Polly Adlers Kolumne: Niedlichkeits-Fantasien

Wie ein Nachtfalter einen Traum zerstört.

Manchmal, wenn man durch die Dörfer in der Provence kurvt, fragt man sich, ob es sich doch um eine französische Variante der Truman-Show mit einem Schuss Wes Anderson handelt. Erinnern Sie sich?

Jim Carrey checkt erst als Erwachsener, dass er in den Kulissen einer in Putzigkeit schwelgenden TV-Show groß geworden ist und sein komplettes Leben eigentlich fake ist. Und Anderson hat in "The French Dispatch" alle über Frankreich existierenden Lieblichkeits-Klischees durch die Luft gejagt. Schicke Pariserinnen mit akribisch achtlosen Frisuren schwingen ihre 150-Euro-Korbtaschen auf dem Markt, über allem liegt eine Lavendelwolke, und in den Käseboutiquen stehen junge Frauen in gestreiften Schürzen, die einem zu jeder Ziegenkäserolle ein Kurzreferat halten. 

Nachts stelle ich mir vor, dass ich eine fragile Französin bin, die Elodie oder Chloé heißt, mit einem Baguette unter dem Arm quasi geboren wurde, mehrfach preisgekröntes Olivenöl produziert, einen Foodblog hat, wo sie im irdenen Geschirr der geliebten Grandmère die Zubereitung einer Paté mit Pistazienkernen und Schwarzschweinleber vorturnt, und sich abends gerne ein Gläschen graurosafarbenen Wein im Kreise abstrakter Maler, Poeten und regionaler Seifenproduzenten gönnt und eine heiße, hoch geheime Affäre mit einem jungen Oliven-Pflücker unterhält. Die Niedlichkeits-Fantasie wurde leider von einem zwei Faust großen Nachtfalter unterbrochen, der wie ein hysterischer Helikopter durch mein Zimmer surrt. 

Der Großzügigkeit meiner Freunde habe ich es zu verdanken, dass ich in dem Ferienanwesen das Turmzimmerchen bewohnen darf, in dem Antoine de Saint-Exupéry den "Kleinen Prinzen" begonnen hat. Ich beschließe von einem Nachtfalter-Mord abzusehen und ertrage dessen Flugshow, denn: Schon der Opa des Nachtfalters hatte vielleicht Exupéry genervt, als er den Satz "Man sieht nur mit dem Herzen gut" auf Bütte geschabt hat. Es ist also ein wenig Respekt gefragt. Für alle Fälle. 

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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