Strategische Inkompetenz: "Kein Talent" für Haus- und Carearbeit

Sich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken ist eine Kunst. Die Folgen für Partner und Familie sind allerdings fatal.

Auf den ersten Blick sind die Videos ja sehr lustig. Die kleinen Töchter, denen der Vater im Winter Sommerkleidchen anzieht und die an den Füßen Fäustlinge tragen, der Mann, der Hilfe beim Vereinbaren seiner Arzttermine braucht, der Ofen, bei dem die richtigen Einstellungen farblich markiert werden müssen, weil sonst ein einfacher Toast danebengeht. Doch eben nur auf den ersten Blick. Denn schnell wird klar, dass hier Aufgaben gezeigt werden, die künftig wohl an jemand anderem hängen bleiben werden. 

Was hier präsentiert wird, ist ein Phänomen, das seit einigen Jahren als „strategische Inkompetenz“ umschrieben wird. Die Soziologin Jo Lücke, Sprecherin der Initiative Equal Care, beschreibt es so: "Ein Verhalten, bei dem jemand so tut, als wäre er nicht in der Lage, eine Aufgabe zu erfüllen, um künftig zu vermeiden, dafür zuständig zu sein oder noch einmal darum gebeten zu werden." Der Effekt: Man erledigt es schnell selbst – und hängt sich somit die doppelte Arbeit um.

"Bullshit-Detektor"

Eine ärgerliche Situation, die auch online die Gemüter beschäftigt. Alleine auf der Socialmedia-Videoplattform TikTok erzeugt der Hashtag #weaponizedincompetence (Inkompetenz als Waffe, Anm.) knapp 60 Millionen Views. Was sofort auffällt: Es sind großteils heterosexuelle Frauen, die mit Beispielen aus ihren Beziehungen aufwarten. Dabei bleibt an ihnen erwiesenermaßen ohnehin schon der Großteil der Haushalts- und Carearbeit hängen. 

Laut einer Studie des Rheingold-Instituts über berufstätige Mütter fühlten sich ein Drittel der befragten Frauen bereits Jahre vor Corona trotz Partner als Alleinerzieherinnen. Oder betrachteten ihren Partner gar als ein weiteres Kind. Zuletzt sorgte nun auch noch die Pandemie dafür, dass alte Rollenbilder verfestigt wurden und die Mehrfachbelastungen von Frauen stark anstiegen. 

Das Phänomen der Strategischen Inkompetenz ist also nicht neu - durch die erhöhte Belastung schlug nun einfach der "Bullshit-Detektor vieler Frauen an", sagt Lücke. Wo man früher vor der Auseinandersetzung zurückgeschreckt wäre und resignierte, gehe das jetzt nicht mehr. "Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht. Damit erklärt sich, warum der Begriff 'Weaponized Incompentence' gerade jetzt trendet - weil das Phänomen durch pandemiebedingtes Homeoffice und Homeschooling so stark wie vermutlich nie zuvor in den Vordergrund getreten ist." 

Gelernt ist gelernt

Beim "absichtlichen Dumm-Stellen" handelt es sich um ein erlerntes Verhalten, sagt Instahelp-Psychologin Katja Kunert. Mit anderen Worten: Niemand wird mit einem besonderen Talent oder einer ausgeprägten Ungeschicktheit für etwa Hausarbeit geboren.

Für die Familien- oder Beziehungsdynamik hat das Verhalten fatale Folgen: "Es ist langfristig sehr schädlich, wenn ein Partner sich so intransparent um Aufgaben drückt. Das entstandene Ungleichgewicht drückt die Stimmung und führt zu Ärger. Über die Dauer kann sich dann ziemlich viel aufstauen. Zudem lernen Kinder sehr viel über das Beobachten ihrer Bezugspersonen und so kann dann inkompetentes Verhalten auch auf die Kinder übertragen werden." 

Ist es nun ein hauptsächlich männliches Problem, wie der Blick auf die TikTok-Videos nahelegen würde? Jein. In der stark weiblich konnotierten familiären Sorgearbeit sei es tatsächlich ein männliches Privileg, sich dieser durch vermeintliche Tollpatschigkeit zu entziehen, erklärt Jo Lücke. Stellen sich Frauen bei denselben Dingen ungeschickt an, gebe es dafür kaum gesellschaftliche Toleranz.

Dennoch können auch Frauen sich strategisch inkompetent verhalten  allerdings viel seltener, da von ihnen in dem meisten Bereichen des täglichen Lebens volle Leistung erwartet wird. "Während beispielsweise fast jeden Tag Wäsche gewaschen werden muss, was 'traditionell' im Aufgabenbereich von Frauen liegt, fällt vielleicht einmal im Monat eine männlich konnotierte handwerkliche Tätigkeit an, vor der sich eine Frau mittels strategischer Inkompetenz und gedeckt von passenden Rollenerwartungen, drücken kann", erklärt Jo Lücke.

Wie kommt man nun aber als betroffene Person aus dem Kreislauf? Der Schlüssel, sagt Katja Kunert, ist wie so oft Transparenz und offene Kommunikation. Zudem empfiehlt sie, mit einer unangenehmen Aufgabe anzufangen und sich langsam zu steigern. "Wichtig ist, dass das alle Beteiligten zusammenarbeiten, um langfristig Veränderungen aufrechtzuerhalten." 

Anya Antonius

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