, der bei Gucci nach nur zwei Jahren und sechs Kollektionen gehen musste. Wer nicht liefert, wird gefeuert. Die Zeiten, in denen Yves Saint Laurent oder Karl Lagerfeld über Dekaden ihre Häuser prägten, scheinen vorbei. Heute ist der Erfolgskurs von Modemarken fragiler denn je, reagieren diese hochsensibel mit Schwankungen auf sich verändernde Umstände. 

Politische Krisen, Konsummüdigkeit, Märkte im Wandel (China) oder unsagbare Kreativunfälle (Balenciagas Bondage-Kinder-Kampagne) sind schwer berechenbare Einflussfaktoren. Gleichzeitig ist die Mode eine Branche, die enorme Dynamik verlangt, weil der Zeitgeist wankelmütig ist und sich die Spieler ständig bewegen müssen, da das Publikum und die Käufer sich schnell gelangweilt fühlen.

Schwere Aufgabe bei Versace

Auch bei Versace brennt der Hut. Donatella Versace, die 1997 das schwere Kreativ-Erbe ihres ermordeten Bruders Gianni antrat, führte das Label zwar erfolgreich weiter. Doch auch bei Versace gingen die Umsätze zuletzt zurück. Jetzt brauchte es neue Akzente. Für die soll der relativ unbekannte Italiener Dario Vitale sorgen, bis Jänner noch für Miu Miu zuständig, die junge Linie von Prada, wo er seit 2010 tätig war und auch lange unter der legendären Miuccia Prada arbeitete (Miu Miu war ihr Spitzname als Kind). 

Soll Versace retten: Designer Dario Vitale (links)

©Getty Images for Miu Miu/Arnold Jerocki/getty images

Das hippe Label war in den vergangenen Jahren ein Wunderkind der Branche: Wo anderswo die Umsätze sanken, stiegen hier die Verkäufe rasant an. Das dürfte „Mrs. Prada“ zu verdanken sein, aber auch zu einem guten Teil Vitale. 

Outfits wie 2022 Minirock und dazu Minipulli oder die ultrakurzen, strassbesetzten Höschen im Furor des No-Pants-Looks 2023 gingen viral. All das sorgte für steigende Umsätze. Ein Effekt, den man sich nun auch bei Versace erhofft. Der Umbruch ist gewaltig. Und der Erwartungsdruck, der auf Vitales Schultern lastet, sicher riesig.

Aufs Team kommt es an 

Aber die Herausforderungen, denen Designer sich stellen müssen, sind auch so schon groß genug. Bis zu sechs Laufsteg-Kollektionen pro Jahr müssen sie je nach Modehaus liefern, von Frühjahr/Sommer über Herbst/Winter bis Cruise-Kollektionen und Haute-Couture. Zeit zum Durchschnaufen bleibt da keine. Und ohne ein stramm organisiertes Team hochbegabter Helferhände ist das nicht zu schaffen.

"Mode kann man niemals alleine kreieren", weiß Juergen Christian Hoerl. "Da kannst du so tolle Ideen haben, wie du willst – wenn niemand sie umsetzen kann, bist du zum Scheitern verurteilt." Das beginnt beim Design, zieht sich bis zur Vermarktung. Erfolg hat viele Helfer.

Doppelbelastung

Und längst rücken auch die heimlichen Stars hinter den Kulissen immer mehr ins Rampenlicht. Wie wichtig und einflussreich etwa eine Stylistin wie Lotta Volkova für Demna bei Vetements und Balenciaga sowie für Miu Miu war, wird offen gehandelt.

Ein loyales Team, das dem Kreativkopf den Rücken stärkt – das benötigt wohl auch Glenn Martens, der sich einer Mammut-Aufgabe stellt. Der Belgier geht gleich bei zwei Labels vorneweg: Seit Jänner ist er Nachfolger von John Galliano und damit neuer Chef-Couturier von Maison Margiela, gleichzeitig führt er seit 2020 die kreativen Geschicke von Diesel

Verhalf Diesel zum Comeback: der Belgier Glenn Martens

©Oliver Hadlee Pearch, Courtesy by Diesel

Das Image der gut bekannten Jeansmarke war etwas angejahrt. Martens, nach dem Modestudium bei Jean Paul Gaultier, machte sie wieder sexy und verhalf ihr zum Comeback. Sein gepriesenes Schaffen für Y/Project fand im September des Vorjahres ein Ende, weil das Label zusperrte. 

"Ich habe jahrelang mit Glenn zusammengearbeitet, sein Talent gesehen und weiß, wozu er fähig ist", lobte Konzernchef Renzo Rosso. „Glenn ist ein Couturier, kein bloßer Designer. Jedes einzelne Stück erzählt eine Geschichte.“ Gleichzeitig bringt Martens mit seinem Faible für Dekonstruktion ein gewisses Genie-Flair ein, er mag große Shows – alles, was die Medien lieben.

Chanel: Der neue Lagerfeld? 

Gleichzeitig erfüllt er die modernen Anforderungen an Designer ganz gut. „Mode ist immer in Bewegung", erläutert Hoerl. "Die Designer stehen vor der Herausforderung, einerseits der starken Identität eines Hauses gerecht zu werden, andererseits sollen sie das Rad jedes Jahr neu erfinden."

Wem das perfekt gelungen sei, war Karl Lagerfeld mit der modernen Ikonisierung von Chanel. "Es geht darum, die Tradition gut zu repräsentieren, in aller Munde zu sein, gleichzeitig aber auch die Shareholder zufrieden zu stellen", so Hoerl. Nachsatz: "Das gelingt den wenigsten."

Soll Chanel wieder unverwechselbar machen: Matthieu Blazy

©REUTERS/ALESSANDRO GAROFALO

Vor der Aufgabe, quasi die eierlegende Wollmilchsau zu geben, wird auch er stehen: Matthieu Blazy. Vergangenen Dezember wurde der französisch-belgische Designer zum neuen Kreativchef von Chanel ernannt. Die höheren Weihen für diesen Job holte er sich durch seine Performance bei Bottega Veneta, wo er seit 2020 mitmischte.

Damit sollte Chanel auch wieder eine markantere eigene Handschrift erlangen, immerhin war nach dem plötzlichen Abgang von Virginie Viard vorigen Juni ein anonymes Designteam für die Entwürfe zuständig. "Ich fühle mich geehrt", vermerkte Blazy.

Es braucht mehr Frauen

Ähnlich würde wohl auch das Statement von Jonathan Anderson lauten, wenn er – so will es schon lange die Gerüchteküche – zum Chefdesigner von Dior ernannt wird. Die Türen stünden dem Briten offen, das spanische Modehaus Loewe, dem er zu neuer Relevanz und Coolness verhalf, hat er nach elf Jahren bereits verlassen. Dort ist ihm eben das Duo Jack McCollough und Lazaro Hernandez nachgefolgt. Was auch erwartet wird: Daniel Lee, noch bei Burberry – aber bald Kreativchef bei Jil Sander?

In dieser Männer-Menagerie sticht ein Name hervor: Louise Trotter. Als neuer Boss bei Bottega Veneta bekleidet also nach einer Ewigkeit wieder eine Frau die Spitze eines italienischen Modehauses. In der Luxussparte wird das auffällig wenigen Frauen ermöglicht. Die Modewelt darf gespannt sein, was Trotter daraus macht. Einen guten Namen hatte sie bereits in der Branche. Jetzt gilt es, ihn auch weltbekannt zu machen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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