Polly Adlers Kolumne: Möblierte Erinnerungen
Wie man sich die großen Verschwundenen zurück holt.
Madame Deneuve und ihre Tochter Chiara Mastroianni legten sich auf den Parkettboden der Pracht-Zimmerflucht in Saint Germain in Paris, die inzwischen von Fremden bewohnt wurde, und pressten ihre Ohren ans Holz. Sie hielten sich an den Händen und hofften so die Erinnerungen an jene Tage heraufbeschwören zu können, als sie hier mit Papa Marcello eine kleine, glamouröse Familie waren.
Doch das Gefühl wollte sich nicht einstellen. Die hässlichen Bilder an den Wänden, das Interieur, das von einem Pornoproduzenten stammen könnte, "hatte allen Charme in dieser Wohnung getötet", wie die Deneuve betrübt in dem Film "Marcello mio" feststellte. Es ist ein eigenartiges Werk, in dem Chiara in die Identität ihres Vaters schlüpft und in Männerklamotten und mit Perücke durch Paris und Rom spaziert, um so ihre Vermissungsschmerzen zu lindern.
Ich dachte an diese Szene, als ich vor der Frisierkommode meiner Großmutter saß, die jetzt in meinem Schlafzimmer steht. Sie riecht noch immer nach dem Puder ihrer Perücken, die sie, stets penibel bedacht auf ihr Äußeres, getragen hatte. Ich hatte gehofft, mit der Anwesenheit des Möbels auch meine Großmutter bei mir haben zu können. Ein Irrtum, genau wie der Parkettboden in Saint Germain. Die einzigen Möbel, die unverrückbar sind und die großen Verschwundenen unseres Lebens präsent machen, sind die Erinnerungen.
Meine Großmutter war schon viele Jahre tot, aber jetzt rollte der Film wieder ab: Ich roch ihre frisch gebackenen Kuchen, sah sie mit dem Opa in Arbeitsklamotten, als sie die Fenster meiner ersten Wohnung strich, und hörte ihre Stimme, die immer, wenn ich als Kind eine Geschichte unter dem Arbeitstitel "Ruhig ein bissl grauslich, aber am Ende alle sehr glücklich" einforderte, sanft ein neues Märchen aus dem Oma-Universum zog.
Ich wurde von einem großen Gefühl der Dankbarkeit überschwemmt. Wir sind die, die uns begleiten. Die Frisierkommode hatte ihren Zweck erfüllt, sie wird demnächst auf Willhaben landen.
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