Guido Tartarotti

Guidos Kolumne: Vielleicht sollten alle Österreicher täglich spazieren

Früher hab ich spazieren gehen gehasst, jetzt lächle ich dabei gerne Leute an, die böse schauen.

Der Winter ist die Zeit, um zu gehen. Der Sommer ist die Zeit, um zu schweben. Jetzt, mitten im Winter, frage ich mich manchmal: Wird es jemals wieder Sommer? Was ist, wenn der Sommer beschließt, dass er genug hat von uns und einfach nicht mehr kommt? 

Diese Sorge ist natürlich unbegründet: Bisher kam der Sommer immer wieder, und es besteht durchaus Grund zum Optimismus, dass er seine Meinung nicht ändern wird.

Ich mag es zu gehen. Oft höre ich dabei Musik, die Stones, die Beatles oder auch Depeche Mode. Oft trage ich aber nur den Kopfhörer, ohne dass Musik läuft. Ich höre Stille. Von Stille kann man ruhig eine Familienpackung zu sich nehmen.

Als Kind habe ich Spazierengehen gehasst. Meine Eltern sind jeden Abend mit uns spazieren gegangen, das war ein fixes Ritual. In meiner Erinnerung hat es dabei immer geregnet, und es war immer unsagbar fad.

Heute bleibe ich einfach zuhause, wenn es regnet, setze mich gemütlich auf die Couch und gehe in Gedanken spazieren. Aber heute regnet es meistens nicht. Spazierengehen ist mir auch nicht mehr langweilig.

Ich sehe mir gerne die Gegend an, oft gibt es ja beim Spazierengehen besonders viel Gegend, aber noch lieber schaue ich mir Leute an. Viele sehen lustig aus, manche sind auch einfach schön, von innen heraus, andere blicken böse. Die lächle ich gerne an. Manche lächeln zurück, aber viele schauen dann gleich noch böser.

Jetzt habe ich von einer spanischen Studie gelesen, wonach Spazierengehen das Risiko senkt, Depressionen zu bekommen. Das ist ein schöner Effekt, viele Menschen – angeblich mehr als 700.000 in Österreich – haben Depressionen. 

Vielleicht sollten alle Österreicher täglich spazieren gehen. Dann wäre es zwar ziemlich voll im Freien, dafür könnte ich viele Leute beobachten und anlächeln. Und vielleicht lächeln viele zurück!

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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