Prokrastinieren beim Sex: vom Zauber des Zögerns

Die "Aufschieberitis“ hat keinen guten Ruf. Beim Sex entpuppt sich das Prokrastinieren hingegen als erotische Meisterleistung, die zu intensiven Höhepunkten führen kann.

"Prokrastination“, Substantiv, feminin – im Duden definiert als „das Verschieben, Aufschieben von anstehenden Aufgaben, Tätigkeiten“. Ein Modewort, für das das Internet mittlerweile Millionen Tipps parat hat.  So sehr das "Verschleppen" im Alltag problematisch werden kann, so spannend kann es allerdings sein, beim Sex zu prokrastinieren. Mit dem Ziel, den Orgasmus möglichst lange hinauszuzögern – es gilt das Motto: Wir gehen es gemütlich an.

Eine Superidee, überhaupt für Männer, die dazu tendieren, im Railjet-Tempo zu kommen. Kaum stecken sie wo drin, ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Oder sie müssen nach dem Eindringen sofort wieder innehalten, weil jede einzelne Bewegung in der Sekunde zur Ejakulation führen würde. Dann sagt sie: Mach! Und er sagt: Geht nimmer. Kein Grund, sich zu genieren, das kann in der Hitze des Gefechts passieren. Doch wenn es das dauernd tut, ist’s nur mehr das halbe Vergnügen – für beide. Er hatte zwar seinen Höhepunkt, noch dazu zügig und unkompliziert, sie leider nicht – daher: Sorry, Darling – was darf ich zum Dessert reichen, eine Extraportion Fingerfood? Ja, möglicherweise eine Lösung – aber keine Dauerlösung. Weil ein Teufelskreis aus schlechten Gefühlen und schlechtem Gewissen entsteht – irgendwann verzichtet man auf die Verkehrslage ganz. Wie schade.

Bei Frauen läuft’s meist anders. Sie erleben viel häufiger, dass sie knapp „davor“ stehen, um – exakt in diesem Moment – festzustellen, dass sich’s leider doch nicht ganz ausgeht. Anstrengend und blöd. Dann liegt man völlig überspannt da und sehnt sich nach Erlösung. All das macht das Thema Orgasmus ein bisschen kompliziert. Auch deshalb, weil es unglaublich viele Missverständnisse und falsche Bilder rund um diesen herrlichen Moment gibt – als hochkomplexes Phänomen, bei dem das Gehirn eine maßgebliche Rolle spielt.

Eine Superidee, überhaupt für Männer, die dazu tendieren, im Railjet-Tempo zu kommen. Kaum stecken sie wo drin, ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Oder sie müssen nach dem Eindringen sofort wieder innehalten, weil jede einzelne Bewegung in der Sekunde zur Ejakulation führen würde.

Wonne-Flow als Belohnung

Emily Nagoski, Autorin des Bestsellers „Komm wie du willst“, sagte erst kürzlich in einem erklärenden Video auf der Plattform bigthink.com Folgendes zum Thema: „Wir brauchen ein Gehirn, um einen Orgasmus erleben zu können.“ Sich mit den damit verbundenen Prozessen vertraut zu machen, wäre durchaus ratsam. Das kann in ein breiteres Lustspektrum führen – indem man nicht rein auf das Ziel fixiert ist, sondern den Weg dahin erst versteht, um ihn schließlich bewusster zu gehen. Die Belohnung: ein Wonne-Flow, der den gesamten Körper inkludiert. Womit wir endlich wieder beim Prokrastinieren gelandet wären. Nagoski schildert nämlich, wie es gelingt, den Orgasmus hinauszuzögern, beziehungsweise die Zeit bis dahin zu „dehnen“. Man nehme eine Erregungsskala von eins bis zehn – die 1 steht für „gar nicht erregt“, die 10 für „knapp vor dem Kommen“.

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Im Rahmen dieser Skala gilt es nun, sich sexuell zu stimulieren – um immer wieder innezuhalten und nachzuspüren: Wie fühlt sich das jetzt an? Stopp, atmen, wahrnehmen, einige Schritte zurück. Danach von Neuem loslegen – sprich: ab zur nächsten Eskalationsstufe. Eine Version der so genannten „Start-Stopp-Technik“, mit deren Hilfe Männer lernen sollen, die Ejakulation hinauszuzögern, indem der Fokus stärker auf das Empfinden vor dem Höhepunkt liegt und man sich mehr für den „Point of no Return“ sensibilisiert. Aber auch für Frauen durchaus empfehlenswert, die mit dem Atem, mit der Körperspannung und Wahrnehmung lustvoll experimentieren wollen. Und wenn’s dann endlich so weit ist, geht die Post ab – 10 ! Jetzt hat sich das Prokrastinieren endlich einmal gelohnt.

Sex-Dauer.

45 Minuten und ein bisserl was – so lange sollte Sex dauern, zumindest wenn es nach den Österreicherinnen und Österreichern geht. Das steht in einer neuen repräsentativen Studie im Auftrag der Kennenlern-Plattform „Parship“, woraus sich auch gleich die Liebesformel 13-14-21 ablesen ließ. Das Vorspiel sollte 13 Minuten dauern, der  Akt 14 Minuten, danach wird 21 Minuten gekuschelt.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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