Guido Tartarotti

Guidos Kolumne: Mein Freund macht mir Sorgen - und ich beneide ihn

Manchmal beneide ich meinen Freund um alles, was er schafft und leistet. Dann geniere ich mich und gehe laufen.

Mein bester Freund macht mir Sorgen. Wobei: Sorgen ist das falsche Wort. 

Es ist so: Er arbeitet 14 Stunden am Tag. Aber es scheint ihm wirklich Spaß zu machen. 

Womit sich mein Freund genau beschäftigt, ist mir nicht ganz klar. Er berät Firmen und hilft dabei, sie zu verkaufen. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass mein Freund nebenbei einen Raketenantrieb konstruiert, neue Marsmonde entdeckt oder das Mittel gegen Herzinfarkt erfindet. Wobei: Dieses Mittel gibt es ja schon – nicht rauchen, nicht trinken, mäßig, aber gut essen, viel Bewegung. 

Jedenfalls meldet sich mein Freund, wenn ich ihm eine WhatsApp schicke, regelmäßig mit dem Satz "Sorry, kann grad nicht, bin in einem Videocall". Durchaus möglich, dass er inzwischen zur Gänze in einem Videocall lebt. 

Man muss sich meinen Freund aber als glücklichen Menschen vorstellen. Er sieht viel Sinn in seiner Arbeit, er hat trotzdem Zeit für seine Familie und für Sport, und manchmal schläft er sogar für ein oder zwei Minuten. 

Ich muss gestehen, dass ich ihn beneide. Sein Leben ist ausgefüllt mit Sinn, mir ist manchmal fad. Und dann geniere ich mich, weil ich an ihn denke, und gehe schnell eine Runde laufen. Mein Freund ist ein Vorbild, wie man sein Leben spannend und aufregend lebt. 

Ich gestehe, manchmal würde ich mir wünschen, er hätte mehr Zeit für mich. Gleichzeitig schäme ich mich für den Gedanken – er tut soviel Sinnvolles, da will ich 
nicht stören. 

Aber wir haben die Idee eines Buchprojekts, einer breit angelegten, verrückten, aufregenden Familiengeschichte, und eines Tages werden wir etwas daraus machen. 

Bis dahin warte ich geduldig darauf, dass er den Raketenantrieb revolutioniert, Marsmonde entdeckt oder das Mittel gegen Herzinfarkt erfindet. Ihm ist es jederzeit zuzutrauen. Wenn er auf die zwei Minuten Schlaf auch noch verzichtet.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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