Brigitte Bardot und was es mit dem Geheimnis des French Chic auf sich hat
Brigitte Bardot ist 90. Was ist das Geheimnis des French Chic, mit dem die Französinnen allen den Kopf verdrehen?
Die blonde Mähne, der sinnlich geöffnete Schmollmund, der begehrende Blick. Kindfrau, Männertraum, Sexsymbol: Brigitte Bardot war das europäische Sinnbild der sexuellen Revolution, nach den biederen Fünfzigern die unverschämt vollmundige Sirene, deren unerhört aufreizender Appeal die Öffentlichkeit der frühen Sechziger gehörig überforderte – und die Bardot selbst gleich mit.
BB ist am 28. September 90 Jahre alt geworden. Eine Frau, die im Kino verführt, später mit ihren hetzerischen Ansichten verschreckt hat, die Tiere längst mehr liebt als Menschen.
Sinnliche Sirene
Schon die Namen ihrer Filme sprachen Bände. In "Und immer lockt das Weib" flirtet sie nackt hinter einer mit Wäsche behängten Leine mit Curd Jürgens, tanzt sich später zum treibenden Rhythmen-Höhepunkt. In "Mit den Waffen einer Frau" zieht sie vor Jean Gabin freimütig den Rock hoch, gibt den Blick frei auf bestrapste Beine, um den kreuzbraven Anwalt vom Gratismandat zu überzeugen. Ein anderer Film heißt überhaupt gleich: "Ein Weib wie der Satan". Die Folge: Die Welt drehte durch.
Dass ihr der Feminismus dieses Wirken in diesen Filmen verzieh, mehr noch, es ihr hoch anrechnete, ging argumentativ dennoch irgendwie zusammen.
BB und der Feminismus
"Du wirst eines Tages der unerfüllte Traum eines jeden Mannes" sein, prophezeite der Bardot ihr Entdecker und erster Ehemann, Roger Vadim. BB selbst sollte einmal sagen, "Wenn nicht jeder Mann, der sich meine Filme ansieht, den Eindruck hätte, er könnte mit mir schlafen, wäre ich viel glücklicher."
Die Frauenbewegung strich hingegen die selbstbestimmte Dynamik ihres Wesens hervor, das Selbstbewusstsein. Simone de Beauvoir, berühmteste Frauenrechtlerin der Welt, bezeichnete sie als "Lokomotive des Feminismus", im Hinblick auf ihre sexuelle Freiheit. Zahlreiche Affären, die sie nie verheimlichte, verdeutlichten diesen Drang.
"Ich bin eine gejagte Frau"
Die Bardot erfand den Jetset mit und zelebrierte ihn, heiratete den Playboy Gunter Sachs, machte das unbedeutende Fischerdörfchen Saint-Tropez zum Mittelpunkt der Welt. Mit "Die Wahrheit" und Jean-Luc Godards "Die Verachtung" drehte sie dazu wichtige Werke. "Privatleben" von Louis Malle machte ihr verfolgtes Leiden als Filmstar schließlich zum Spiegel ihres eigenen Lebens. Privat zu sein war der BB unmöglich geworden, "ich bin eine gejagte Frau", gab sie zu Protokoll, "ich kann keinen Schritt tun, ohne hinterfragt und umzingelt zu werden."
In Rom verfolgten Paparazzi sie auf Motorrollern, auf die Straße gehen konnte sie nur nachts und in Schleier gehüllt, damit niemand sie erkannte. "Es gab keine Freiheit", klagte sie. Auch Muttersein hatte in ihrer Welt keinen Platz. Als sie entbindet, wird sie von Reportern auf Dächern, Höfen und in Nebenräumen belauert und belagert, mit Mikrofonen ausspioniert, manche geben sich als Briefträger oder Hausmeister aus, um eine Story zu bekommen. "Es war barbarisch."
Verstoßener Sohn
Brutal auch, wie Bardot ihren Sohn Nicolas unmittelbar nach der Geburt verstößt. "Ein anderes Leben in mir, das stärker war als ich, machte mich zu einer nutzlosen Hülle, wie nach dem Schlüpfen eines Insekts", sagte sie. "Ich musste ein Scheusal gewesen sein." Alice Schwarzer lobte sie für diese Ehrlichkeit.
Die Kontroverse, die Provokation, auch die Militanz, all das gehört unverbrüchlich zum Universum der BB. Die Verlegenheit, in die sie ihr Publikum bringt, nämlich sie als Kinostar zu verehren, aber als keinen Widerspruch zulassende Tierschützerin und Vertreterin rechter Parolen abschreiben zu müssen, ist keine schöne. Letztendlich bleibt sie, gleich ihrem alten Freund, dem kürzlich verstorbenen Alain Delon, eine verrätselte Erscheinung.
Mit 40 war Schluss
Dass sie mit nur 40 Jahren 1973 ihre Karriere beendete, passte aber ins Bild. Auch heute verbietet es sich die Bardot, nostalgisch zu werden ob ihrer einstigen Blüte, wie sie schon anlässlich ihres Sechzigers gestand und was sich kaum geändert haben wird. Zumal ihre Rückschau negativ ausfällt: "Der Film nahm mir alles und gab mir nichts", meinte sie einmal.
Und wie die Schöne mit dem Alter umgeht? ,"Ich bin vielleicht alt, aber ich bleibe kämpferisch", tat sie in einem Interview kund. "Ich werde es immer sein. Man muss das Alter akzeptieren. Am schlimmsten sind die Falten des Herzens."
Ob Brigitte Bardot damit auch das Geheimnis der französischen Frau definiert hat? Selbst wenn dieses Geheimnis selbstverständlich ein Klischee bleiben muss, eine Anmaßung, ein Mysterium, das auch.
Perfekt unperfekt aussehen
Im französischen Kino-Pantheon teilt man der Bardot, mit ihrer blonden Mähne und der unverstellten Emotionalität, wohl am ehesten die Rolle des Wildfangs zu.
Catherine Deneuve, sie galt stets als kühle wie kühne Blonde. Eine elegante, mitunter fröstelnde Erscheinung, die strengen Blickes ihre Umwelt auf Distanz hält, gleichzeitig voller Abgründe. Fanny Ardant, die Muse von Truffaut – die Frau mit dem spitzbübischen Lächeln, die auf Konventionen pfeift. Anna Karina: mit ihrem von Stirnfransen eingerahmten Gesicht, die großen Augen als Scheinwerfer der Nouvelle Vague – zärtlich, fröhlich, verspielt. Und unnachahmlich schick, aber nicht Sylt-schick, sondern so schick, dass man es schon französisch schreiben muss, um ihm einigermaßen nahezukommen: chic.
Es ist kein herbeihalluziniertes Lifestyle-Phantasma, zumindest nicht völlig, wenn man vom Schönheitsgeheimnis der französischen Frau spricht. Das Bild der Französin – charmant zerzaustes Haar, geschminkt, ohne geschminkt zu sein, unaufgeregt lässiges Outfit –, die auf perfekte Art unperfekt zurecht gemacht wirkt, hat sich tief in den Köpfen eingeprägt.
Gleichzeitig, und das ist die unwiderstehliche Absurdität daran, existiert dieses Bild auch, wenn es ins Gegenteil umschlägt. Also aufwendig gestylt, hochelegant, und bis ins letzte Detail durchdacht. Selbstverständlich verkneift die gelernte Pariserin sich auch keinen Genuss und kein Glas Rotwein – gertenschlank bleibt sie dennoch ohne Aufwand.
How to be Parisian
Warum französische Frauen der halben Welt den Kopf verdrehen, fragt sich nicht nur die Brigitte, sondern auch die NZZ. Bücher, Artikel, Serien – allerlei Spezialisten setzen sich mit dem Phänomen auseinander. Oder versuchen wenigstens etwas zu verkaufen. Was sind die Must-Haves für den Look der Französinnen? Welche Stilregeln gilt es zu befolgen? Welche Mode-Basics haben sie? Die Magazine überschlagen sich mit Tipps.
Großen Anteil hatte daran sicher ein bestimmtes Buch. 2015 war es, als "How to be Parisian wherever you are. Liebe, Stil und Lässigkeit à la française" von Caroline de Maigret und drei Freundinnen zum Bestseller geriet. Die Autorin, die gern mit Wuschelhaaren und in weiten Hemden auftritt, gibt darin Beauty- oder Gesundheitstipps ("Vodka am Abend, Tee am morgen"), aber auch Ratschläge hinsichtlich Männern ("Always be fuckable"). Dass das Buch nicht auf Französisch erschien ("Das wäre anmaßend"), ist Ironie der Sache.
Wie Französinnen es scheinbar so unaufgeregt gelingt, unschuldig, dann lasziv, und stets kultiviert aufzutreten, bewegt. Und wird gern zwischen Buchdeckel gepresst, etwa mit "Dress like a Parisian: Der Style-Guide für perfekten französischen Chic" von Aloïs Guinut, die konkrete Tipps zu Kategorien wie Understatement, Regelbruch oder Sinnlichkeit gibt, oder "Pariser Chic: Der Style Guide". Letzteres Werk stammt von Inès de la Fressange, ehemaliges Top- und Chanel-Model, Muse von Karl Lagerfeld. Wer könnte berufener sein?
Ist Schönheit Nebensache?
"Größtenteils natürlich und mühelos, aber mühsam erzielt", diktierte de la Fressange der Vogue einmal ihre Definition der French-Girl-Ästhetik. Schönheitsoperationen sind verpönt. Um den French Chic richtig hinzukriegen, scheint vor allem eine Capsule Wardrobe, also fünf bis zwölf Basisteile, die sich perfekt kombinieren lassen, unabdingbar. Laut de la Fressange sind das eine weiße oder schwarze Seidenbluse, ein Blazer, eine Jeans, schöne Schuhe – und ein Liebhaber.
Lindsey Tramuta wiederum fand durch das Buch "La Parisienne. Das neue Paris – die Stadt der Frauen" ihre Nische darin, dem Klischeebild der Französin die Existenz abzusprechen. "Die neue Pariserin ist nicht dürr und weiß, schlürft nicht tagsüber Champagner und trägt auch nicht Chanel von Kopf bis Fuß", stattdessen sei sie divers und politisch interessiert. Schönheit? Sei Nebensache.
In Mode: "Emily in Paris"
Das Interesse an Französinnen wie Schauspielerin Camille Cottin oder Influencerin Camille Charrière lindert das nicht. Die Netflix-Serie "Emily in Paris" ist ein Riesenerfolg und befeuert die Fantasien aller Frankophilen. Im Netz werden die schönsten Looks, von Kleidern bis Hüten, ausführlich gefeiert. Camille Razat, die eine Hauptrolle spielt, gilt als Stil-Ikone, kommt der BB heute am nächsten und inszeniert sich perfekt im French Chic – von verspielt bis aufgedonnert. Razats persönliche Zutat: "Rock ’n’ Roll", sagt sie. Auch das ist French Chic.
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