Interview: So sehr prägt uns die erste Liebe

Die erste Liebe ist immer etwas Besonderes. Wie sehr beeinflusst sie unser Verhalten in späteren Beziehungen? Welche Auswirkungen hat sie auf unsere Partnerwahl? Ein Psychologe klärt auf.

Die erste Liebe markiert den Eintritt in bis dahin unbekanntes zwischenmenschliches Terrain. Man lässt die Adoleszenz hinter sich, begibt sich auf ein Abenteuer, für das man bis dahin keine Erfahrungswerte aufweisen kann. Es kann große Enttäuschung beinhalten oder großes Glück.

Michael Hutter ist Klinischer Psychologe und Imago-Paartherapeut und betreibt mit seiner Frau eine paartherapeutische Praxis in Neulengbach (begegnungspraxis.at). Er erklärt, welche Rolle die erste Liebe für uns spielt – und wie groß ihre Bedeutung für unser weiteres Verhalten in Beziehungen ist.

Das erste Mal ist immer etwas Besonderes. Wie sehr beeinflusst die erste Liebe unser Verhalten in Sachen Beziehungen?

Die prägendste Liebe unseres Lebens ist die Liebe zu unseren Eltern. Das Baby, das kleine Kind ist auf diese Liebe existenziell angewiesen. Es lernt unbewusst schon sehr früh, was muss ich tun, um diese Liebe zu bekommen, was gefährdet diese Liebe. Wann wenden sich meine Eltern bzw. meine ersten Bezugspersonen mir zu, wann wenden sie sich von mir ab. Wir gehen meine Eltern miteinander um. Wie behandelt ein Mann eine Frau, wie eine Frau einen Mann. Alle diese Kommunikationsmuster prägen sich unbewusst tief in uns ein. Sie ergeben ein inneres Bild von der Welt emotionaler und sozialer Beziehungen - dieses Bild nennen wir Imago, vom lateinischen Wort für Bild.

Und dieses früh entstandene, innere Bild prägt uns?

Dieses Imago beeinflusst sehr, in welche Menschen wir uns dann verlieben und in welche nicht. Wir verlieben uns in Menschen, die damit Ähnlichkeiten haben - und uns deshalb schon nach kurzer Zeit des Kennenlernens sehr vertraut erscheinen.

Die Initialzündung dafür ist wohl, wenn wir das erste Mal auf einen Menschen treffen, auf den das zutrifft und zu dem wir uns in romantischer Liebe hingezogen fühlen.

Wer kennt nicht dieses wundervolle Gefühl in der ersten Verliebtheit: „Ich habe das Gefühl, dich schon ewig zu kennen! Wunderbar, dich endlich gefunden zu haben!“ Insofern ist dann die erste Liebe als Jugendlicher eigentlich schon die zweite Liebe, die den Gesetzen der ersten Liebe folgt. Damit ist die erste Liebe als Jugendlicher auch viel weniger prägend als unsere erste Liebe zu den Eltern.

Dennoch ist die erste romantische Liebe ein Meilenstein, ob wir das nun begrüßen oder nicht.

Keine Frage: Die erste romantische Liebe ist prägend, weil sie das Eintreten in die Welt der Liebe generell bedeutet, und auch die der Sexualität. Manchmal überlagert sich das auch. Wir treten ins Erwachsenenalter ein, für uns beginnt eine neue Zeitrechnung. 

Psychologe Michael Hutter: "Wir verlieben uns im Laufe unseres Lebens immer wieder in Menschen, die gewisse Ähnlichkeiten miteinander haben"

©Privat
Fällt es Menschen oft schwerer als sie annehmen, diese ersten tiefgehenden Erfahrungen abzuschütteln?

Lassen Sie es mich so sagen: In einem jungen Alter sind die Gräben oft besonders tief, und die Berge besonders hoch. Unser gefühlsmäßiges Empfinden ist in diesem Lebensabschnitt ausgesprochen sensibel und ausgeprägt. Und tiefer Schmerz muss natürlich betrauert werden. Wenn unsere ersten Erfahrungen allerdings nicht weiter dramatisch ausfallen, stehen die Chancen gut, dass die erste Beziehung eine erste Station ist, der weitere Erfahrungen folgen werden.

Was beeinflusst, nach welchem Partner wir Ausschau halten – und wie sehr ist die erste Liebe dafür verantwortlich?

Wir verlieben uns im Laufe unseres Lebens immer wieder in Menschen, die gewisse Ähnlichkeiten miteinander haben. Das hängt allerdings weit weniger mit unserer ersten romantischen Liebesbeziehung zusammen, als mit der Liebe zu unseren Eltern. Die Frage ist nur, ob ich mich in diesen Beziehungen weiterentwickeln kann oder ich weiterhin destruktiven Mustern aus meiner Kindheit folge. In zweiten Fall kann natürlich Therapie eine wichtige Hilfe sein.

Sich nach Jahren mit einer großen Liebe wieder zu treffen und einem Gefühl nachzugehen macht aus unserer Sicht durchaus Sinn.

Sich stets einen Partner zu suchen, der ähnlich tickt wie jene davor, das macht – vor allem, wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat – nicht immer Sinn.

Viele Menschen können sich in ihren Liebesbeziehungen weiterentwickeln, indem sie sich den Konflikten stellen und als Erwachsene andere Lösungen finden, als ihnen das in ihrer Kindheit möglich war. Andere wählen stets ähnliche Partner, wie jene, die sie bereits hatten, obwohl ihnen das nicht guttut. Jedoch repräsentiert das alte Muster etwas Vertrautes; es ähnelt einem tief in uns verwurzelten Beziehungsmuster. Deshalb suchen wir es immer wieder, obwohl es schlecht für uns ist.

Das klingt wenig hoffnungsfroh.

Harville Hendrix, der Begründer der Imago-Beziehungstheorie hat einmal den schönen Satz geprägt: „Wir werden in Beziehung geboren, wir werden in Beziehung verletzt und wir können in Beziehung heilen.“

Verklärt die Zeit oft unseren Blick auf die vergangene große Liebe? Beziehungsweise: Macht es Sinn, sich nach Jahren wieder mit einer großen Liebe zu treffen und einem Gefühl nachzugehen?

Sich nach Jahren mit einer großen Liebe wieder zu treffen und einem Gefühl nachzugehen macht aus unserer Sicht durchaus Sinn. Natürlich verklären wir diesen Rückblick und sollten uns dessen bewusst sein. Und gleichzeitig entspricht so eine „große Liebe“ besonders gut unserem Imago und enthält damit besonders viel Wachstumspotenzial.

Haben Sie in Ihrer therapeutischen Praxis Erfahrung damit gemacht?

Ich kenne ein Paar, das sich nach 25 Jahren auf diese Weise wiedergefunden hat. Die beiden hatte mit Mitte 20 eine junge, wunderbare und heftige Liebe zusammen erlebt, dennoch haben sich diese zwei Menschen einst verloren. 25 Jahre später wollten sie wieder an die alte Zeit anknüpfen. Die beiden mussten zwar feststellen, dass sie sich im Erwachsenenalter seitdem selbstverständlich beide verändert hatten. Dennoch sagten sie sich: Wir spüren auch mit 50 eine so tiefe Beziehung zueinander – es ist es uns das wert, dass wir dem nachgehen, wir geben das nicht noch einmal auf und wollen fortan gemeinsam wachsen. Auf diese Weise mit einem Gefühl füreinander umzugehen ist also durchaus sinnvoll.  

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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