Polly Adlers Kolumne: Ach, Colette!

Können Roboter warm atmen? Und gibt es nur mehr Proteinburger an KI? Werfen wir doch den Kulturpessimismus vor den Zug und freuen uns auf eine analoge Retrowelle. Wir werden sie brauchen.

Werden Roboter dann einen warmen Atem haben? Kann die KI Sätze bauen, die so klingen wie jener von Anton Kuh: "Melancholie ist Heimweh nach sich selbst?" Können unsere Gesprächspartner durch ein bestimmtes Scanverfahren unsere geheimsten Gedanken inklusive der doch manchmal aufpoppenden Mordabsichten direkt übersetzt kriegen? 

Wird es Partnerschaftsvermittlungen geben, die Schatzi-Suchende nach einer engmaschigen Kompatibilitätsmethode verbindet, die nicht nur öde Faktoren wie Hobbys und Bildungsgrad, sondern auch sexuelle Spleens, Allergene und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit prüft? 

In den Filmen werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit statt Schauspieler:innen KI-generierte Figuren tummeln, die nach den Umfrageergebnissen von Test-Zusehern nach Haut-, Haar- und Augenfarbe- und Ideologie-Präferenzen gebastelt werden und blecherne Phrasen von sich geben? Und werde ich sehr froh sein, dass ich das alles nicht mehr erleben muss? 

Zumindest die letzte Frage kann ich mit einem herzlichen Ja beantworten. Vielleicht wird der Fortpflanz, dann auch schon im Granny-Modus, das "social freeze"-Auftauprodukt in Form meiner Urenkelin an der Hand durch das klimaerwärmte Karstland schleppen und Fragen beantworten müssen à la "Oma, was war das eigentlich genau eine Zeitung?" oder "Was? Ihr habt wirklich noch selber gekocht, wie die Steinzeit-Menschen? Voll arg! Beamen wir uns einen Proteinburger mit Algen-Wachstumsbeschleuniger? Bittebittebitte ..."

Überflutung von Vermissungs-Sentimentalitäten Und dann wird die "Früher-war-alles-besser"-Litanei losgehen, mit der uns schon unsere Omas genervt haben. Meine Freundin P pflegt in ähnlichen Situationen an zu grölen: "Geh bitte, das Einzige, was früher besser war, war mein Hintern!"

Meine Tochter war sechs, als wir vom Schilling auf den Euro umgestellt worden sind, und sie kam damals lange abends weinend an mein Bett und schluchzte: "Mama, ich vermisse den Schilling so sehr!" Manchmal werde ich auch von solchen Vermissungssentimentalitäten durchflutet. Die Vorfreude auf ein neues Buch, einen neuen Film, eine neue Platte, dieses Hinfiebern, das völlig verloren gegangen ist, wo wir doch jederzeit alles mit nur einem Klick in unser Leben beamen können. Die Choreografien von Nähe. 

Kürzlich kam ich in Lissabon an einer Café-Bar vorbei, vor der der Besitzer ein Schild aufgestellt hatte: "Tut doch einfach einmal so, als ob wir 1992 hätten. Trinkt Kaffee und redet miteinander! Es tut gar nicht weh!" Und trotzdem saßen an drei Tischen Gruppen, die in Schildkröten-Vorbeuge auf ihren Displays wischten, während sie eigentlich Echtleben hätten feiern können. 

Aber vielleicht muss ich meinen Pessimismus vor den Zug werfen und es steht uns irgendwann in ferner Zukunft eine volle Retrowelle bevor, wo die analoge Nostalgie wie ein Luxuskult zelebriert wird. Hühner im Garten, Apfelkuchen aus dem eigenen Ofen, Gespräche von Angesicht zu Angesicht, Interrail für alle Generationen, verknitterte Geldscheine, die versehentlich in der Waschmaschine mitgewaschen wurden, Ex-Libris-Zeichnungen in Büchern, Theatergier, blassblaues Briefpapier, auf das Sätze nervös gekritzelt werden, die kein ChatGPT im Repertoire hat. Zum Beispiel jener melancholische Seufzer von Colette, der Pariser Freibeuterin, im Alter: "Was für ein schönes Leben ich doch hatte! Ich wünschte nur, dass ich es früher bemerkt hätte."

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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